Das Restrisiko beim Transport von Südfrüchten. Pirmin Müller

Das Restrisiko beim Transport von Südfrüchten - Pirmin Müller


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ich fahre lieber durch den Süden und lasse mich von dir schikanieren. Und wenn es bei euch Probleme gibt …«

      »Musst du uns helfen. Dafür lieben wir dich … vor allem die Frauen.«

      Beide lachten; Luc laut, Meyer nasal.

      Er fuhr durch den Forêt du Rochefort, einen Wald aus kurzen knorrigen Bäumen, die auf dem kalkigen Untergrund denkbar schlechte Wachstumsbedingungen vorfanden. Für ihn war das ein Dickicht, kein Wald. Wie auch die Hügel, die hier als Berge durchgingen. Es kommt eben auf den Standpunkt an, dachte er, während am Horizont das blaue Schild mit der Aufschrift Aire de Tavel Sud auftauchte. Luc nahm den Dialog mit dem Disponenten wieder auf: »Ich fahre auf der A49 über Annecy nach Genf, so sollte ich vor zweiundzwanzig Uhr in Lausanne ankommen.«

      »Nur, wenn du die Fahrzeit überschreitest.«

      »Ich manipuliere den Fahrtenschreiber.«

      »Das ist riskant.«

      »Du bist der Disponent, du entscheidest, was zu tun ist.«

      Er setzte den Blinker und steuerte den Sattelschlepper in die Ausfahrt zur Aire de Tavel. Der Lastzug rollte rechts an der Tankstelle vorbei zum Parkplatz der Fernfahrer. Neben einem Autotransporter fand Luc einen freien Platz, den letzten in der Reihe, nur eine Ausfahrtspur trennte ihn vom Pinienwäldchen, wo abends kecke Studentinnen aus Avignon mit wenig Aufwand zu Geld kamen.

      Mit einem knurrenden Geräusch starb der Motor. Luc rieb sich die Handflächen und hielt sie auf die Augen. Eine schläfrige Mattigkeit befiel ihn. Er hob die Fersen, bis nur noch die Zehenspitzen den mit einer Gummimatte bedeckten Boden berührten, hielt die Position einige Sekunden und senkte die Füsse langsam wieder ab. Anschliessend massierte er sich die Kopfhaut, das erfrischte und entspannte.

      Die Tonfolge erklang. Meyer erklärte, dass er beim Kunden nachgebohrt habe, er könne nichts machen. Stur wie Steinböcke.

      »Das heisst?«

      »Den Fahrtenschreiber bearbeiten.«

      »Du hast Nerven! Ehrliche Bürger in die Kriminalität treiben! Du machst dir dein Leben auch nicht komplizierter als nötig.«

      »Das hast du selber vorgeschlagen.«

      »Es ist ein Risiko. Und Stress. Das hat seinen Preis, wie alles in der Welt … Aber du kennst mich ja, ich bin bescheiden und begnüge mich mit einem freien Tag«, erklärte Luc und ergänzte seine Forderung mit einer Ermahnung: »Geben und Nehmen, Meyer, nicht nur nehmen! Wir sind hier nicht bei den Plünderern.«

      »Elender Erpresser«, murrte der Disponent, willigte aber dennoch ein, denn seine Existenz hing von der Zufriedenheit dieses einen Grosskunden ab. »Lass dich nicht erwischen. Übrigens nennt sich das Ausbeuter, nicht Plünderer.«

      »Danke der Belehrung, mein ›Ausbeuter‹. Grüss die Familie.«

      »Werde es ausrichten«, meinte Meyer und schloss die Verbindung zu Lkw Nr. 89. An seinem Desk begann das grüne Lämpchen zu blinken; der nächste Kunde mit dringendem Problem. Meyer hob die Füsse auf den Schredder und lehnte sich in den Bürostuhl, bis er beinahe waagrecht lag. »So ein Drecksjob«, fluchte er und bewunderte Luc, der sich gewisse Freiheiten bewahrte. Ist eben klüger als ich, dachte er. Dafür geschieden, frisst die Emotionen in sich hinein und sieht seine Tochter jedes dritte Wochenende. Alles kann keiner haben.

      Luc stieg die drei Tritte von der Fahrerkabine hinunter, schloss die Tür und ging quer über den Parkplatz auf die Autobahnraststätte zu. Seine Bewegungen waren zielgerichtet und kompakt, eine Folge der knallharten Trainingseinheiten, die er bei der Wasserballmannschaft des CN Lausanne absolviert hatte. Vor dem Restaurant rollte er die Enden seiner blauen Arbeitshose hinunter, strich das T-Shirt glatt und prüfte sein Handy. Keine Nachrichten. Durch eine Drehtür gelangte er in den Eingangsbereich, von dort marschierte er durch das geräumige Restaurant in die Bar.

      »Ah, Luc, lange nicht mehr gesehen«, begrüsste ihn Daciana und fragte mit einem Wimpernaufschlag nach seinen Wünschen.

      »Wie immer, Schätzchen.«

      »Mit oder ohne Heiratsantrag?«

      »Das nächste Mal überleg ich es mir – diesmal lieber ohne«, antwortete er und setzte sich breitbeinig auf den Hocker. »Daciana, Täubchen, du bist doch bereits verheiratet, mit diesem Zwerg … wie hiess er noch?«

      »Den Namen? Habe ich eben vergessen, wie immer, wenn ich die Glut in deinen Augen sehe«, erwiderte Daciana lachend und wendete sich einem Sandwich zu, das sie mit Salatblättern und gelbem Käse belegte. Als sie fertig war, klappte sie die obere Baguettehälfte ein und umwickelte es mit Plastikfolie.

      »Wie lange bist du eigentlich geschieden, Luc?«

      »Wie lange? Bald drei Jahre … wie die Zeit vergeht. Schon drei ganze Jahre.«

      »Ein Mann wie du sollte wieder heiraten. Glaub mir, es wäre gut für dich. Denk an deine Tochter.«

       2

      Thierry Rodenbach klammerte sich ans Lenkrad und schnaubte. Weder Zureden noch dosiertes Anschreien vermochten Juliette zu beruhigen, im Gegenteil: Sie wurde schriller, sie riss ihn am Arm. Thierry versuchte zu deeskalieren und schwor, das Handy, das sie in seiner Jackentasche entdeckt hatte, sei nicht, um sie zu betrügen. Auf gar keinen Fall.

      »Diese Zeiten sind vorüber! Meine Mutter hat es mir geschenkt, damit sie mich wegen ihrer gesundheitlichen Probleme kontaktieren kann. Es ist alles in allerbester Ordnung!«

      »Gesundheitliche Probleme«, keifte Juliette, »die rennt doch dauernd durch die Gegend und irgendwelche Berge hoch. Deine Hilfe braucht sie gewiss nicht. Ein Muttersöhnchen bist du, nichts anderes, noch mit siebenundzwanzig Jahren hängst du an ihrem Rockzipfel.«

      »Halt den Mund«, zischte Thierry und biss die Zähne zusammen.

      »Ich lass mich nicht mehr von dir belügen«, schrie Juliette und riss so stark an seinem Arm, dass er beinahe den Lieferwagen schrammte, den er gerade überholte.

      »Lass meinen verdammten Arm los! Ich bin beinahe in den Lieferwagen gefahren! Juliette, bitte, beruhige dich«, bat er mit gepresster Stimme.

      Sie schwieg.

      Thierry räusperte sich und gestand, er habe das Handy benutzt, um mit einer ehemaligen Schulkollegin zu telefonieren.

      »Daran«, jetzt brüllte er, »bist du mit deiner verdammten Kontrollsucht schuld … Du! Niemand sonst, nur du!«

      Er drückte auf das Gaspedal und raste an einem Sattelschlepper vorbei, lenkte seinen Mercedes SLK 250 aggressiv zurück auf die rechte Spur und verlangsamte. Der Lkw-Fahrer hupte und blendete Thierry durch den Rückspiegel mit Fernlicht.

      »Nicht einmal richtig Autofahren kannst du! Nicht mal das.«

      »Es reicht jetzt, Juliette. Bei der nächsten Gelegenheit fahre ich raus, dann fährst du! Dann ist fertig, Schluss und aus mit rummeckern.«

      »Gut. Fahr raus. Diesel ist auch alle.«

      »Benzin, verdammt noch mal!«

      »Mir doch egal, der Zeiger ist unten, das heisst: Zapfsäule.«

      »Du hättest tatsächlich Diesel reingelassen?«

      »Warum nicht?«

      »Weil der Motor kaputtgeht, darum.«

      »Um den Motor kümmerst du dich, auch um deine Mutter. Nur ich bin dir scheissegal, mit mir machst du, was du willst … Und um die verdammte Schulfreundin, um die kümmerst du dich anscheinend ganz besonders.«

      »Lass die jetzt mal aus dem Spiel«, knurrte Thierry. Sie war nahe an der roten Linie, die sie besser nicht überschritt.

      »Da, Aire de Tavel, fahr raus!«

      Nach einer Pause fuhr Juliette entschuldigend


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