Das Restrisiko beim Transport von Südfrüchten. Pirmin Müller

Das Restrisiko beim Transport von Südfrüchten - Pirmin Müller


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splendide sur la montagne!‹ – angepriesen worden, was für die oberen Geschosse galt, aber nicht für die unteren: Eine Reihe Tannen vor seinem Balkon verdeckte die Sicht auf alles, was mehr als einen Steinwurf entfernt war.

      Hamid Boulanouar, ein Mann mit wachen Augen und für sein Alter erstaunlich vollem Haar, erwartete ihn. »Salut Luc«, grüsste er mit rauchigem Timbre. »Ich soll dir ausrichten, dass der Hund von Madame Koch froh wäre, wenn du mit ihm spazieren gingest.«

      Hamid tat, als suche er eine Zigarette in seiner Hosentasche. Er rauche nicht, entschuldigte sich Luc, worauf er zu einem Kaffee eingeladen wurde.

      »Wenn es keine Umstände macht.«

      Hamid bat ihn hinein, Luc zog die Schuhe aus und rutschte auf Socken über das Parkett. Im Wohnzimmer wurde ihm der Platz auf dem Sofa angeboten, er setzte sich. Es tat gut, in Gesellschaft zu sein. Hamid servierte Kaffee.

      »Du hast einen praktischen Namen«, begann Hamid die Konversation. »Kurz und klar, ein Abenteurername, passend für einen Mann um die dreissig.«

      »Ich wurde nach dem Vater meiner Mutter benannt.«

      »Er muss ein besonderer Mann gewesen sein«, meinte Hamid freundlich. »Oder die Mutter war sehr durchsetzungsfähig.«

      Luc liess sich tiefer in das weiche Sofa fallen und nahm einen Schluck Kaffee. Da er nun das Tischchen mit der Hand nicht mehr erreichte, hielt er die leere Tasse in der Hand, er kam sich vor wie eine Tante beim Kränzchen. Aus einem ihm unerklärlichen Grund schaffte er es nicht, mit diesem Tässchen in der Hand zu antworten. Als hätte er Angst, es zu zerbrechen oder, schlimmer noch, mit der Stimme einer Frau zu antworten.

      Was ein Tässchen alles auslöst, dachte er beiläufig, und dass Sprichwörter mit Tassen durchaus geeignet waren, um Verrücktheiten auszudrücken. Er begann, das Porzellan rundherum zu begutachten, drehte und wendete es. Schien es ihm erforderlich, hielt er den Kopf schief, um eine Lichtspiegelung mit besonders distanziert kritischem Auge zu betrachten. Ein Räuspern weckte ihn aus seiner Meditation.

      »Hunger?«

      »Danke, nein.«

      »Musik?«

      »Warum nicht.«

      Hamid holte im Nebenzimmer eine Gitarre und einen Fussschemel, den er vor einem Stuhl platzierte. Als er sich eingerichtet hatte, entschuldigte er sich, er sei leider ausser Übung, es dauere, bis die Finger wieder Bescheid wüssten. Er zupfte einige Akkorde und lauschte den Klängen nach. Nach einem Moment der Stille fragte er: »Noch einen Kaffee?«

      Luc, der immer noch mit seinem Porzellangefäss haderte, hielt ihm dankbar die Tasse hin.

      »Dachte ich mir.« Hamid huschte in die Küche, von wo er mit einer vollen Tasse zurückkehrte.

      »Bereits gesüsst«, erklärte er und mit einem trockenen »Et voilà« überreichte er sie.

      Behutsam begann Hamid wieder die Saiten zu zupfen. Luc beobachtete seinen umtriebigen Nachbarn; er wusste nicht, wie er ihn einschätzen sollte, sinnierte darüber, liess es jedoch bald bleiben, die Melodien trugen seine Gedanken fort.

      Er döste ein.

      Selbstvergessen zupfte Hamid die Saiten und murmelte die Liedertexte, die er aus seiner Kindheit kannte.

      Plötzlich schrak Luc hoch. Ihm war, als hätte er etwas zu erledigen. »Der Hund«, erinnerte er sich und tippte sich mit dem Finger an die Stirn. Das Spiel wurde unterbrochen.

      »Der Hund?«

      »Ich sollte raus mit ihm.«

      Hamid stellte die Gitarre zur Seite und begleitete seinen Gast in den Flur, wo Luc seine Schuhe anzog und sich zwischen der Wohnungstür und Hamids wachen Augen etwas verloren vorkam.

      »Du spielst gut, Hamid. Mit Gefühl, ein richtiger Musiker. Ich spielte Klarinette, meine Mutter wollte es so – fürs Hausorchester.«

      Hamid zog eine Augenbraue hoch: »Eine musikalische Familie?«

      »Ja, liegt in der Familie. Ein Onkel ist Pianist, meine Mutter singt sehr gut.« Lucs Gesicht erhellte sich, er lächelte, als er weitersprach. »Mama hatte sich rührend gekümmert, geduldig, liebevoll. Dabei war klar, dass bei mir nicht viel zu holen war; ich war sportlich interessiert. Obwohl ich ganz passabel spielte.«

      »Wie meine Familie, damals. Wir spielten zu siebt auf Hochzeiten und Dorffeiern. Die ganze Nacht, alle gemeinsam.«

      »Wir gaben Konzerte bei befreundeten Winzerfamilien.« Luc trat ins Treppenhaus. »Es ist Zeit«, sagte er und bedankte sich.

      Ein Getriebener, dachte Hamid, trat einen Schritt zurück und sagte: »Geh mit Gott.«

      Luc lachte trocken.

      Hamid schloss die Tür.

      Draussen kroch der kalte Novembernebel einer formlosen Anschuldigung gleich durch die Kleider bis in seine gekränkte Seele. Nach einer Runde um den Block hatte er genug und teilte dem Boxerhund mit, dass er morgen mit Frauchen wieder seinen gewohnten Rundgang habe. Der Hund winselte, er hätte gerne noch den Waldrand inspiziert. Zum Trost nahm er ihn in seine Wohnung, wo er sich freudig auf dem Teppich vor dem Fernseher wälzte. Luc füllte sich ein Glas mit Wein, setzte sich aufs Sofa und klemmte die kalten Füsse unter den Hund, der es sich widerstandslos gefallen liess. Nach dem dritten Glas kam er ins Grübeln. Er dachte an seine Zukunft; dass sein Leben dringend einer Änderung bedurfte; dass er sich vorstellen konnte, diese Wohnung nicht nur vorübergehend zu bewohnen; dass er sich keinesfalls dem Alkohol ergeben durfte. Vor allem das nicht.

       5

      Aziz Bounabi sass schweigend hinter Luc und Thierry. Die Pistole in seiner rechten Hand pendelte von Fahrer zu Beifahrer und wieder zurück, der Oberkörper schaukelte unruhig, ein Fuss steckte unter dem Fahrersitz, der andere zitterte unablässig.

      Thierry Rodenbach dachte an Juliette, die in seinem Mercedes nach Hause fuhr, während er diesem verrückten Terroristen ausgeliefert war. Falls ihm etwas zustossen sollte, trug sie die Schuld, befand er, und irgendwie schien dieser Gedanke tröstlich; er stellte sich seine Beerdigung vor, wie Juliette unter Schuldgefühlen zusammenbricht, unablässig seinen Namen murmelnd.

      Luc reihte sich auf der rechten Spur hinter einem Zementtransporter ein. Er hielt grosszügig Abstand, der Verkehr rollte unaufgeregt. Vor dem Anstieg auf die Rhonebrücke überholte der kleine Peugeot, der ihm seit der Raststätte gefolgt war.

      Eine abfallende Tonfolge kündete seinen Disponenten an: »Hast du’s gehört?«, kam Meyer grusslos zur Sache.

      »Ich hatte Pause«, antwortete Luc ausweichend und hielt die offene Hand beschwichtigend Richtung Aziz, Thierry versah er mit einem warnenden Blick. Dieser verstand sofort: Klappe halten.

      »Schlimme Sache in Orange.«

      »Ich bin auf der Rohnebrücke, die Stadt liegt direkt vor mir.«

      »Ein Attentat, irgendwas in der Art, am besten schaltest du das Radio ein. Wahrscheinlich schliessen sie die Zufahrten und es gibt Kontrollen und Sperren der Autobahnpolizei.«

      Luc sah unauffällig in den Fonds der Kabine, von wo aus Aziz ihn mit dunklen Augen anstarrte. Der Junge gehört also dazu, dachte er, und erstmals wurde ihm der Ernst der Lage bewusst.

      »Attentat? Wann?«

      »Eine Schiesserei, Tote, Verletzte, grauenhaft.«

      »Ich schalte auf ›France Info‹. Die senden pausenlos die neuesten Nachrichten. Normalerweise erspar ich mir das, schlägt nämlich übel auf die Laune.«

      »Gute Idee, halt dich auf dem Laufenden … Schaffst du es bis um sieben nach Aarau?«

      »Wenn nichts dazwischenkommt.«

      »Pass auf dich auf.«

      »Keine Sorge, wir kommen klar.«

      »Wir?«


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