Comedy Queen. Jenny Jägerfeld
Ich will nicht darüber reden.« AHA! DANN LASS ES DOCH BITTE!
(Darum hab ich mich bei SÄMTLICHEN sozialen Medien abgemeldet. Das heißt, bis auf Youtube. Ich muss immerhin Stand-up-Clips checken.)
Wenn Papa ins Zimmer kommt und irgendwas verkündet und man sagt: »Okay, okay, alles klar«, und wenn er dann rausgeht, macht er die Tür nicht zu und ich muss hinter ihm herschreien: »Mach die Tür zu!«, und dann kommt er zurück und SCHIEBT die Tür nur zu, ohne sie zuzumachen, und man kann bloß noch stöhnen: »OOOOH, Mann! Was hab ich gerade gesagt?«
Wenn Mama sauer ist –
Ich höre mitten im Satz auf. Nehme den Stift vom Papier. Ich hatte nämlich vorgehabt zu schreiben; »Wenn Mama sauer ist und will, dass ich mit ihr Deutsch spreche, und mir keine Antwort gibt, wenn ich das nicht mache.«
Das wollte ich schreiben. Aber ich tu es nicht. Weil mich das nicht mehr zu nerven braucht. Wie sehr wünschte ich, dass sie mich wieder damit nerven könnte. Das wünsche ich so sehr, dass mir das Herz fast bricht. Ich würde von früh bis spät Deutsch sprechen. Obwohl ich darin so eine Niete bin. Ich würde nie etwas anderes tun, wenn ich sie dadurch wiederbekäme. Ich würde immer Deutsch sprechen.
Für kurze Momente vergesse ich, dass sie tot ist. So wie jetzt. Die paar Sekunden, die es gebraucht hat, um »Wenn Mama sauer ist« zu schreiben.
Klar ist es gut, dass ich nicht andauernd an sie denke. Aber wenn es mir dann einfällt, öffnet sich das Dunkel in meiner Brust. Das Dunkel, das wie ein Loch ohne Boden ist und sich endlos in alle Richtungen ausdehnt. Es ist, als würden Stücke meines Herzens in das Loch fallen. Sie fallen runter und verschwinden. Ich weiß nicht, ob ich sie jemals wiederfinden werde. Ob das Herz jemals wieder ganz werden kann. Ich radiere die Worte aus. Ich radiere »Wenn Mama sauer ist« aus. Radiere so fest, dass ein Loch im Papier entsteht.
DIE KUNST, EIN KANINCHEN ZU STREICHELN
Ich gehe durch den Aspudden-Park nach Hause. Sonst gehen Märta und ich immer zusammen, aber dienstags hat sie Banjo-Unterricht, believe it or not. Von allen Instrumenten im ganzen Universum wählt sie BANJO. Aber was weiß ich schon darüber? Einmal hat sie gesagt, sie liebt ihr Banjo mehr als ihren kleinen Bruder. Das glaube ich allerdings nicht so ganz. Das war nach dem BANJOTRAUMA, wie sie es nennt, als ihr Bruder das ganze Banjo mit Erdnussbutter vollgeschmiert hat. Ich könnte mir vorstellen, dass sie das ein bisschen beeinflusst hat. Seither nennt sie ihn nur noch den Banjoschänder.
Sie bewahrt ihr Banjo in einer glänzend schwarzen Hülle mit goldfarbenen Verschlüssen auf. Die Hülle ist innen mit grünem Samt gefüttert. Garantiert liegt nicht einmal die Krone des Königs in einer prächtigeren Hülle.
Die Luft ist kalt und klar, die Sonne steht so tief, dass die weißgelben Strahlen mich blenden. Vereinzelt liegen noch große Schneeflecken zwischen den kahlen Bäumen. Immer wenn ich Zeit habe, besuche ich die Kaninchen im Park und sage ihnen Hallo. Wenn ich Tiere streicheln und mit ihnen spielen kann, werde ich jedes Mal ganz froh und ruhig, und mein Herz wird irgendwie weich. Okay, nicht mit ALLEN Tieren. Wahrscheinlich würde ich weder froh noch ruhig werden, wenn ich einen Alligator oder einen Giftskorpion streicheln würde, aber ich denke, ihr checkt, was ich meine.
Die Kaninchen wohnen in vier kleinen Gehegen mit je vier Kaninchen. Eins der Kaninchen ist unglaublich niedlich und verschmust, ich nenne es Cookie Dough, obwohl es eigentlich Pistazie heißt. Pistazienkerne sind ja grün, also weiß ich nicht so recht, was man sich dabei gedacht hat. Cookie Dough ist nicht grün. Nein, sie sieht aus wie sahniges Vanille-Eis, mit vereinzelten braunen Teigstücken darin. Außerdem ist sie total süß, weil sie zur Hälfte ein Widderkaninchen ist und zur Hälfte was anderes, und darum hängt eines ihrer Ohren herunter, wie bei einem Widder, und das andere ragt kerzengerade in die Luft! Ich kann mich mit Cookie Dough identifizieren, weil ich auch zur Hälfte Widder bin, sozusagen. Ich bin am zwanzigsten März nachts um drei Minuten vor zwölf auf die Welt gekommen, genau an der Grenze zwischen den Sternzeichen Fisch und Widder. Aber zum Glück habe ich weder Hängeohren noch Ohren, die in die Luft ragen, sondern ziemlich normale Menschenohren, meiner Meinung nach.
Als ich jetzt beim Gehege ankomme, sehe ich Cookie Dough sofort. Sie hockt zusammengekauert da und mümmelt an einem Strohhalm herum. Ihre dicken weißen Kaninchenbacken bewegen sich heftig. Bestimmt hat sie keinen Papa, der sie ermahnt, immer SCHÖÖN LAANGSAAM zu essen, wie gewisse andere Personen. (Damit meine ich mich selbst.) »Hallo, Cookie Dough!«, sage ich, und da hört sie auf zu kauen und guckt zu mir hoch. Und vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber jedes Mal, wenn ich sie Cookie Dough nenne, scheint sie irgendwie dankbar auszusehen. Es ist, als wollte sie sagen: »Endlich! Endlich jemand, der kapiert, dass ich nicht GRÜN bin!«
Ich klettere über den Zaun und gehe ungefähr einen halben Meter von ihr entfernt in die Hocke. Die anderen Kaninchen hüpfen nervös davon, sie aber bleibt da und knabbert weiter an ihrem Halm. Zentimeter für Zentimeter verschwindet er in ihrem Mund. Dann rümpft sie ihr hellrosa Näschen, hebt es in die Luft und schnuppert. Ich ziehe einen Handschuh aus und halte ihr vorsichtig meine Hand hin. Cookie Dough riecht daran, als wäre sie ein Hund. Dann streiche ich ihr behutsam über das kuchenteigfleckige Fell. Sie ist unvorstellbar weich. Weicher als das Innere von Märtas Banjohülle. Viele Leute wissen nicht, wie man sich verhalten soll, wenn man Kaninchen streichelt. Meistens erschrecken die Kaninchen und hüpfen davon. Der Trick besteht darin, dass man keine hastigen Bewegungen macht, sondern die Hand sehr, sehr vorsichtig nähert. Obwohl die Kaninchen selbst sich total heftig bewegen, schätzen sie es nämlich überhaupt nicht, wenn andere das tun. Langsam strecke ich mich nach noch einem Halm aus und halte ihn dann Cookie Dough hin.
»Komm her, mein Häschen«, sage ich.
Mit zwei niedlichen kleinen Hopsern kommt sie angehüpft, dabei fährt das Wattebausch-Schwänzchen in die Luft. Dann hockt sie sich neben mein Bein. Ich stütze mich mit der Hand ab und setze mich ganz, ganz langsam in den Schneidersitz. Ich spüre den kalten Boden durch meine Jeans, spüre die Schneeflecken und weiß, dass ich durchnässt sein werde, aber das ist mir egal. Cookie Dough liegt direkt neben meiner Wade und wärmt sie mit ihrem dicken kleinen Kaninchenkörper. Sie ist meine Freundin. Ihr habe ich Sachen erzählt, die ich nicht einmal Märta gesagt habe. Auch für das, was eine beste Freundin verstehen kann, gibt es Grenzen. An und für sich ist es höchst ungewiss, wie viel Cookie Dough eigentlich versteht. Aber im Zuhören ist sie absolute Weltmeisterin. Vielleicht weil sie so große, lange Ohren hat? Ich streichle sie, immer wieder, immer wieder. Papa sagt, es müsse angenehm sein, ein Tier zu sein, weil die weder über Dinge grübeln, die früher mal passiert sind, noch sich wegen der Zukunft Sorgen machen. Entschuldigung, aber WOHER will er das wissen? Cookie Dough hat vielleicht Mega-Ängste, weil ihr Kaninchenkumpel Hasel in letzter Zeit mehr mit Cashew zusammensteckt, und überlegt jetzt VERZWEIFELT, mit wem sie am Nachmittag herumhüpfen soll.
Cookie Doughs Mama hat früher auch im Aspudden-Park gewohnt, das hat mir einer erzählt, der hier arbeitet. Aber vor zwei Jahren lag sie eines Morgens plötzlich da, einfach mausetot. Niemand weiß so genau, woran sie gestorben ist. Sie war kerngesund und auch nicht besonders alt. Aber vermutlich hat irgendetwas sie zu Tode erschreckt, vielleicht ein Fuchs oder so. Der Fuchs hat ihr nicht einmal etwas getan, sie war nämlich gar nicht verletzt. Sie hat es einfach gesehen und ist so erschrocken, dass ihr Herz stehen blieb. Manchmal denke ich, dass Mama auch zu Tode erschreckt wurde. Allerdings nicht unbedingt von einem Fuchs. Eher vom Leben.
Ich spüre Cookie Doughs kleines Herz durch das Fell, spüre, wie unglaublich schnell es schlägt. Ich will, dass ihr Herz für immer schlagen soll. Dann flüstere ich ihr in das Ohr, das in die Luft ragt: »Meine süße, süße kleine Cookie. Versprich mir, dass du weiterlebst, bis wir uns nächstes Mal wiedersehen. Bitte, versprich mir das!«
Doch da hoppelt sie plötzlich davon, rüber zum Holzhäuschen, wo die anderen Kaninchen kauern.
Heftig stehe ich auf, da werden die Kaninchen unruhig und hüpfen in dem Häuschen über- und durcheinander.
»Aber das MUSST du versprechen! Das musst du!«
Cookie schaut nicht mal zu mir her, sondern