Comedy Queen. Jenny Jägerfeld
durfte ich mir mein Geburtstagsfrühstück wünschen: Heiße Schokolade mit Schlagsahne. Obstsalat und Joghurt. Eine Scheibe Toast mit Erdbeermarmelade. Auf dem Tablett sind außerdem noch: eine brennende Kerze, eine Serviette mit einem Leoparden drauf und ein lila Blümchen in einem Eierbecher. Das hat Papa garantiert vom Usambara-Veilchen in der Küche abgezwickt. Ich setze mich im Bett auf. Ossi drängt sich an Papa vorbei. Er hat die Ärmel an seinem geblümten Hemd hochgekrempelt, jetzt kann man seine vielen Tätowierungen sehen.
»Du hast gar nicht geschlafen! Gib’s zu!«, sagt Ossi und umarmt mich. Er riecht nach Zigarettenrauch, aber bei ihm regt mich das nicht so auf. Außerdem riecht er immer danach, und es hat ja keinen Sinn, sich immer aufzuregen. Vor allem nicht über Ossi.
»Ein bisschen schwierig zu schlafen, wenn gewisse Typen morgens um halb sieben laut an der Tür klingeln«, sage ich. »Er ist wirklich ein hoffnungsloser Fall!«, sagt Papa. »Ich hab ihm direkt davor gesimst: ›Leise reinschleichen! Die Tür ist offen!‹ Manchmal hab ich den Verdacht, dass du meine SMS gar nicht liest?«
Papa dreht sich zu Ossi um, und Ossi fährt sich mit der Hand durch das schwarze Elvis-Haar. Vielmehr fährt er sich nicht mit der Hand DURCH das Haar, sondern eher ÜBER das Haar. Irgendwie streichelt er es, ganz vorsichtig, so wie man ein Kaninchen streichelt. Vermutlich weil er so viel Wachs und Spray und Zeugs draufgetan hat. Draußen könnte der totale Orkan sein, Ossis Haare würden trotzdem absolut unverändert aussehen.
»Hey, natürlich LESE ich sie, aber dann … also, vielleicht vergesse ich sie manchmal. Du weißt schon … ADHS.«
Ossi hat ADHS und redet sich immer irgendwie damit heraus. Wenn er zu spät kommt: ADHS. Wenn er vergessen hat, etwas zu besorgen: ADHS. Wenn er nicht zuhört: ADHS. Also, natürlich glaube ich nicht, dass er lügt. Garantiert fällt ihm manches schwerer, weil er ADHS hat. Aber gleichzeitig kommt mir unwillkürlich der Gedanke, dass es unglaublich praktisch sein muss, immer für alles eine Ausrede zu haben!
Jetzt verwuschelt er mir die Haare.
»Ehrlich, ich fahr echt auf deine neue Frisur ab!«, sagt er.
»Und ich fahr auf deine alte Frisur ab!«, sage ich und grinse. Ossi macht Platz für Omi, die brav hinter ihm gewartet hat. Sie lässt sich schwer auf die Bettkante sinken. Das ganze Bett knarzt. Omi wiegt über hundert Kilo. Behauptet aber, sie würde achtundneunzig wiegen. Papa meint, in Sachen Gewicht sei es problematisch, wenn man in den dreistelligen Bereich rutscht, und darum würde sie ein bisschen flunkern. Sie legt mir ein großes weiches Paket auf den Schoß. Es ist in weißes Papier mit hellblauem Blümchenmuster eingepackt, wie alle Geschenke von Omi. Eigentlich ist das kein Geschenkpapier sondern Tapetenpapier. Alle Geschenke, die ich je von Omi bekommen habe, sind in diese Tapete verpackt. Irgendwann vor fünfzehn Jahren hat sie aus Versehen zwanzig Rollen Blümchentapete gekauft, dann aber festgestellt, dass ihr das Muster nicht gefällt, und da war es zu spät, die Tapete zurückzugeben.
Omi nimmt meine Hand und hält sie fest. Schaut mir lange in die Augen, so lange, dass es fast ein bisschen lästig wird, und sagt:
»Sasha, wie FÜHLST du dich jetzt? An deinem zwölften Geburtstag?«
Es ist, als würde sie eine sehr tiefsinnige Antwort erwarten. Eine Art Weisheit, das Leben sei ein Geschenk, oder was auch immer. Aber da habe ich gerade nichts Passendes auf Lager.
»Äh … ja, das ist wohl … das ist so, wie wenn man von Natrium zu Magnesium geht.«
Omi sieht mich fragend an.
»In der Schule nehmen sie gerade die Elemente durch«, erklärt Papa. »Das Element mit der Nummer Zwölf ist Magnesium.«
»Aha. Ehrlich gesagt, nehme ich Magnesium gegen saures Aufstoßen«, teilt Omi mit.
Na super. Danke für die Info, Omi. Jetzt weiß ich also auch über Magnesium Bescheid.
Papa stellt das Tablett auf den Boden und drückt mich ganz fest.
»Glückwunsch, mein Schatz!«
In seiner Schlafanzugshose und dem abgetragenen T-Shirt sieht er froh und entspannt aus. Keine Brille. Ohne Brille kommt mir sein Gesicht immer verändert vor, irgendwie schutzlos, oder vielleicht so, als wäre er gerade erst aufgewacht. Ungefähr wie ein Panda ohne die schwarzen Ringe um die Augen.
»Ossi, die Geschenke!«
»Ja! Genau!«
Ossi stürzt aus dem Zimmer und kommt fünf Sekunden später mit drei Paketen im Arm zurück, die er aufs Bett kippt. Eins ist eine kleine Schachtel mit einer roten Samtschleife, eins ist ein weicher Karton, vielleicht etwas zum Anziehen, und das Dritte ist ein bisschen größer und härter, in blaues Papier eingepackt, irgendwas Buchmäßiges. (Aber hoffentlich nicht. Vergiss nicht Punkt 3 auf der Liste: Keine Bücher lesen.)
»Was ist von wem?«
Ich schaue von Papa zu Ossi.
»Alle sind von mir«, sagt Papa.
Ossi macht ein verlegenes Gesicht.
»Hm, also, gestern hab ich es irgendwie nicht rechtzeitig geschafft, und dann … hm… heute morgen hatten sie nicht auf.«
»Bekanntlich gibt es nur wenige Läden, die um sechs Uhr früh offen sind«, sagt Papa.
»Aber ich weiß GENAU, was ich dir kaufen werde, du kriegst es in allernächster Zukunft!«
Papa rollt die Augen.
»Das macht nichts«, sage ich.
»ADHS«, sagt Ossi entschuldigend und zuckt die Schultern. Aus Omis Paket kommen eine weiße superweiche kuschlige Decke und ein weißes superweiches Kissen, die aussehen, als wären sie aus Kaninchenfell, und sich auch so anfühlen (sind sie aber nicht, zum Glück!). Gefallen mir sehr. Von Papa bekomme ich einen Atlas (perfekt – ein Buch, das man nicht lesen muss, sondern nur anzuschauen braucht) und eine coole tighte Jeans (dunkelblau, aber ich werde versuchen, sie in eine rote oder vielleicht gelbe umzutauschen). Die kleine Schachtel hebe ich bis zuletzt auf. Alle drei starren mich erwartungsvoll an. Es ist ziemlich offensichtlich, dass sie wissen, was in dieser Schachtel ist.
»Vielleicht eine Uhr? Oder eine Halskette?«, sage ich, aber als ich die Schachtel schüttle, fühlt sie sich ganz leicht an, und nichts rasselt. Fast aufreizend langsam ziehe ich am Band der Schleife.
Als ich den Deckel öffne, begreife ich zuerst null. In der Schachtel liegt ein Foto, sonst nichts. Ein Foto von einem Hund. Von einem Welpen. Ein Cockerspaniel, glaube ich, hellbraun wie ein Sahnebonbon. Er ist so süß, dass man einen Zuckerschock kriegt. Ich drehe das Foto um. Da steht: Gratuliere! In sechs Wochen gehöre ich dir!
»Versteh ich nicht?«, sage ich und sehe zu Papa hoch. Denn ich kapiere überhaupt nichts.
Papa strahlt vor Begeisterung.
»Du bekommst ihn!«, sagt er. »Den Hund! Ich hab so unglaublich viel über diese Sache nachgedacht, und ich glaube, das wird richtig, richtig gut. Für dich. Für uns. Nach … allem, was passiert ist.«
Langsam geht es mir auf. Ich bekomme einen jungen Hund. Einen Welpen! Watteweiche Wärme breitet sich in mir aus. Es fühlt sich an, als hätte man mir tatsächlich einen Welpen, so einen knuddeligen sahnebonbonbraunen Welpen direkt auf den Schoß gesetzt.
Ich starre Papa an.
Seit meinem ersten Lebensjahr habe ich um einen Hund gebettelt. Wauwau war mein drittes Wort. Zuerst »Mama«, dann »Lampe«, dann »Wauwau«. »Papa« kam erst an vierter Stelle. Mein armer Papa. Jetzt kommt er immerhin an erster Stelle. Mein Interesse für Lampen hat trotz allem erheblich abgenommen.
Papa sieht mich an. Seine Augen funkeln. Ich schiele zu Ossi rüber, der begeistert grinst und von einem Fuß auf den anderen tritt, hin und her, als würde er tanzen. Es fällt ihm schwer, stillzustehen. Omi sitzt, wo sie sitzt, auf meiner Bettkante. Schwer und unbeweglich, aber mit einem Lächeln auf den Lippen.
Ein Welpe, der nur mir gehören wird, nur mir. Ein kleiner Hundewelpe, mit dem ich schmusen und kuscheln