Morgen ist woanders. Elisabeth Etz

Morgen ist woanders - Elisabeth Etz


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ist mir die, bei der ich für einige Haltestellen die Vorortelinie benutze, von der ich bislang nicht wusste, dass es sie gibt. Einmal kurz nachschlagen sagt mir, dass die meisten Bahnhöfe dieser Linie unter Denkmalschutz stehen, was Jeremy dazu bringt, einmal die gesamte Strecke abzufahren und Fotos zu machen.

      Vielleicht sollte ich einen Fotokurs machen. Irgendwann, wenn ich mehr Zeit habe.

       Laaerbergstraße

      Mit beschwingten Schritten mache ich mich auf den Schulweg, aber sobald ich durchs Schultor gehe, bin ich wieder Jakob. Jakob und sonst niemand.

      »Anthony macht ’ne Party«, sagt Lukas und schmeißt seinen Rucksack auf den Sessel neben mir.

      »Gehst du hin?«

      »Wann?«

      »Diesen Samstag.«

      »Diesen Samstag?« Diese zwei Wörter reichen, um Jeremy in mir zumindest kurz aufflackern zu lassen.

      Lukas sieht mich verwundert an. »Was grinst du denn so?«

      Mir war nicht bewusst, dass mein inneres Grinsen tatsächlich bis in meine Mundwinkel gewandert ist. »Ach nichts«, sage ich schnell und bemühe mich, wieder ernst dreinzuschauen.

      Jeremy. Ist. Ein. Glückspilz. Bei HulaHoop muss ich am Samstag raus und Gustavo hat erst ab Sonntag Zeit. Für die Nacht von Samstag auf Sonntag habe ich zwar schon Anfragen geschickt, aber noch keine Zusagen erhalten. Hat sich dieses Problem also quasi von selbst gelöst. Nach der Party kann ich sicher bei Anthony schlafen.

      »Ich komm fix«, sage ich also.

       Filmteichstraße

      Am Samstag bin ich schon um sieben bei Anthony.

      »Stell dein Zeugs einfach zu meinen Eltern ins Zimmer«, bietet er mir an. »Da kotzt dir sicher niemand drauf.«

      Ich hieve meinen Rucksack von den Schultern und stelle ihn neben das Doppelbett auf den Boden, dann folge ich Anthony in die Küche. Er grinst. »Erzähl mal!«

      »Gibt nix zu erzählen.«

      »Natürlich«, sagt Anthony ironisch. »Wenn du schon zu früh auf meiner Party auftauchst, dann musst du mir auch die Zeit vertreiben, bis die Bowle fertig ist.«

      »Ich wollt ja gar nicht so früh kommen«, verteidige ich mich.

      »Aber?« Anthony sieht mich fragend an.

      Ich zucke mit den Schultern. »Nix aber.«

      »Hm.« Anthony dreht mir den Rücken zu und schnippelt Apfelstücke. »Lukas hat da so was erwähnt.«

      »Lukas? Was hat der denn erzählt?« Ich versuche, ruhig zu klingen, aber mein Herz beginnt zu klopfen und meine Handflächen zu schwitzen. Was zum Teufel hat Lukas erzählt?

      Anthony dreht sich zu mir und grinst mich an. »Willst du?« Er hält mir eine Apfelspalte entgegen, die ich geistesabwesend nehme und mir in den Mund schiebe. »Sag schon, was hat Lukas gesagt?«

      Anthony grinst noch breiter. »Eh nix«, sagt er. »Aber so, wie du reagierst, gibt es irgendwas, das er erzählen hätte sollen.«

      Ich atme hörbar aus. Anthony weiß gar nichts. Mein Herzschlag beruhigt sich. Gleichzeitig bin ich enttäuscht. In Anthonys Augen bin ich wohl tatsächlich nur der kleine Jakob, der zwei Stunden zu früh bei einer Party auftaucht und nicht besonders interessant ist. Ich beginne wortlos, Bananen und Orangen in kleine Stücke zu schneiden und in die Bowlenschüssel zu werfen. Auch Anthony sagt nichts mehr.

      Mir fällt ein, dass ich meiner Mutter für morgen absagen muss. Ganz wohl fühle ich mich dabei nicht. Wäre schließlich gerade erst das zweite Sonntagsessen mit ihr. Aber ich nehme an, dass die Party lange dauern wird und ich danach erst mal ausschlafen muss. Da schaffe ich es vermutlich nicht, zu Mittag zum Essen zu kommen.

      Wir machen morgen einen Ausflug, Sonntagsessen also diesmal ohne mich, schreibe ich. Wer ›wir‹ sind, lasse ich offen.

      Schade, kommt gleich darauf zurück. Ich wünsch dir aber einen schönen Ausflug mein Großer.

      Mein Großer. So hat sie mich noch nie genannt. Fühlt sich komisch an. Schnell packe ich mein Handy wieder weg.

      Ich bin froh, als Lukas da ist. Er ist nach mir der Erste, der kommt. Mit dem letzten Bus, der aus unserer Siedlung in die Stadt fährt.

      Bei uns draußen gibt es nur ein Lokal, das ›Malibu‹. Dort kannst du Darts spielen oder einarmiger Bandit und dir die Birne wegsaufen. Am Nebentisch sitzt wahrscheinlich deine Nachbarin, und der Opa deines Volksschulfreundes greift der Kellnerin an den Hintern. Das Malibu verbindet die Generationen.

      Lukas und ich, wir waren die von der Tankstelle. Trostlos, ich weiß. Aber bevor wir uns ins Malibu setzen, stehen wir lieber vor den Zapfsäulen und trinken Dosenbier. Die Abende an der Tankstelle waren zwar nicht der Hammer, aber besser als nichts. Marcel hat die Schule abgebrochen und jobbt jetzt dort. Marcel ist okay. Zwar nicht der Hellste, aber noch immer besser als die Typen im Malibu.

      Langsam trudeln weitere Leute ein und bald ist es ziemlich voll. Anthony mag alle und alle mögen Anthony. Er ist gut darin, Leute zusammenzubringen. Egal welche.

      Anthony ist der perfekte Gastgeber und ständig woanders. Ich stehe mit Lukas im Türrahmen zum Wohnzimmer und fische die Früchte aus meinem Bowlenglas. Eigentlich mag ich Bowle nicht. Ist mir zu süß. Ich suche nach einem Ort, wo ich den vollen Becher unauffällig abstellen kann. Dann überlege ich es mir anders und kippe den Inhalt in einem runter. Wohin ich den Becher stellen soll, weiß ich dann aber immer noch nicht.

      Ich fühle mich komisch. Habe das Gefühl, meine Arme und Beine sind viel zu lang, und ich weiß nicht, wohin mit ihnen. Auf Partys ist es immer so, dass ich mit Lukas rumstehe und die anderen beobachte. Manchmal habe ich auch den Eindruck, als würden die anderen mich beobachten. Wie ich dastehe mit dem leeren Becher und nicht weiß, was tun. Vielleicht bilde ich mir das aber nur ein. Vielleicht schaut gar niemand. Vielleicht ist es nur die Bowle.

      Und dann reicht es mir. Mit dem Becherhalten und dem Komischfühlen und dem Nicht-wissen-wohin. Wieso steht Jakob einfach nur herum und lässt alles um sich geschehen? Jeremy würde sich was zu trinken holen, ein paar lockere Worte mit irgendwem wechseln und dann ab auf die Tanzfläche.

      Und er macht das jetzt einfach. Jeremy geht in die Küche, holt sich ein Cola aus dem Kühlschrank, schlendert dann gemächlich ins Wohnzimmer, wo schon relativ viele Leute herumstehen und sich unterhalten, aber niemand tanzt, weil nur leise Musik aus den Boxen kommt. Jeremy steckt eine Hand in die Hosentasche, mit der anderen setzt er die Flasche an den Mund und macht einen Schluck. Schaut sich um. Jeremy kann ganz anders schauen als Jakob. Jakob schaut, als würde er gleich den nächsten Fluchtweg suchen. Jeremy schaut, als wollte er herausfinden, wen er als nächstes zum Tanzen auffordern soll.

      Jeremys Arme und Beine haben genau die richtige Länge.

      Ich tippe einen Typen neben mir an, den ich definitiv noch nie gesehen habe. »Why is no one dancing?«, frage ich.

      »Everybody wait for Karaoke.« Er scheint sich nicht zu wundern, dass ich Englisch mit ihm spreche.

      »Ah, thanks.« Ich hebe meine Colaflasche.

      Heute Abend werde ich nur noch Englisch reden. Sollen die anderen doch denken, was sie wollen. Ich mache noch einen Schluck und wippe im Takt der Musik.

      Plötzlich dreht sich das Mädchen um, das bisher mit dem Rücken zu mir gestanden ist, und ich sehe, dass es Nadine ist. Nadine. Aus der Parallelklasse. Sie ist mir schon in der Unterstufe aufgefallen. Nicht, weil sie besonders hübsch wäre oder witzig oder besonders beeindruckend auf sonst irgendeine Art. Sie ist mir einfach aufgefallen. Und mit auffallen meine ich auffallen. Nicht gefallen. Auffallen.

      Weil wir nicht in dieselbe


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