Morgen ist woanders. Elisabeth Etz
Autobahnauffahrt, ich muss zum anderen Bahnhof, zum Hauptbahnhof. In Wahrheit wohnt Tom Turbo ganz woanders, aber solange Yossi und Anat noch dabei sind, muss Jeremy nach Budapest.
Yossi legt mir die Hand auf die Schulter: »Promise we’ll see each other again?«
»We are travelling but Vienna will stay our homebase«, sagt Anat.
»It’s so centrally located, it doesn’t take you long, wherever you want to go.«
»Sure«, sage ich wieder.
Anat umarmt mich. »We’ll stay in touch via IYH.«
Ich nicke. Yossi umarmt mich ebenfalls. Ich sehe ihnen lange nach, bevor ich mich auf den Weg mache und in die Straßenbahn steige.
Franklinstraße
Tom Turbo hat mir seine Adresse geschrieben und nachdem ich ein paarmal falsch abgebogen bin, stehe ich vor dem richtigen Haus. An einem Klingelschild steht tatsächlich ›Turbo‹.
Ich muss grinsen, als ich klingle. Entweder der Typ heißt wirklich so, oder er identifiziert sich sehr mit dem sprechenden Fahrrad.
»In den …of rein, dann …inks, Stiege …ei, vierter …ock«, schnarrt eine Stimme aus der Gegensprechanlage.
Das kann Stiege zwei oder auch drei geheißen haben. Ich drücke die Tür auf, die mit einem Knacken nachgibt, und gehe an der ersten Stiege vorbei in den Hof. Links ist die zweite Stiege, also tippe ich darauf. Richtig, im vierten Stock streckt mir Tom Turbo schon die Hand zum Gruß entgegen. »Hi Jeremy.«
»Hallo Tom.«
Toms Wohnung ist kleiner als die von Andi, aber einigermaßen gemütlich. Ich setze mich auf das Sofa, auf dem ich vermutlich auch schlafen werde. Tom stellt mir ohne zu fragen eine Flasche Bier hin, und obwohl ich lieber etwas Alkoholfreies hätte, mache ich einen großen Schluck.
»Heißt du wirklich Turbo?«, frage ich neugierig. Jeremy kann das fragen. Auch wenn man das sprechende Fahrrad in Schottland vermutlich nicht kennt, ist Turbo ein ungewöhnlicher Nachname.
Tom setzt sich auf einen Hocker neben der Couch. »Ja, man möcht’s nicht glauben.«
»Ehrlich?«
Er nickt. »Aber ich heiße nicht wirklich Tom.«
»Nicht? Wie dann?«
»Holger.« Tom nimmt einen Schluck Bier.
»Holger Turbo«, wiederhole ich und kann mir das Grinsen nicht ganz verkneifen.
»Und wie nennen dich die anderen?«, will ich wissen. »Tom oder Holger?«
»Meine Freunde Holger. Meine Gäste Tom.«
»Also Tom für mich«, stelle ich fest.
»Für dich Tom«, bestätigt er. »Du bist also schon ein paar Tage in Wien?«, fragt er gleich darauf.
Der Schreck fährt mir in Arme und Beine. »In Wien?«, versuche ich cool zu bleiben. »Nein, ich komme gerade aus München. Vor zwanzig Minuten hat mich mein Kumpel abgesetzt.«
»Aber dein Profil zeigt an, dass du gestern in Wien warst«, bleibt Tom dabei. »Hast dich zumindest gestern Nachmittag hier eingeloggt.«
»In … Wien … eingeloggt?«, stammle ich und gleichzeitig denke ich Scheißescheiße. Dass das Profil anzeigt, wo man sich zuletzt eingeloggt hat, ist mir nicht aufgefallen. Was soll ich jetzt sagen? Bloß nicht die Nerven verlieren.
Aber Tom lacht nur. »Ach, so was kommt vor. Ein Freund von mir ist ständig in Stockholm eingeloggt, dabei war der noch nie in Schweden. Manchmal spinnt das System einfach.« Ich lache erleichtert, aber mein Herz klopft wie verrückt. Ich muss auf solche Dinge besser achtgeben. Nicht, dass mich eine Kleinigkeit verrät.
Tom Turbo ist anders als blueballoon. Er will sich mit mir unterhalten. Richtig. Über Schottland und so.
Ich erzähle ihm alles, was ich von Kendra weiß. Ja, es regnet ständig. Ja, die Highlands sind faszinierend, aber den öffentlichen Verkehr kann man vergessen. Nein, wir spielen nicht alle Dudelsack, aber ich habe tatsächlich einen Kilt zuhause. »So wie man hier ein Dirndl hat oder eine Lederhose.« Ich spreche es ›Dörndl‹ aus und ›Leyderhose‹.
Tom lacht. »Ich hab sowas nicht.«
Ich auch nicht, aber woher soll Jeremy das wissen.
Tom will ein Foto von Jeremy im Kilt sehen, aber Jeremy winkt ab. Dafür erzähle ich, was Kendra mir erzählt hat. Dass nämlich jeder Clan ein eigenes Stoffmuster hat, und wenn man nicht vor allzu kurzer Zeit eingewandert ist, weiß man auch, zu welchem Clan man gehört und welchen Stoff man hat. Nicht, dass das im Alltag noch irgendeine Rolle spielen würde. Wenn man Glück hat, gibt es mehrere Familiennamen im Stammbaum und man kann sich den Stoff mit den schöneren Farben aussuchen.
»Schau, so sehen die Kilts unserer Familie aus.« Ich halte Tom mein Handy hin, auf dem ich Kendras Familientracht ergoogelt habe. Hat sie mir damals gezeigt.
»Und welcher Clan ist das?«
Auf die Frage bin ich inzwischen vorbereitet. »Gunn. So heiße ich mit Nachnamen. Es gibt aber genug Leute im Clan, die längst nicht mehr so heißen, die haben trotzdem die Gunn-Tracht.«
Kendra zum Beispiel. Ihren Nachnamen zu klauen, käme mir zu dreist vor, aber zu ihrem Clan würde ich gerne gehören. Außerdem gefällt mir das Muster besser als so manches andere.
»Und die Frauen haben nichts?«, will Tom wissen. »So dirndlmäßig oder so?«
Ich schüttle den Kopf. »Nicht, dass ich wüsste.« Das kann ich zugeben, denn das hat Kendra mir damals auch geantwortet.
»Du und sag, stimmt das, dass ihr drunter keine Unterhosen tragt?« Tom fragt tatsächlich genau die Dinge, die ich Kendra damals auch gefragt habe. Aber klar, das mit den Unterhosen wollen immer alle wissen, hat sie damals gemeint.
»Das hängt davon ab, wie ernst du es nimmst.« Ich grinse. »Und wie sehr du den Leuten in deiner Umgebung vertrauen kannst.«
Tom lacht und will danach nichts mehr über schottische Kleidungsgewohnheiten wissen. Zum Glück.
Tom ist okay, aber auch ein bisschen anstrengend. Ich habe solches Glück mit Andi gehabt, dass ich wohl etwas verwöhnt bin. Schlüssel gibt es diesmal keinen für mich.
Du hast 2 Freundschaftsanfragen steht da, als ich auf IYH einlogge.
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Ich bestätige.
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Ich scrolle hinunter, um zu lesen, was Andi geschrieben hat.
Dass ich Jeremys erster Gastgeber war, hat man gar nicht gemerkt – so unkompliziert ist es selten mit einem Gast. Wir hatten so viel Spaß zusammen! Viel Glück auf deinem Weg Richtung Balkan, und melde dich auf dem Rückweg, ja?
Auch von Yossi und Anat ist was da. Freundschaftsanfrage und Bewertung.
You have to love Jeremy! steht da. In this superficial world it is rare to find people who are so much themselves. We’re sure our paths will cross again in Vienna and if you ever decide to travel with us you are more than welcome!
People who are so much themselves, denke ich. Ich weiß nicht, ob ich schockiert oder geschmeichelt sein soll. Wahrscheinlich eine Mischung aus beidem. So much myself.
Ich mache mich daran, ebenfalls Bewertungen zu hinterlassen, als Tom mir über die Schulter schaut. Hastig drücke ich die Seite weg. Wenn er sieht, dass ich Andi eine Bewertung hinterlasse, merkt er, dass ich tatsächlich schon in Wien war.
»Wollt nur sagen,