Morgen ist woanders. Elisabeth Etz
ich mich für ein Duschgel mit Sandelholzduft entscheide.
Nach dem Duschen überlege ich, ob ich gleich in meinen Pyjama schlüpfen soll, entscheide mich aber dagegen. Irgendwie würde ich mich komisch fühlen, vor Andi im Pyjama herumzulaufen.
Andis Wohnung ist groß für eine Person und sehr aufgeräumt. Mir fällt auf, dass alle Zimmer getrennt begehbar sind. Ob er hier mal mit anderen Leuten gewohnt hat oder immer alleine? Ich weiß nicht, ob ich sowas einfach fragen kann. So brennend interessiert es mich dann auch wieder nicht.
Ich weiß eigentlich gar nicht, wie ich mal leben will, später. Wenn ich die Matura in der Tasche habe. Alle gehen wohl davon aus, dass ich mit Lukas in eine WG ziehe. Lukas selbst hat mal sowas angemerkt und ich vermute, er geht einfach davon aus, dass wir das tun werden. Weil es naheliegend wäre und einfach. Ob ich das will, weiß ich gar nicht. Ich will es jedenfalls nicht nicht, aber das ist nicht dasselbe.
Andis Sofa ist bequem, als ich mich darauf ausstrecke. Ich stelle mein Handy auf lautlos und schiebe es unter den Kopfpolster, um das Vibrieren des Weckers auch wirklich zu bemerken. Darauf, von alleine rechtzeitig aufzuwachen, kann ich mich nicht verlassen. Draußen vor dem Fenster fahren mehrere Autos hupend vorbei, vermutlich hat irgendwer geheiratet. In der Nachbarwohnung höre ich jemanden husten. Ich bin viel zu aufgeregt, um gleich einschlafen zu können.
Alles klingt so anders als bei uns zuhause. Nicht, dass ich noch nie in der Stadt übernachtet hätte. Ich war schon in vielen Städten. Mit meiner Mutter und Mart. Mit Lukas. Doch das hier ist etwas anderes. Ich weiß, bei Andi bin ich nur zu Gast. Aber in der Stadt, da lebe ich jetzt. Da gehöre ich jetzt hin.
Dass Mart sich gar nicht meldet, wundert mich. Das passt nicht zu ihm. Anscheinend habe ich wirklich etwas gefunden, das ihn aus dem Konzept bringt: die Tatsache, dass mein Vater wieder eine Rolle in meinem Leben spielt. Ich lächle in mich hinein. Gut so.
Andi bemüht sich sehr, leise zu sein und mich nicht aufzuwecken, als er ins Wohnzimmer kommt, um irgendwas zu holen. Ich kuschle mich in die Bettdecke und lausche. Wasserkocher, Toaster, Zähneputzen, Klospülung. Dann endlich das erhoffte Geräusch der Wohnungstür, die ins Schloss fällt. Ich sehe auf die Uhr. Fünf vor sieben.
Vorsichtshalber bleibe ich noch einige Minuten liegen, es kann ja sein, dass Andi etwas vergessen hat und zurückkommt. Tut er aber nicht. Ich bemühe mich, die Bettwäsche auf dem Sofa so schön zusammenzulegen wie möglich, ziehe mich an, gurgle mit Andis Mundwasser und stehe innerhalb von fünf Minuten vor der Wohnungstür, um sie zuzusperren.
In die Schule brauche ich länger als sonst. Aber es ist egal, dass mir der Bus knapp vor der Nase davonfährt, denn fünf Minuten danach kommt der nächste. So ist das in der Stadt. Pünktlich zum Läuten bin ich in der Klasse.
Laaerbergstraße
Während der Brunner den Schularbeitsstoff an die Tafel schreibt, die Kreuz-Matek einen Schreianfall kriegt, David und Azra in der Ecke rumknutschen, Taisa zum tausendsten Mal im Unterricht aus der Klasse geschickt wird, Anthony meine Hausaufgabe abschreiben will, während Stunden und Pausen sich abwechseln, lächle ich in mich hinein. Ich habe ein Geheimnis, das mich von innen wärmt. Ich bin on the road und es fühlt sich ziemlich gut an.
Während ich sonst jede Gelegenheit nutze, nach der Schule noch rumzustehen, mache ich mich jetzt gleich nach dem Läuten auf den Weg in die Tannengasse. Es gefällt mir, dorthin zu fahren. Ich mache nur einen kleinen Umweg, um im Supermarkt Tiefkühlpizza zu kaufen. Andi hat zwar gesagt, dass ich mich aus seinem Kühlschrank bedienen kann, aber ich will mir nicht zu viel herausnehmen.
Tannengasse
So schnell nach dem Essen habe ich mich noch nie an meine Hausaufgaben gesetzt. Normalerweise schmeiße ich mich erst mal aufs Bett, spiele Computer oder blättere in irgendeinem Magazin, ohne es richtig zu lesen.
Aber jetzt ist es anders. Hausaufgaben gehören zu Jakob, und der ist nicht hier. Alles was Jakob ist, muss schnell erledigt werden, um Platz zu machen für Jeremy.
Natürlich könnte ich einfach drauf pfeifen. Einfach keine Hausaufgaben mehr machen, nicht mehr für Tests und Schularbeiten lernen, einfach Tourist spielen. Lust dazu hätte ich. Aber das geht nicht. Ich war immer gut in der Schule und es würde auffallen, wenn meine Noten plötzlich absacken. Man würde fragen, was los ist. Ob etwas los ist. Das will ich vermeiden. Außerdem fehlen mir nur noch eineinhalb Jahre. Zehneinhalb habe ich schon rum, und das Ganze jetzt sausen zu lassen, wäre Leichtsinn.
Ich habe keine Ahnung, was ich nach der Schule machen will. Es gibt kein Fach, das mich besonders begeistert, ich kann noch nicht mal sagen, ob ich eher der mathematische oder der Sprachen-Typ bin. Viele würden wahrscheinlich gleich auf Sprachen tippen, aber ich glaube nicht, dass das stimmt. Mein Englisch ist wegen der Au-pairs akzentfrei, nicht weil ich so talentiert bin. Mein Französisch ist Durchschnitt und ich habe keinerlei Ehrgeiz, irgendwelche anderen Sprachen zu lernen. Aber auch Mathe oder Physik finde ich nicht umwerfend.
Eigentlich interessiert mich gar nichts besonders. Richtig schwer fällt mir aber auch nichts. Wenn jemand gut erklären kann, verstehe ich es. Wenn ich mich hinsetze und lerne, merke ich es mir. Kann es mir niemand erklären oder bin ich zu faul zum Lernen, dann kapiere ich auch nichts. So ist das. Wenn mich jemand nach meinen Berufswünschen fragt, weiß ich keine Antwort. Am liebsten wäre ich Synchronsprecher für Filme. Das würde mir gefallen. Nachsprechen, was andere spielen. Nicht selber spielen müssen. Nicht ich selber sein müssen. Einfach im Dunkeln sitzen und die Leben anderer Menschen spielen. Das wäre etwas für mich.
So aufgeregt war ich beim Hausaufgabenmachen noch nie. Ständig drehe ich mich zur Tür um und zucke bei jedem Knacken zusammen, obwohl ich weiß, dass Andi erst um sechs Uhr heimkommt.
Den Aufsatz müssen wir erst nächste Woche abgeben, aber ich beschließe, ihn schon heute fertig zu schreiben. Wer weiß, wie viel Zeit ich in den nächsten Tagen dazu habe.
Andi will gleich ums Eck abendessen und ich tue ihm den Gefallen. Ein indisches Lokal, von dem er meint, dass Jeremy es unbedingt probiert haben muss.
»Und, wo warst du heute?«, fragt er, nachdem der Kellner die Teller vor uns hingestellt hat.
Auf die Frage bin ich vorbereitet. »Ich habe mal mit dem klassischen Sightseeingprogramm angefangen. Innenstadt und so, Stephansdom, Oper …«
Andi nickt und schiebt sich ein Stück frittiertes Gemüse in den Mund. Pakora heißt das. Muss ich mir merken. Muss mir all diese Dinge merken, die Jeremy sicher weiß, ich aber noch nicht.
»Dann wollte ich in ein typisches Wiener Kaffeehaus, aber ich habe nur so Touristenscheiße gefunden. Ich bin dann im Café Museum gelandet …«
»Brr.« Andi schüttelt sich. »Furchtbar.«
Ich nicke. »Außer mir waren nur Japaner da.«
Andi lacht. »Ich werd dir mal sagen, welche gut sind.«
Darauf habe ich gehofft. Die nächste halbe Stunde verbringt Andi damit, mir versteckte Wiener Kaffeehäuser aufzuzählen, von denen ich tatsächlich die meisten nicht kenne und somit ganz echt und ehrlich überrascht sein kann.
»Wirst sehen, du bleibst länger als bis Mittwoch«, schließt er seinen Monolog und lehnt sich zurück. »Ich wette mit dir.«
Jeremy lächelt. »Kann gut sein.«
»Du solltest aber dein Profil updaten«, sagt Andi. »Hast echt Glück, dass es ich war, dem du deine erste Anfrage geschickt hast. Gibt nicht viele, die sich zurückmelden, wenn du weder Freunde noch Bewertungen hast und so wenig Angaben über dich selbst machst.« »Hm, ja«, sage ich verlegen. »Ich habe erst vor kurzem von IYH erfahren, deshalb kenne ich da noch niemanden.«
»Schon klar, aber einige Felder solltest du schon ausfüllen. Müssen ja nicht alle sein. Und ein Foto hochladen. Damit sich die anderen eine Vorstellung davon machen können,