Morgen ist woanders. Elisabeth Etz

Morgen ist woanders - Elisabeth Etz


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der Streit diesmal gar nicht so besonders schlimm. Nicht schlimmer als sonst. Es gibt Menschen, die würden sagen, es war der Vollmond. Oder der Schütze, der gerade das Haus des Wassermannes durchquert hat. Man könnte auch dem Klimawandel die Schuld geben. Oder Feinstaub, Gluten und Laktose.

      Als ich am nächsten Tag aufwache, steht mein Vater mit einer Tasse Kaffee in der Hand am Fenster. Sobald er hört, dass ich mich bewege, dreht er sich zu mir um.

      »Guten Morgen.«

      »Morgn«, nuschle ich.

      »Hätte ich dich aufwecken sollen?«, fragt er unsicher. »Ich wusste nicht, ob du samstags Schule hast.«

      Ich schüttle den Kopf und reibe mir die Augen.

      »Gut geschlafen?«

      »Mhm.«

      »Soll ich dir einen Kaffee machen? Oder Tee? Oder …«, er zögert, »Kakao?«

      »Danke, geht schon«, murmle ich.

      Ich will nicht aufstehen, denn sobald ich aufstehe, muss ich irgendetwas tun. Aber was, weiß ich nicht. Meinem Vater geht es vermutlich genauso.

      »Vielleicht doch Kaffee?«, sage ich also.

      Mein Vater nickt, sichtlich erleichtert, und macht sich an der Espressomaschine zu schaffen.

      Weil er so ungewöhnlich freundlich ist, nehme ich all meinen Mut zusammen. Mein Herz klopft so stark, dass mir fast die Luft wegbleibt.

      »Sag mal, könnte ich vielleicht eine Zeit lang bei dir wohnen?«, stoße ich schnell heraus.

      Mein Vater sieht erschrocken aus. »Hier, meinst du? Bei uns?«

      Ich nicke vorsichtig.

      »Äh …«

      »Es geht zuhause nicht mehr«, bringe ich gerade noch heraus. »Ich kann nicht mehr.«

      »Du kannst nicht mehr«, wiederholt er abwesend. »Und du denkst, bei uns kannst du?«

      Ich zucke die Achseln. »Du willst mich nicht.«

      Er lächelt verkrampft. »Jakob, das hat nichts mit Wollen zu tun. Natürlich kannst du hier ein paar Tage übernachten. Mein Haus ist dein Haus.«

      Ich verziehe mein Gesicht zu einem Grinsen, das wahrscheinlich ebenso gequält wirkt wie seines.

      »Aber am Montag kommt Gudrun zurück und was glaubst du, was dann hier los ist, wenn die Kleinen hier herumturnen?«

      Ich presse die Lippen aufeinander. Die Kleinen. Meine Geschwister. Irgendwie.

      »Schau mal, bis morgen Abend kannst du hierbleiben. Dann hat sich sicher zuhause alles wieder beruhigt.« Er lächelt bemüht. »Ich weiß, es ist nicht leicht als Teenager. Aber das ist es woanders auch nicht. Glaub mir.«

      Er steht auf und stellt seine Tasse in die Abwasch. »Ich muss in die Arbeit.«

      »Am Samstag?«

      »Man kann sich’s leider nicht aussuchen.« Er legt einen Schlüssel vor mich auf den Esstisch.

      »Den kannst du bis morgen haben. Und nimm dir einfach aus dem Kühlschrank, was du willst. Weiß nicht, ob was für dich drin ist, aber wenn ja, bedien dich.«

      Mein Haus ist dein Haus. Ein paar Tage lang.

      Der Inhalt des Kühlschranks passt zum Interieur der Wohnung. Bewusste Ernährung. Teuer, aber mit echtem Wert. Kaum Produkte aus dem Supermarkt, Antipasti vom Italiener, Kürbiskernöl vom Bauern, Fair-Trade-Orangendirektsaft statt Konzentrat.

      Ich kann verstehen, warum sie mich nicht wollen.

      Dann eben nicht. Ich dränge mich sicher nicht auf.

      Eine halbe Stunde nach meinem Vater verlasse ich die Wohnung, schmeiße die Tür hinter mir zu und den Schlüssel in den Briefkasten. Auf dem Esstisch habe ich einen Zettel hinterlassen:

      Dich brauch ich eh nicht.

      Nicht, dass ich wieder nachhause will. Aber wohin sonst, weiß ich auch nicht.

      Mart und meine Mutter wohnen in einem Vorort außerhalb der Stadt. Inmitten von Einfamilienhäusern mit kleinen und mittleren Gärten. Die Straßen haben Namen wie Fliedergasse oder Rosenweg und jede halbe Stunde geht ein Bus in die Stadt. Am Wochenende nur einmal die Stunde.

      Als ich um die Ecke zur Busstation biege, sehe ich gerade noch die Bremslichter, dann biegt der Bus um die Ecke. Muss ich also eine Stunde warten. Als wüsste die Buslinie, dass ich da eigentlich gar nicht hinwill.

       Schützenweg

      »Na, reumütig zurück?«, fragt Mart laut.

      Ohne zu antworten, ziehe ich meine Schuhe aus und hänge die Jacke an den Garderobenhaken.

      Meine Mutter kommt ins Vorzimmer.

      »Schau mal, der Herr Sohn«, sagt Mart mit näselnder Stimme zu ihr. Dann wendet er sich wieder mir zu. »Ist es beim Herrn Vater doch nicht so toll gelaufen? Hat sich der Herr Sohn da ein bisschen verkalkuliert?«

      Ich werfe ihm einen bösen Blick zu.

      »Sprechen verlernt?«, spottet Mart. »Ich sage jetzt nicht, dass ich das gleich gewusst habe.«

      »Hast du aber falsch gewusst«, fahre ich ihn an.

      Mart grinst. »Ach, wo ist denn die dicke Geldtasche?«

      Niemand kann mich so aufregen wie Mart, wenn er von Geld anfängt. Außer meine Mutter, wenn sie danebensteht und nichts sagt. Nichts. Gar nichts.

      »Es gibt auch noch anderes im Leben als dicke Geldtaschen«, sage ich wütend.

      »Mag sein«, meint Mart. »Aber wenn man von zuhause wegwill, sind sie manchmal unerlässlich.«

      »Glaubst du.«

      »Das glaube ich nicht, das weiß ich«, sagt Mart selbstzufrieden. »Und du bist auch gerade auf dem Weg, es herauszufinden.«

      Ich ignoriere ihn und gehe die Stufen zu meinem Zimmer hinauf. »Hat er dich überhaupt noch erkannt?«, ruft er mir nach. »Wahrscheinlich weiß er gar nicht mal mehr, dass er einen Sohn hat.«

      Statt einer Antwort knalle ich die Tür meines Zimmers hinter mir zu.

      Gedämpft höre ich, wie meine Mutter etwas zu Mart sagt und er antwortet. Das einzige Wort, das ich verstehe, ist ›Scheißkerl‹. Ich bin mir nicht sicher, ob er damit mich meint oder meinen Vater.

      Macht aber auch keinen Unterschied.

      Mein Zimmer ist wie immer. Meine Mutter hat mir die saubere Wäsche aufs Bett gelegt. Der Computer läuft auf Standby. Der Baum vor dem Fenster verliert seine Blätter.

      Was zum Teufel hab ich mir dabei gedacht, wieder zurückzukommen? Hab ich wirklich gedacht, dass es sich anders anfühlt, bloß weil ich eine Nacht weg war?

      Wie in Trance hole ich meinen Tramperrucksack aus dem Schrank. Ziehe die Schubladen heraus. Beginne, wahllos Zeug einzupacken. Stopfe die Wäsche vom Bett hinein und schiebe meine Schulsachen irgendwo dazwischen. Hefte, Bücher, Geodreieck, Unterhosen, T-Shirts. Zum Glück hat mein Rucksack genug Seitentaschen. Die Umhängetasche, die mir Lukas mal geschenkt hat, kommt auch mit. Wer weiß, was ich alles brauche. Aus dem Badezimmer hole ich meine Zahnbürste.

      Ich versuche, im Kopf durchzugehen, was ich noch benötige, kann mich aber nicht konzentrieren. Vielleicht habe ich das Wichtigste vergessen, bestimmt sogar. Wahrscheinlich muss ich noch mal zurück. Egal. Erst einmal gehe ich. Aber richtig.

      Als ich voll bepackt die Stiegen hinuntersteige, sind meine Mutter und Mart nicht mehr im Vorzimmer. Ich bemühe mich, viel Lärm zu machen, huste, schlage mit dem Rucksack gegen das Geländer. Sie sollen sehen, wie ich gehe. Diese Genugtuung will ich haben.

      Mein Gepolter holt meine Mutter tatsächlich wieder


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