Das Erbe von Grüenlant. Band 3: Schwarzes Land. Christina Kunz
und der ins Straucheln kam, wenn jemand etwas Überraschendes tat und eine Reaktion von ihm erwartete. Aus einem Impuls heraus drückte ich ihm die Hand. „Ich bin froh, dass du bei uns bist.“
Gernot sah mich überrascht an und geriet ins Stottern. „Ich – ja, gerne …“
Am Abend erreichte die Gruppe die Abzweigung zum Blinden Fleck. Auf einer Lichtung nahe des Weges organisierte Gernot das Lager. Er war froh, eine sinnvolle Aufgabe übernehmen zu können. So ganz war ihm dieses Unternehmen nicht geheuer – er war sich nicht sicher, ob Natalie einen konkreten Plan verfolgte oder einem Impuls folgend gehandelt hatte. Lange genug darüber nachgedacht hatte sie ja. Aber wie sollte es weitergehen, was war ihre Strategie? Im Moment schien ihm das Ganze noch wenig durchdacht. Nach Vârungen reiten, ja – Keiran befreien, wie? -– Magna töten, ja sicher, ganz einfach. Und sie hatte doch gar keine Ahnung von dieser Welt. Sie kämpfte zwar meisterhaft und konnte auch ihre Magie schon erstaunlich gut beherrschen, aber sonst? Worauf hatte er sich da nur eingelassen? Er wäre lieber mit General Letho und Kommandant Blunt nach Kunningshort gezogen, aber Gunhild hatte ihn eindringlich darum gebeten, ja, im Grunde hatte sie ihm befohlen, auf Natalie aufzupassen. Nun war er also der Leibwächter der Königin, den schien sie auch bitter nötig zu haben. Außerdem schätzte Gernot Keiran sehr, schon deswegen musste er Natalie begleiten. Das war das Mindeste, was er für seinen ehemaligen Gefährten tun konnte.
Gernot verdrängte seine Zweifel an dem Unterfangen. Er erinnerte sich an Natalies Kampf mit Hekon. Damals hatte er auch gezweifelt, und dennoch hatte sich später herausgestellt, dass es ein guter Schachzug gewesen war. Sowohl Adana als auch Javana und Tonan schienen ihr wohlgesonnen zu sein. Er wusste manchmal wirklich nicht, was er von ihr halten sollte.
Keiran?
Ich musste es einfach versuchen. Nach der Nacht, in der ich ihn vor der Dunkelheit gerettet und die mich so viel Energie gekostet hatte, war es mir nicht mehr möglich gewesen, ihn zu erreichen. Ich war zwar körperlich wieder einigermaßen bei Kräften, aber meine Magie gewann nur langsam ihre alte Form zurück. Wie sehr ich mich nach ihm sehnte.
Natalie! Endlich. Du hast mir so sehr gefehlt …
Du mir auch. Ich war überglücklich. Wie geht es dir? Wo bist du?
Wir werden die Vârburg morgen erreichen …
Meine Güte! Wir mussten uns beeilen. Wenn er erst dort war, würde es für Magna kein Halten mehr geben.
Halte durch, Liebster! Wir sind auf dem Weg zu dir. Ich versuchte, möglichst zuversichtlich zu klingen, auch wenn mein Magen sich gerade krampfhaft zusammenzog.
Wie wollt ihr das so schnell schaffen?, wollte Keiran wissen.
Wir reisen durch den Blinden Fleck.
Natalie, nein! Das ist viel zu gefährlich! Jetzt klang er wirklich besorgt.
Keiran, wir haben keine andere Chance. Wir holen dich da raus.Wie hätte er mich daran hindern sollen? Er war ja so weit entfernt …
Du lässt dich ja sowieso nicht davon abbringen, oder?
Nein. Ich lächelte. Keine Chance, Keiran Lasalle. Ich liebe dich!
Starrköpfiges Weib … Ich spürte, wie auch er lächelte. Ich liebe dich auch.
Getrud hatte sich etwas abseits von der Gruppe gesetzt. Sie war unsicher, was sie tun sollte. Natalie wollte nichts über die Zukunft wissen, aber ein kleiner Fingerzeig war bestimmt nicht verkehrt. Ihre Mutter Gunhild hatte sie von ihrer gefährlichen Vision in Kenntnis gesetzt, mit der Weisung, ihr Wissen darüber nur einzusetzen, wenn es absolut notwendig war. War es das bereits?
Während sie noch haderte, näherte sich ihr Hekon zaghaft. „Darf ich mich zu dir setzen?“ Unbeholfen knetete er seine Hände.
„Aber ja.“ Es war kaum zu glauben, wie sehr sich der einstmals schwarze Krieger verändert hatte, seit Natalie gegen ihn gekämpft und gewonnen hatte. Gertrud mochte ihn inzwischen sehr gerne und sie freute sich, dass er ihr Gesellschaft leistete. An ihm zeigte sich deutlich, dass Menschen nicht von Natur aus gut oder böse waren. Sie wurden hineingeboren in ein Umfeld und nahmen dessen Werte als wahr und richtig an. Es zeugte von Größe, darüber nachzudenken und sich gegebenenfalls neu zu orientieren, so wie Hekon es getan hatte.
Schweigend saß er nun neben Gertrud, deren sanftes Wesen stets beruhigend auf alle wirkte.
„Es tut mir immer noch so leid. Das hört nie auf, oder?“ Traurig starrte er vor sich hin.
Gertrud sah ihn von der Seite her an. „Ich weiß nicht … Du musst es akzeptieren, eine andere Möglichkeit hast du nicht.“
„Ich hätte es nicht tun müssen. Der junge Mann könnte noch am Leben sein.“ Hekon schien immer noch verzweifelt, die Gedanken daran, wie er Keirans Adjutanten geköpft hatte, ließen ihn einfach nicht los. Hilflos richtete er seine schwarzen Augen auf die Spiritistin.
Gertrud nahm seine Hand in ihre Hände und beruhigte seine aufgewühlten Gefühle. Dabei sah sie ihm fest in die Augen.
„Doch, musstest du. Du warst noch nicht so weit zu erkennen, dass es falsch war, was du getan hast. Außerdem standest du unter Magnas Einfluss. Dir kann keiner einen Vorwurf machen, am wenigsten du selbst. Vielleicht wärest du dann jetzt tot. Wichtig ist, was du jetzt tust! Lass die Vergangenheit ruhen, Hekon.“ Eindringlich sah sie ihn an.
Dann lehnte sie ihren Kopf an seine Schulter und streichelte sanft seine Hand. Schüchtern legte er den Arm um sie und gemeinsam lauschten sie der Stille der Nacht, dem leisen Rascheln der Blätter im Wind und dem Zirpen der Grillen.
Vor den Toren Mulinbercs hatte sich ein Heerlager formiert, wie Jeremy es vorausgesagt hatte: Fünfhundert Mann, davon etwa dreihundert Vasallen aus den Dörfern Grüenlants und zweihundert ausgebildete Soldaten. Jeremy würde das Heer führen. Er war immer noch erstaunt über seine steile Karriere. Keirans überraschender Wegfall und sein Vertrauen in ihn hatten dies ermöglicht, und mehr als einmal hatte er sich gefragt, ob er dem gewachsen sein würde. Das änderte aber nichts an der Tatsache, dass es jetzt seine Aufgabe war. Er musste den Soldaten Mut zusprechen, auch wenn dieser ihn selbst verließ, und die Vasallen auf das vorbereiten, was sie erwartete und von dem er selbst nicht genau wusste, was es war. Jeremy war froh, Gerbin an seiner Seite zu haben, auch wenn dieser ihm nicht unbedingt sympathisch war.
Nun stand er zusammen mit Karl, den er zu seinem Adjutanten bestimmt hatte, abmarschbereit an der Spitze seines Heeres und wartete auf den Magier. Der kam nicht und Jeremy wurde zunehmend wütend. Was dachte der sich? Es war ein Befehl der Königin gewesen, Tochter hin oder her, dem hatte er zu gehorchen. Er konnte doch nicht fünfhundert Mann einfach warten lassen und den ganzen Aufbruch verzögern!
„Noch fünf Minuten – dann reite ich zur Burg und sehe nach, wo er bleibt.“
Gerbin lief in seinem Zimmer auf und ab. Gunhild war bei ihm.
„Ich lasse mir von meiner Tochter nicht auf der Nase herumtanzen. Ich bleibe hier!“ Er unterbrach seinen hektischen Gang jäh und warf Gunhild einen zornigen Blick zu.
„Gerbin, sie hat sich etwas dabei gedacht. Nicht alles, was sie tut, ist per se schlecht und unüberlegt. Im Gegenteil! Das Heer braucht Euch.“ Gunhild redete beruhigend auf ihn ein, allerdings erfolglos.
„Mulinberc braucht mich!“, entgegnete der Oberste Magier hitzig.