Das Erbe von Grüenlant. Band 3: Schwarzes Land. Christina Kunz

Das Erbe von Grüenlant. Band 3: Schwarzes Land - Christina Kunz


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die Nebelsoldaten von ihm fern. Sie quälten ihn nicht mehr. Er fühlte tiefen Frieden und Glückseligkeit.

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      Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich meine Freunde dazu gebracht hatte, sich auf diese Reise zu begeben. Ich fragte mich, warum Gertrud, die offensichtlich davon wusste, mich nicht vor der Gefahr gewarnt hatte. Niemals hätte ich gedacht, dass es so schlimm für die Nicht-Magier sein könnte. Und was hatte sie damit gemeint, dass auch wir Magier vorsichtig sein sollten? Ich spürte zwar das Unbehagen im Nacken, den kalten Schauder, aber irgendwie gewöhnte ich mich daran, und ich sah auch keine Gestalten im Nebel. Würde es noch schlimmer kommen, würde meine Magie nicht ausreichen, das Grauen von mir und von meinen Freunden fernzuhalten?

      Als ich Mina die Hände auf die Schläfen legte, erfassten mich ihre Gefühle mit einer ungeahnten Wucht. Ich kämpfte dagegen an. Noch war es mir möglich, auch wenn es mich anstrengte. Sie beruhigte sich schnell, tatsächlich gelang es ihr, friedlich an mich gelehnt einzuschlafen.

      Für die Nacht lagerten wir mitten auf dem Weg. Es würde schon niemand vorbeikommen. Gernot übernahm die erste Wache, später wollte ich ihn ablösen.

      Mina kuschelte sich eng an mich. Obwohl sie auf dem Pferd viel geschlafen hatte, döste sie gleich weiter. Ich hielt sie fest im Arm und streichelte ihr Haar. Irgendwann fiel auch ich in einen tiefen traumlosen Schlaf.

      Gernot weckte mich mitten in der Nacht.

      „Was ist los?“ Verschlafen blinzelte ich ihn an. Sofort spürte ich eine innere Unruhe, ein Ziehen in den Eingeweiden, das sich langsam nach oben hin ausbreitete. Ich bettete Mina bequem auf ihr Bündel und schälte mich aus unserer Decke. Unbehaglich rutschte ich zu Gernot hinüber.

      „Ich – schaffe es nicht allein.“

      In der Dunkelheit, durch die ein kraftloser Mond einen milchigen Schimmer sendete, suchte ich seinen Blick und erschrak. Es lag etwas Fremdes darin, etwas Wildes, was so gar nicht zu seinem besonnenen Charakter passen wollte. Sofort war ich auf der Hut. Das Ziehen verstärkte sich, wurde unerträglich und ich widerstand dem Reflex, davonzulaufen, tief in den Wald, weg von Gernot, weg vor diesem Gefühl und weg vor mir selbst.

      Ich starrte Gernot an, wusste nicht, was hier passierte, nur, dass es keineswegs gut war. Mühevoll schloss ich die Augen und konzentrierte mich auf meine Atmung. Ein, aus, ein, aus. Plötzlich spürte ich Gernots Hand in meinem Nacken. Er flüsterte meinen Namen. Mein Herz begann wild zu klopfen.

      Keirans Bild erschien vor meinem inneren Auge und ich fand die Kraft, mich aus meiner Starre zu lösen. Ich riss die Augen auf und machte einen Satz nach hinten.

      „Nein!“, zischte ich, mehr zu mir selbst als zu ihm, und plötzlich wich alles Wilde, alle Leidenschaft von meinem Freund und er sah mich verwirrt an.

      „Ich – was – was habe ich getan?“ Er schlug die Hände vor sein Gesicht.

      Sicherheitshalber blieb ich auf Abstand, mein Herzschlag hatte sich noch nicht beruhigt und ich beobachtete ihn argwöhnisch.

      Gernots Schultern zuckten verräterisch und da wusste ich, dass der Bann gebrochen war. Zitternd legte ich ihm eine Hand auf den Arm.

      „Nichts. Es ist nichts passiert. Das muss der verdammte Nebel gewesen sein.“

      „Es tut mir leid. Kannst du mir das jemals verzeihen?“ Flehend sah er mich an.

      „Es gibt nichts zu verzeihen.“ Ich atmete tief durch. Auch wenn ich es mir nicht eingestehen wollte, so wäre ich fast dieser seltsamen Magie erlegen, wenn Keirans Bild mich nicht davor bewahrt hätte. Zum ersten Mal hatte ich Magnas Macht am eigenen Leib gespürt, und ich begann zu zweifeln, ob unsere Kraft und Liebe ausreichen würden, um gegen sie zu bestehen.

      „Wir müssen vorsichtig sein. Niemand sollte mehr allein im Nebel wachen und wir beobachten uns gegenseitig. Gemeinsam werden wir das schaffen.“ Ich versuchte, das Zittern in meiner Stimme zu ignorieren und hoffte, Gernot würde es nicht bemerken.

      Wir setzten unsere Wache gemeinsam und schweigend fort, hielten aber vorsichtshalber einigen Abstand voneinander und vermieden es, uns anzusehen. Als es endlich dämmerte, weckten wir die anderen.

      „Ist etwas passiert?“, wollte Mallister mit einem Blick in unsere blassen Gesichter wissen. Ich spürte, wie Timmon mich nachdenklich anschaute. Er schien etwas zu ahnen, sagte aber nichts.

      „Nein, alles ruhig“, antwortete ihm Gernot bestimmt. „Aber dieser Nebel macht auch mich langsam fertig. Wir sollten sehen, dass wir so schnell wie möglich hier rauskommen.“

      Und so setzten wir unsere Reise in der gleichen Zusammensetzung wie am Vortag fort, nur dass wir diesmal die Pferde wechselten. Denen schien der Nebel nichts auszumachen und ich fragte mich, ob Pferde wohl von Natur aus Magie beherrschten und wenn ja, welche. Ich beneidete Isolde, die ruhig und sicher durch die Nebelschwaden trabte.

      Als am Abend die Nebel endlich nachließen und die scharfkantigen Felsen Vârungens sich aus den dampfenden Schwaden herausschälten, waren alle erleichtert und vor allem ich war froh, dass diese Reise durch den Blinden Fleck, über die ich so wenig im Vorfeld nachgedacht hatte, niemanden auf der Strecke gelassen hatte.

      Erschöpft ließ ich mich von Isoldes Rücken gleiten und half anschließend Mina nach unten. Ich sog die klare Luft tief in meine Lungen und fühlte mich gleich besser. Fast augenblicklich verloren sich die unheilvollen Ereignisse der vergangenen Nacht, sie verschwanden im Nebel und hinterließen ein vages Gefühl der Bedrohung als Warnung. Auch den anderen war ihre Erleichterung deutlich anzusehen. Niemand wusste mehr genau, wovor er sich gefürchtet hatte.

      Ich wollte von Timmon wissen, ob er auch etwas gespürt hatte.

      „Ja, das habe ich.“ Er sah mich nachdenklich an. „Auch wir Magier sind zumindest auf dieser Seite des Blinden Flecks nicht immun, auch wir müssen uns unseren Ängsten stellen. Sie begegnen uns nur realer. Wenn wir stark sind, können wir uns ihnen entgegenstellen. Wie es scheint, ist uns das allen gelungen.“

      Ich fragte mich, was meine größte Angst war. Keiran zu verlieren? Ihn zu verraten? Aufzugeben? Niemals würde ich das tun!

       Wer ist der Feind?

      Während Natalie und ihre Freunde durch den Blinden Fleck reisten, bewegte sich das Heer unter Kommandant Jeremy Blunts Führung gen Kunningshort. Fünfhundert Mann nebst Pferden und Versorgungswagen schlängelten sich die Straße entlang durch die Dörfer, und was bei Natalies Gruppe noch fröhliches Winken hervorgerufen hatte, verwandelte sich jetzt in beklemmendes Schweigen.

      Jeremy ritt mit Karl voran. Er hatte gehofft, der Oberste Magier würde ihn unterstützen, aber der hatte sich vollkommen zurückgezogen. Jeremy wusste nicht, was er davon halten sollte. Er wusste, dass Gerbin böse auf seine Tochter war, aber hier ging es ja schließlich nicht um einen Familienzwist, sondern um die Zukunft Grüenlants. Wie konnte jemand, der so mächtig und weise war, sich dermaßen kindisch verhalten?

      Nun ja, bis Kunningshort konnte er ja erst mal nicht viel falsch machen. Und wenn alles gut ging, würde Letho dort zu ihnen stoßen und könnte das Kommando übernehmen.

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      Tatsächlich trafen sie in Kunningshort auf Letho und einen Teil seiner stark mitgenommenen Männer. Er berichtete Jeremy, dass er mit einem Großteil seines Heeres den Spuren bis zur Küste gefolgt war. Dort sei ihnen Grauenhaftes widerfahren. Tatsächlich hatte Magna zusammen mit ihrer Tochter Varuschka die Bewohner Kunningshorts sowie die Königsgarde und das Fischerdorf mithilfe der Blutmagie in willfährige Vasallen verwandelt. Sie hätten gegen ihre eigenen Leute kämpfen müssen, Männer, Frauen und auch Kinder, die ihnen mit aller Härte entgegengetreten seien. Es sei ihm jedoch gelungen, sich mit seinen Männern schnell zurückzuziehen, um unnötige Opfer zu vermeiden. Varuschka war noch dort und befehligte die Armee der Verwandelten. Ihr zur Seite stand


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