Das Erbe von Grüenlant. Band 3: Schwarzes Land. Christina Kunz

Das Erbe von Grüenlant. Band 3: Schwarzes Land - Christina Kunz


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beschwichtigte ihn. „Tobias, ich mache Euch einen Vorschlag. Das ist eine sehr, sehr lange und komplizierte Geschichte. Ihr kommt jetzt erst einmal mit mir. Und wenn wir uns nicht gerade mitten in einer Schlacht befinden, so wie jetzt, erkläre ich Euch alles. Aber im Moment ist nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Habt Ihr eine Waffe?“ Er schielte auf das MG. „Eine kleine – für die Hand?“

      „Ich – ja.“ Tobias zog seine Glock.

      „Gut. Dann lasst uns gehen.“

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      Letho bemerkte, dass ein Ruck durch das gegnerische Heer ging. Die Bewohner von Kunningshort hörten einfach auf zu kämpfen und sahen sich verwirrt um. Seine eigenen Soldaten reagierten schnell und nahmen die desorientierten Personen zunächst einmal gefangen. Die Königsgarde kämpfte jedoch unvermindert weiter und Letho schlug nach wie vor wild um sich, immer noch „der Feind, gegen den Feind …“ vor sich hinmurmelnd. Er bekam jedoch jetzt von vielen Seiten Hilfe und so gelang es ihm mithilfe seiner Soldaten schnell, auch die Königsgarde ohne große Verluste zu überwinden. Während die Bewohner Kunningshorts jedoch friedlich wurden und immer wieder fragten: „Wo bin ich? Wie komme ich hierher? Wo ist mein Sohn? Was ist passiert?“, waren die Männer der Königsgarde nach wie vor aggressiv.

      „Gerbin muss Erfolg gehabt haben“, stellte Letho fest und der Soldat neben ihm nickte. „Ja, die Leute unter dem Bann Varuschkas sind erlöst. Diese hier“, und er wies auf die Königsgarde, „stehen wohl unter Magnas Bann, und die scheint noch am Leben zu sein!“

      Kurz darauf kam Gerbin mit einem verwirrt aussehenden jungen Mann mit kurzen braunen Haaren und ebensolchen Augen zurück, der eine seltsame Waffe in der Hand hielt.

      „General Letho, darf ich Euch Tobias Werner vorstellen? Er ist ein – ein alter Freund meiner Tochter.“

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      Während sich der Großteil des Heeres zusammen mit den Bewohnern Kunningshorts und den Gefangenen der Königsgarde auf den Rückweg zur Königsburg machte, blieb ein Teil zurück, um Varuschkas Festung zu erforschen. Insbesondere die seltsamen Waffen sollten mitgenommen und später untersucht werden. Dabei würden Gerbin und vor allem Natalie und Tobias eine große Hilfe sein. Die dunklen dräuenden Wolken waren verschwunden, der Morgen zeigte sich hell und freundlich, weiße Wolken wurden vom Meer her aufs Land getrieben und Möwen kreischten in der Luft.

      Gerbin und Tobias ritten zusammen mit Letho zurück. Tobias ritt mehr schlecht als recht, Gerbin glaubte, dass er es, wie Natalie, hier erst gelernt haben musste. Die Erinnerung daran musste ihm, trotz der Leere, die die letzten Tage ausfüllte, erhalten geblieben sein. Gerbin nutzte die Zeit und erzählte Tobias von den Geschehnissen. Dabei blieb es ihm nicht verborgen, was der junge Mann für seine Tochter empfand und warum er nicht gut auf Keiran zu sprechen war.

       Die Vârburg

      Die rotgelbe Landschaft der Brandwüste ging fast nahtlos in eine schwarzgraue Gegend aus Basaltgestein über. Der dunkle Kies knirschte unter den Pferdehufen, zwar befanden sie sich auf einer gepflasterten Straße, aber die kleinen Steinchen waren überall. Auch hier wuchsen keine Pflanzen, und bis auf die Farbe und die wesentlich angenehmere Temperatur gab es kaum Unterschiede. Es war genauso trostlos hier und trug nicht zur Verbesserung von Keirans Stimmung bei.

      Im Gegenteil – je näher sie der Vârburg kamen, desto schlechter fühlte sich Keiran. Auch die zunehmenden Felsen, die sich scharfkantig gegen den grauen Himmel abhoben, wirkten bedrohlich und schienen ihm mehr und mehr den Ausweg zu versperren. Die Straße wand sich jetzt leicht bergauf. Spätestens auf der Vârburg würde er keine Ausflüchte mehr finden können, dann musste er sich Magna stellen. Er wusste nicht, was ihn erwarten würde, und sein Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Als Soldat war er es gewohnt, in den Kampf zu ziehen und dem Tod ins Auge zu sehen, aber das hier war etwas anderes. Würde er es schaffen? Außerdem machte er sich Sorgen um Natalie. Was würde Magna gegen sie unternehmen? Konnte er sie schützen? Zum ersten Mal zweifelte er ernsthaft an seiner Mission. Warum hatte er überhaupt auf Gerbin gehört? Er hätte bei Natalie bleiben sollen. Gemeinsam hätten sie eine Möglichkeit gefunden, gegen Magna zu bestehen. Hoffentlich machte sie jetzt keine Dummheiten! Sie wollte durch den Blinden Fleck zur Vârburg kommen – diesen Weg hatte noch nie jemand geschafft. Warum hatte er sie nicht davon abhalten können?

      Er erinnerte sich an ihren Übertritt nach Grüenlant, als Mallister sie „starrköpfiges Weib“ geschimpft hatte … Unwillkürlich musste Keiran schmunzeln. Nun ja, so ganz unrecht hatte er ja nicht gehabt … Sie tat, was sie für richtig hielt. Er musste ihr vertrauen.

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      Es war später Nachmittag, als sich am Horizont dunkel die Vârburg gegen den Himmel abhob. Keirans Stimmung verdüsterte sich noch mehr. Er dachte an Grüenlant und Mulinberc, wie anders war es doch hier! Zwar stand die Vârburg auch erhöht wie die Burg der Zauberer, das war aber auch schon die einzige Gemeinsamkeit. Sie war eine gewaltige Zwingburg, die auf einem hohen Felsen aus Vulkangestein errichtet worden war. Zum Norden, Westen und Süden hin fielen die Klippen steil ab, während sie im Osten von einem breiten Graben begrenzt wurde. Sie war in Form eines Quadrats gebaut, die vier Ecken markierten gewaltige Türme, die von einer doppelten Wehrmauer verbunden wurden. Auch der Eingang wurde flankiert von zwei Türmen, zwischen denen sich das Tor befand. Es war erreichbar über eine relativ schmale Brücke, die von den Schießscharten in den Tortürmen leicht unter Beschuss genommen werden konnte.

      Hier gab es keine Stadt, die sich an die Burg schmiegte wie Mulinberc an die Burg der Zauberer. Die Vârburg ragte aus dem kargen Land heraus wie ein Mahnmal oder ein Tempel für den dunklen Gott Laeton. Wahrscheinlich war sie genau das …

      Keiran lief ein Schauder über den Rücken, als sie den langen, nur spärlich beleuchteten Gang durch das Tor und unter dem die beiden Tortürme verbindenden Torhaus durchquerten und den überraschend kleinen Innenhof erreichten. Dieser wirkte bedrückend und Keiran fühlte sich erschlagen von den dunklen Mauern und Gebäuden, die ihn umsäumten.

      Gegenüber dem Tor befand sich auf der rechten Seite der Palas, links davon schloss sich der etwas kleinere Küchentrakt an. Im südöstlichen Eckturm war das Verlies untergebracht. Pferdeställe, ein Gesindehaus und eine große Schmiede säumten den Hof. Keiran sank der Mut. Selbst wenn Natalie die Vârburg erreichte, so wäre sie nicht in der Lage, diese ungesehen zu betreten.

      Im Hof wurden sie von ein paar Soldaten und Bediensteten empfangen. Keiran hatte nicht den Eindruck, dass die Dienerschaft sehr glücklich aussah. Sie wirkte verängstigt und stets darauf bedacht, nicht aufzufallen. Keiran stieg ab und überließ sein Pferd dem Burschen. Er strich Perseus zum Abschied zärtlich über die Blesse, nicht sicher, ob er ihn jemals wiedersehen würde, und nickte dem Burschen freundlich, aber resigniert zu. Wenn schon er diesen Menschen keine Hoffnung bringen konnte, wer sollte es dann tun?

      Plötzlich kam ein Mann über den Hof geeilt, ganz in Schwarz gekleidet, mit schwarzen schulterlangen Haaren und schwarzen Augen, von denen sich seine helle, fast weiße Haut unnatürlich abhob. Trotzdem war er nicht unansehnlich. Seine hohen Wangenknochen und seine gerade Nase verliehen seinem Gesicht etwas Majestätisches, was durch das unsichere Flackern seiner Augen jedoch wieder aufgehoben wurde. Die Bediensteten sahen furchtsam zu ihm auf.

      „Vâkon!“ Magna begrüßte den jungen Mann mit zwei Küsschen auf die Wangen. „Gibt es etwas Neues?“

      „Nein, hier ist alles ruhig. Wie immer.“

      Das musste Magnas verdorbener Sohn sein. Keiran bedachte ihn mit einem kühlen Blick.

      „Und wer ist das?“ Vâkon musterte ihn neugierig und ignorierte dabei unbehaglich dessen eisblaue Augen.

      „Das, mein lieber Sohn, ist Keiran Lasalle. Mein – Zukünftiger. Sei nett zu ihm!“ Magna bedachte ihren Sohn mit einem


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