Das Erbe von Grüenlant. Band 3: Schwarzes Land. Christina Kunz

Das Erbe von Grüenlant. Band 3: Schwarzes Land - Christina Kunz


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an der Küste zurückgelassen, hatte es aber für unabdingbar gehalten, selbst mit Gerbin und den Männern der Königin zu beratschlagen.

      Plötzlich stand Gerbin neben Jeremy. „Wir haben nur zwei Möglichkeiten – entweder wir erschlagen unsere eigenen Leute oder wir bekämpfen die Verursacher – Magna und Varuschka. Wenn sie tot sind, kann auch ihre Blutmagie nichts mehr bewirken und unsere Leute sind frei. Gebt mir hundert erfahrene Männer, ich mache mich auf den Weg an die Küste. Vielleicht kann meine Magie etwas bewirken.“

      Jeremy schluckte seinen Ärger hinunter. Drei Tage hatte er sich nicht blicken lassen, und jetzt spielte er den Kommandanten. Trotzdem hatte Gerbin recht. Wenn jemand hier etwas bewirken konnte, dann ein starker Kriegsmagier. Und das war Gerbin.

      Letho wandte sich Jeremy zu: „Kommandant Blunt, was haltet Ihr von dieser Idee?“

      Jeremy war erfreut, dass Letho sich für seine Meinung interessierte. Bereitwillig gab er Antwort. „Ich stimme dem Obersten Magier zu. Einer von uns sollte ihn begleiten. Mit Verlaub, Ihr kennt die Begebenheiten und könntet ihm wahrscheinlich besser behilflich sein als ich …“

      „Ja, da habt Ihr allerdings recht, auch wenn mich nichts dahin zurückzieht. Ihr haltet hier zunächst die Stellung. Mein erster Offizier Jakub Dern wird mich hier vertreten, steht ihm zur Seite! Wir haben bereits Späher in Richtung der Brandwüste geschickt. Sollte das Schwarze Heer sich uns nähern, stellt Euch ihm entgegen!“

      „Jawohl, Herr General!“

      Einerseits war Jeremy froh, dass er jetzt nicht mehr die Entscheidungen zu treffen hatte, andererseits hatte er seine Sache gar nicht schlecht gemacht und General Letho hatte sogar auf seinen Rat gehört und ihn umgesetzt. Vielleicht war sein Platz an der Spitze eines Heeres ja doch der richtige.

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      Drei Tage später erreichten Gerbin und Letho zusammen mit ihren Männern das Heerlager nahe der Küste. Sie durchquerten eine flache Grasebene, die den starken Wind ungehindert ins Landesinnere peitschen ließ. Man konnte das Meer bereits riechen, und auch die Luft war salzig. Schwere dunkle Wolken bedeckten den Himmel und verdüsterten die Umgebung, und immer wieder prasselten Regenschauer nieder. Eine unheimliche Stille, nur durchbrochen vom Tosen des Windes und vom fernen Rauschen des Meeres, lag über allem. Kein lebendiges Wesen war zu hören.

      Gerbin spürte die Magie, die über der Landschaft hing wie die dunklen dräuenden Wolken. „Wir müssen vorsichtig sein, General. Irgendetwas stimmt hier nicht.“

      „Beim letzten Mal war es nicht so düster, damals wurden wir auch sofort angegriffen. Das hier ist neu“, bestätigte Letho Gerbins Einschätzung.

      Gerbin und Letho machten sich zusammen mit dem Heer auf den Weg zum Fischerdorf, welches sie bald aus sicherer Entfernung in Augenschein nehmen konnten. Die Gegner hatten eine Barrikade errichtet, einen dichten Holzzaun, der noch dazu von einem Graben umgeben war. Vorsichtig näherte sich das Heer, in ausreichendem Abstand blieben die Soldaten stehen und schlugen ihr Lager auf. Obwohl erst früher Nachmittag, war es schon dunkel wie zur Abenddämmerung.

      „Wir sollten jemanden schicken, der versucht zu verhandeln. Vielleicht erreichen wir es, dass wenigstens die Kinder freigelassen werden.“ Gerbin bot sich an, dies zu übernehmen.

      „Ich denke nicht, dass das Sinn macht. Wir haben es bereits beim letzten Mal versucht. Sie haben unseren Boten ermordet und uns angegriffen. Diese Vârunger besitzen weder Ehre noch Anstand. Ich kann Euch sagen, was passieren wird, wenn Ihr Euch der Barrikade alleine nähert – ein gezielter Pfeil eines Bogenschützen, weiße Fahne hin oder her, und das war‘s dann für Euch. Nein, wir greifen gleich an.“

      „Eins sollte klar sein – zwar werden wir versuchen, unsere Landsleute zu schonen, die Vernichtung der Vârungischen Bastion hat jedoch absoluten Vorrang! Hier geht es um mehr als um die Befreiung unserer Leute – hier geht es um die Zukunft Grüenlants.“ Gerbins Stimme klang hart. Letho wusste jedoch, dass er recht hatte.

      Sie beschlossen also, bei Anbruch der Nacht anzugreifen.

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      „Ihr habt wirklich schon über hundert Schlachten geschlagen?“ Jeremy sah Jakub bewundernd an. „Naja, ich habe ja auch mein Leben lang nichts anderes gemacht. Schaut mich alten Kerl an!“ Jakub zeigte, Anerkennung heischend, über seine Narben.

      „Vermisst Ihr denn nichts?“ Jeremy haderte wieder einmal mit sich selbst. Einerseits bewunderte er Jakub für dessen Kampfesruhm, andererseits fand er ein solches Leben auch schrecklich einsam. Er würde selbst gerne eines Tages eine Familie haben, etwas, wofür es sich zu kämpfen lohnte. Jedoch fragte er sich, ob sich das Leben als Heerführer dafür überhaupt eignete und ob er als Kommandant nicht vollkommen ungeeignet war.

      Jeremys Gedanken wurden jäh unterbrochen von einem der Späher, die aus der Brandwüste zurückkamen.

      „Offizier Dern, Kommandant Blunt!“ Er salutierte.

      „Was gibt es zu berichten?“

      „Das Heer unter Viggos Führung lagert nach wie vor in der Brandwüste am Großen Brunnen und macht keine Anstalten aufzubrechen. Sie scheinen auf etwas oder jemanden zu warten.“

      „Magna.“ Jeremy sah plötzlich klar. „Unsere Königin hat berichtet, dass sie in der Vârburg ist, gemeinsam mit ihrem Sohn Vâkon. Sie hat es sich zum Ziel gesetzt, sich mit Keiran Lasalle – nun ja, zu vereinen. Wenn sie damit Erfolg hat, wird sie mächtiger sein als je zuvor. Königin Natalie ist auf dem Weg dorthin, um genau das zu verhindern. Was, wenn es ihr nicht gelingt?“ Er zögerte kurz. Und plötzlich nahm ein schrecklicher Gedanke mit einer unerschütterlichen Klarheit Gestalt an. „Götter! Magna wollte, dass unsere Königin genau das tut! Und sie ist blind vor Liebe in die Falle gelaufen!“ Er fuhr sich mit einer fahrigen Geste durch die Haare.

      „Was genau meint Ihr?“ Jakub sah Jeremy ratlos an.

      „Nicht nur Magna will sich mit Keiran verbinden – ihr Sohn soll unsere Königin bekommen und über Grüenlant herrschen.“

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      In der vorherrschenden Dunkelheit war nicht zu bemerken, wann die Nacht begann. Gerbin wartete, bis die Schatten noch etwas tiefer waren und man die Hand vor Augen nicht mehr sehen konnte.

      „Es wird Zeit“, signalisierte er seinen beiden Begleitern, die, wie er in einen schwarzen Umhang gehüllt und bis an die Zähne bewaffnet, unruhig mit den Füßen scharrten.

      Ohne ein Geräusch von sich zu geben, schlichen die drei Magier durch hohes Gras. Gerbin hatte die Strecke mit Bedacht gewählt, im Schutz der Pflanzen würden sie nicht auffallen und nahe an die Barrikade herankommen. Dann jedoch lichtete sich das Gras und sie mussten eine freie Fläche überqueren.

       Stopp!

      Gerbin wartete, bis die beiden Magier ihn erreicht hatten. Mit zusammengekniffenen Augen beobachtete er die hölzerne Umzäunung. Im Innern brannten Feuer, sodass er im gespenstischen Schein der Flammen dunkle Schemen wahrnehmen konnte, die sich auf der Wehrmauer aufhielten.

      „Bogenschützen. Wie erwartet.“

      Gerbin atmete tief durch, dann instruierte er seine Begleiter.

      „Wie besprochen. Wir pirschen uns so weit wie möglich vor. Sobald einer von uns bemerkt wird, greifen wir an. Verteilt euch!“

      „Alles klar. Wünscht uns Glück, Gerbin. Wir werden es brauchen.“

      Gerbin pirschte langsam über den Boden, immer die Bogenschützen im Blick. Noch tat sich nichts. Seine Aufgabe war es, das Tor zu erreichen. Wenn es ihm gelingen würde, in die Festung zu gelangen, dann konnte er vielleicht Varuschka finden und ausschalten. Dann würde der Zauber von seinen Leuten genommen werden und die Zahl der Gegner sich drastisch reduzieren. Das war ihre einzige Chance, möglichst viele zu retten.


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