Das Erbe von Grüenlant. Band 3: Schwarzes Land. Christina Kunz

Das Erbe von Grüenlant. Band 3: Schwarzes Land - Christina Kunz


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könnte Eure Hilfe sicher gut gebrauchen“, versuchte die Spiritistin ihn zu beschwichtigen.

      „Ja, und sie hat ihn eingesetzt! Dann muss sie jetzt sehen, wie weit sie damit kommt.“ Gerbin blieb unnachgiebig.

      „Erstens war das nicht sie, sondern Letho, und zweitens hat sie ihm Euch zur Seite gestellt. Und drittens – warum hat sich denn nie jemand um die Organisation des Heeres gekümmert? Das lag allein auf Lethos und Keirans Schultern. Niemand hat darüber nachgedacht, was passieren würde, wenn einer von ihnen nicht mehr zur Verfügung steht. Natalie war die erste, die das erkannt hat.“

      Gerbin wurde nachdenklich.

      „Gerbin, Ihr benehmt Euch wie ein trotziges Kind! Wenn Ihr nur ein bisschen darüber nachdenken würdet … Außerdem ist sie Eure Tochter und Ihr solltet zu ihr stehen, egal was passiert. Schließlich wart Ihr es, der sie hierher geholt hat. Sie hatte ihr Leben, dort, in ihrer Welt, Ihr habt ihr das alles genommen und solltet froh sein, dass sie die Dinge hier in die Hand nimmt und nicht schon längst wieder zurückgegangen ist. Jetzt packt Eure Sachen und macht Euch auf den Weg! Da unten wartet ein Heer von fünfhundert Mann auf Euch, und ich kann mir vorstellen, dass die Männer langsam unruhig werden.“

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      Gunhild stand am Fenster ihres Zimmers und beobachtete den Lindwurm des Heeres, der sich vor zehn Minuten unter Kommandant Jeremy Blunt in Richtung Kunningshort auf den Weg gemacht hatte. Sie dachte an Gerbin und sein ungebührliches Verhalten. Was war nur in ihn gefahren?

      Sicher, er war jetzt lange Zeit unangefochten die Nummer eins im Königreich gewesen, auch König Ekko hatte nur getan, was sein Bruder ihm empfohlen hatte. Wohl eher befohlen, dachte Gunhild grimmig. Gerbin hatte wohl gedacht, dass er mit seiner Tochter genauso verfahren könne.

      Gunhild schnaubte. Er konnte es einfach nicht akzeptieren, dass Natalie ihren eigenen Kopf hatte und selbstständig dachte. Und diese hatte noch nicht gelernt, mit ihm umzugehen. Im Grunde war es ja einfach, ihn zu manipulieren … Man musste es nur so anstellen, dass er glaubte, die Ideen, die man ihm näherbrachte, seien seine eigenen …

      Dieser Gedanke verursachte Gunhild ein flaues Gefühl im Magen.

      Wahrscheinlich wäre Natalie ohne sie jetzt nicht hier, Keiran nicht bei Magna und Ekko nicht tot.

      Nein, korrigierte sie sich. Ekko wäre genauso tot.

      Und Natalie und Keiran? Gunhild vertraute den beiden. Sie würden es schaffen, Magna zu besiegen und Grüenlant zu befreien.

      Entschlossen wischte sie ihre negativen Gedanken beiseite.

      Adana würde ihnen beistehen.

       Durch die Nebel

      Am nächsten Morgen machte sich die kleine Gruppe auf den Weg durch den Blinden Fleck, nicht wissend, was sie erwarten würde. Damit keiner den Weg verfehlte, banden sie die Pferde aneinander. Es ritt immer ein Nicht-Magier zwischen zwei Magiern. Gernot machte den Anfang, es folgten Hekon, Gertrud, Mina, Timmon und Mallister. Natalie bildete den Abschluss. Sie ritten langsam, und schon bald hüllte der unheimliche Nebel sie ein. Mallister wurde es unbehaglich zumute. Damals, als er mit Gerbin hier unterwegs gewesen war, hatte er sich geschworen, dies nicht noch einmal zu tun. Er sah weder den Weg noch die Hand vor Augen und wieder einmal wurde ihm klar, woher der Blinde Fleck seinen Namen hatte. Er legte sich eng an den Hals seiner Stute. Ob sie den Weg sehen konnte? Sie schien sich ihrer Sache sicher zu sein … Um sich nicht völlig in der Blindheit zu verlieren, begann Mallister ein Gespräch mit dem Pferd.

      „Kannst du irgendwas sehen? Diese Magier sind einfach verrückt. Kein normaler Mensch macht sowas! Warum habe ich mich überhaupt darauf eingelassen? Wer weiß, wie weit wir nach dem Tor noch durch diese Suppe reisen müssen … Ob Natalie weiß, was sie tut? Manchmal bin ich mir da nicht so sicher … Aber, was soll's, sie liebt ihn. Das reicht als Begründung …“

      Und so plapperte er vor sich hin, und es half ihm dabei, nicht den Mut zu verlieren.

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      Ich hörte Mallister vor mir leise flüstern. Unwillkürlich musste ich schmunzeln. Er konnte einfach nie den Mund halten. Nach dem, was er mir geschildert hatte, musste die Reise für ihn aber auch viel unangenehmer sein als für mich. Angeblich sah er überhaupt nichts. Das konnte ich mir gar nicht vorstellen! Zwar sah auch ich wenig, aber der Weg leuchtete deutlich vor mir, als hätte jemand LEDs im Boden versenkt. Schemenhaft nahm ich auch den Wald wahr, durch den der Weg führte. Einer inneren Eingebung folgend holte ich den kleinen blauen Kristall aus der Tasche, den Keiran mir gegeben hatte. Er leuchtete hell und plötzlich drehte Mallister sich um. „Natalie? Was tust du?“

      Ich zeigte ihm den Kristall. „Kannst du jetzt etwas sehen?“

      Mallister sah mich erstaunt an. „J-ja, ich sehe sogar dich! Wir sind im Wald … Aber den Weg sehe ich trotzdem nicht.“

      „Ich leihe ihn dir aus, wenn du mir versprichst, vorsichtig damit umzugehen. Er ist ein – besonderes Geschenk von Keiran.“

      „Von Keiran?“ Mallister klappte der Mund auf und tatsächlich wusste er einmal nicht, was er sagen sollte.

      „Ja – von Keiran.“

      Ich lächelte ihn an und dachte daran, wie Keiran mir den Kristall gegeben hatte.

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      Gernot hatte darauf bestanden, den ganzen Tag im Sattel zu bleiben. Zu groß war die Gefahr, dass vor allem einer der Nicht-Magier verlorenging. So hatte sich jeder mit Nahrungsmitteln und Wasser für den ganzen Tag versorgt. Gegen Abend würden sie das Tor erreicht haben, er hoffte, dass sich dort die Gelegenheit für ein Nachtlager ergab.

      Kurz vor ihrem Ziel hielt er die Gruppe an.

      „Wir müssen vorsichtig sein! Um das Tor befinden sich meistens Späher, sowohl von uns als auch von Vârunger Seite. Ich gehe vor und überprüfe die Lage. Ihr wartet hier.“

      Lautlos glitt er von seinem Pferd, welches einfach stehen blieb, und verschwand im dichten Nebel.

      Gernot wollte den Pfad nicht verlassen, denn hier wäre er sonst verloren. So schlich er vorsichtig in Richtung Tor. Er wusste, wo sich die Späher aus Grüenlant aufhielten. Es gab eine kleine Hütte, in der sie ihr Lager bezogen, um sich im Nebel nicht ganz verloren zu fühlen. Da er wusste, wo diese Hütte stand, schlich er sich von hinten heran. Er wusste auch, dass die Späher vornehmlich das Tor und die Richtung nach Vârungen im Auge behielten – von hinten drohte in der Regel keine Gefahr und mehr war auch ob des dichten Nebels nicht machbar.

      „Psst!“ Er klopfte leise an die Hütte. Niemand antwortete. Vorsichtig schob er die Tür auf und zuckte sofort wieder zurück. Ein unerträglicher Geruch schlug ihm entgegen, der süßliche Gestank von Verwesung und Tod. Gernot hielt sich ein Tuch vor Nase und Mund und überwand sich, einen Blick in die Hütte zu werfen.

      Zwei Späher, beide waren tot, bestialisch ermordet, jemand hatte ihnen die Kehlen von einem Ohr zum anderen aufgeschlitzt. Die feuchte und klebrige Luft hatte ihr Übriges beigetragen. Die Körper waren aufgedunsen und grünlich, dienten bereits als Brutstätte für Fliegen, die sich selbst hier im dichten Nebel ausbreiteten. Sie waren bestimmt schon zwei Wochen tot. Gernot hatte genug gesehen, schnell drehte er sich weg. Er kämpfte gegen den sauren Geschmack, der sich mehr und mehr in seinem Mund ausbreitete. Draußen atmete er tief die neblige Luft ein.

      Die verfeindeten Späher ließen sich in der Regel in Ruhe, jeder saß auf seiner Seite und solange niemand bedrohlich nahekam, ließen sie die jeweils anderen gewähren.

      Es war also noch jemand hier gewesen, kurz nachdem Natalie und Keiran gekommen waren. Und dieser Jemand war ihnen nicht wohlgesonnen …

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