Echo eines Freundes. Ingvar Ambjørnsen

Echo eines Freundes - Ingvar Ambjørnsen


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in allen Formen und Farben, und auf kleinen und großen Beistelltischen (auch die aus Teak mit Messingbeschlägen) sind kleine und große Fotografien aufgestellt, alle sind eingerahmt, was auch für die Fotografien an den Wänden gilt, kleine und große, die dort nach einem schwer zu begreifenden System hängen, das ja vielleicht gar nicht begriffen werden soll, das ganz ohne Sinn ist, und auf diesen Fotografien kann man Menschen sehen, die nebeneinanderstehen, sei es nun in der freien Natur oder in allerlei Wohnzimmern und Aufenthaltsräumen, nicht Fotos geknipst an Stränden oder im Hochgebirge, einige wenige stammen aus einem Studio, sie sind schwarzweiß und zeigen nackte Säuglinge auf Eisbärfellen aus Webpelz, oder längst verstorbene Personen mit Kinnbart und Hut vor einem Hintergrund aus handgemalter Natur. Mir gefiel es hier. Mein erster Gedanke, als ich Annelore Frimann-Clausens Zuhause betrat, war, dass es mir hier gefiel. In einer eigenen Abteilung des Raumes war das Esszimmer untergebracht, auch das aus Teak und mit Stuhlsitzen aus dunkelbraunem Kunstleder. Derzeit wenig benutzt, das entnahm ich dem geordneten Chaos, das hier herrschte, Stapel von Büchern und Zeitungen, Briefen und Karten. Am Fenster: Das Kontrollzentrum des Zimmers. Der große moderne Sessel vom Typ Stressless, und der Tisch mit Illustrierten und Zeitungen, Brille und Kugelschreiber. Von dieser natürlichen Kommandozentrale aus konnte sie ohne irgendwelche Einschränkungen sehen, was sich auf dem großen Flachbildschirm abspielte, oder – falls ihr Sinnen und Trachten zufällig andersgeartet sein sollten – ihren Blick hinaus in den Garten schweifen lassen, der sich gerade jetzt hinter der Fensterscheibe als schwarzes Viereck offenbarte.

      Ich sagte: »Was für ein schönes Zuhause, Frau Frimann-Clausen!«

      »Naja«, meinte sie, gewissermaßen gurrend aus einer fast perfekten Siebziger-Jahre-Küche, die sie sofort angepeilt hatte, »hier hätte schon längst renoviert werden müssen, aber Sie wissen ja, wie das ist …«

      Und das wusste ich ja.

      »Setzen Sie sich doch einfach, der Kaffee ist gleich fertig.«

      Das tat ich also. Ich setzte mich, während ich vorgab, mich in den Anblick der verschiedenen Personen auf den vielen Fotografien zu vertiefen, ehe mein Blick an einem großen Gemälde rechts vom Fernsehapparat haften blieb, es stellte etwas dar, bei dem es sich um ein Mittsommerfest irgendwo in Westnorwegen handeln konnte, Tanz und Spaß und Spiel, und ein großes Feuer, das sozusagen an der Sommernacht leckte.

      Ob ich denn wohl kunstinteressiert sei?

      Sie kam mit einem Tablett mit einer Thermoskanne hereingefegt. Stellte Tassen und Untertassen und Zucker und Sahne auf den Tisch, so etwas nehme ich nicht, aber nun ging mir auf, dass ich es diesmal doch tun würde. Zucker und Sahne nehmen.

      Jetzt war ich damit an der Reihe, naja zu sagen. Und ich fügte hinzu, wenn unter »kunstinteressiert« zu verstehen sei, sich auf nichtprofessionellem Niveau an Kunst zu erfreuen, dann könnte eine solche Charakteristik vielleicht einigermaßen auf mich zutreffen. Es mache mir große Freude, ab und zu eine Gemäldeausstellung zu besuchen.

      »Ja, das hat mein Onkel Ole gemalt«, sagte sie und nickte in Richtung des funkensprühenden Feuers.

      Sie zeigte darauf. »O Slettan.« In Rot. Unten in der rechten Ecke.

      Wirklich? Hatte sie denn selbst auch etwas von … dieser Ader?

      Nein, jetzt solle ich aber aufhören. Und ich könne doch wohl sehen, dass es sich nur um eine hoffnungslose Astrup-Kopie handelte.

      Jetzt lachten wir zum ersten Mal zusammen, und in Gedanken bedankte ich mich bei Onkel Ole.

      Der übrigens die Silbertanne ganz unten im Garten gepflanzt hatte. Frau Frimann-Clausen zeigte hinaus in die Dunkelheit. Worauf ich beifällig nickte.

      Kurz gesagt, eine feine Eröffnung, gänzlich ohne irgendwelche Misstöne, wenn ich von den belegten Broten absehe, die nicht existierten, es gab stattdessen ein Stück Sandkuchen ohne Rosinen, aber ich tröstete mich damit, dass ich mir am Morgen Reiseproviant geschmiert hatte, zwei Brote mit Käse und eins mit Ei und Sardellen, sie befanden sich im Koffer, zusammen mit Schlafanzug und Pantoffeln und mit dem grünen Strickpullover.

      Wir konnten uns sehr bald auf das Allermeiste einigen. Erstens: Gegenseitigen Respekt. Was in der Praxis bedeutete, »sich nicht gegenseitig die Bude einrennen«. Distanz wahren. Das kam mir wie gerufen. Ich erklärte ihr, die Fähigkeit, eine respektvolle Distanz zu meinen Mitmenschen zu wahren, sei etwas, das mir ganz einfach angeboren sei, eine Eigenschaft, die in meinen Genen liege. Wenn sie eins nun wirklich nicht zu befürchten habe, dann meine Einmischung in ihr Leben und ihre Zeit, ich wisse es ganz besonders zu schätzen, dass auch sie nicht allzu viel Zeit in meinem Leben verbringen würde, auch wenn mein erster Eindruck von ihr ja durch und durch positiv war, aber das behielt ich natürlich für mich. Stattdessen betonte ich, dass in meinem Leben die Tage und Nächte ganz einfach mit Arbeit mannigfacher Art gefüllt seien. Ich verfügte unter anderem über ein umfassendes Archiv, das große Ansprüche an mich stellte, und dabei war das Alleinsein nicht nur eine große Hilfe, sondern geradezu eine Voraussetzung dafür, dass mir diese Aufgabe gelang. Sie hörte mir mit ernster Miene zu, während sie mich mit ihren neugierigen Nagetieraugen beobachtete, und als sie rasch einwarf, dass sie um halb elf Uhr abends Ruhe im Haus haben wollte, wenn auch mit Ausnahme von »normalen Fernsehgeräuschen«, konnte ich scherzhaft erwidern, dass unten bei mir bereits morgens um halb elf Ruhe herrschen werde. Ich sei ein Mann der Ruhe, das werde sie bald genug erfahren, sie dürfe nur nicht glauben, ich liege da unten und sei tot, wenn sie zwei Tage lang nichts von mir hörte. Darüber musste ich lachen und sie ein Lächeln andeuten, ehe sie unsere Kaffeetassen ein weiteres Mal füllte. Dann sei da noch eine Kleinigkeit. Das Internet funktioniere derzeit nicht. Es werde jedoch innerhalb der nächsten Tage in Ordnung gebracht werden. Was mir eine hervorragende Gelegenheit zu einem Plädoyer für das Papierbuch gab. Wir hatten ganz einfach einen angenehmen Abend. Sie bestand darauf, dass ich sie von nun an, also von unserem allerersten Abend im selben Haus, Annelore nennen sollte. Und wer dieses Angebot gern annahm, das war ich, Elling.

      Dann sei da noch die Sache mit dem Garten. Wie ich sicher bemerkt hätte, liege das Haus an einem Hang. Ich antwortete, das hätte ich bei meiner Ankunft gesehen. Hervorragend, meinte sie, um die kleine Hecke am Tor und um das Staudenbeet werde sie sich selbst kümmern, aber es sei doch ihr Wunsch, dass ich den unteren Teil des Gartens übernähme, also die Rasenfläche und die drei Johannisbeersträucher, die alten Apfelbäume könne ich dagegen vergessen, die trügen kaum noch, Rasenmäher und andere Gartengeräte könnte ich in der Sigurdsbude finden.

      In der Sigurdsbude?

      Wieder ging es zum Fenster, wo sie in die Dunkelheit hinauszeigte.

      Und richtig. Ich erspähte für einen Moment ein budenhaftes Gebäude draußen im Garten. Ich hatte schon begriffen, dass dieser Abend einer von der Sorte war, an die ich mich noch oft erinnern würde, und zwar mit Freude und Wehmut gleichermaßen.

      Aber die Sigurdsbude?

      Und nun war sie diejenige, die von Wehmut erfüllt wurde. Nach nur wenigen Sekunden saß ich mit dem gerahmten Hochzeitsbild in den Händen da, das junge Paar, sie schaute aus strahlenden Augen zu ihm auf, er hatte einen etwas zerstreuten André-Bjerke-Blick, er schien hinter dem Rücken des Fotografen mystische blaue Gipfel zu erspähen. Gab es ein Leben nach dem Tod?

      Diese Bude habe Sigurd gebaut, erklärte Annelore, für den Fall, dass ich das noch nicht begriffen hätte, und in diesem Glauben ließ ich sie mehr als gern. Auf einem anderen Foto, das sich auf demselben Beistelltisch befand, starrte er uns mit Kirkeby-Brille und einer geraden Pfeife, wie der Vater von Dennis sie hatte, geradewegs ins Gesicht.

      »Ein flottes Mannsbild!«, ich fügte hinzu: »Ein flottes Paar!«

      Ja, vielen Dank für dieses Kompliment, er sei ein lieber Mann gewesen, es war der Krebs, und das ganze Leben in derselben Anwaltskanzlei, ja, auch in derselben Loge, übrigens. Und dann gebe es noch etwas, worüber sie nicht so gern spreche, das sich aber nicht unter den Teppich kehren oder totschweigen lasse, und das sei die Kiefernhecke.

      Wieder ging ich mit ihr ans Fenster, und abermals wurde in den dunklen Garten gezeigt. Nach einer Weile ging mir auf, dass besagte Kiefernhecke ein Teil der Dunkelheit war, die die Sigurdsbude jetzt teilweise


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