Das Mädchen und die Nachtigall. Henri Gourdin

Das Mädchen und die Nachtigall - Henri Gourdin


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      Henri Gourdin

      Das

      Mädchen

      und die

      Nachtigall

      Aus dem Französischen

      von Corinna Tramm

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      Die Geschichte spielt in den östlichen Pyrenäen, hauptsächlich in Villefranche-de-Conflent in den Jahren 1939 und 1940. Die Personen sind frei erfunden, der geografische und historische Rahmen dagegen ist ganz und gar real und so genau wie möglich aufgrund von Zeugenaussagen, die ich zusammentragen konnte, rekonstruiert. Die Stadt Villefranche gibt es immer noch; sie hat sich seit der Zeit, in welcher der Roman spielt, kaum verändert – eigentlich sogar, seit der Festungsbaumeister Sébastien Le Prestre de Vauban sie im 17. Jahrhundert anlegte. Ganz im Gegenteil, ihre Klassifizierung als Weltkulturerbe verleiht ihr eine Art Unsterblichkeit.

      Inhalt

       Argelès-sur-Mer

       Villefranche

       Weihnachten

       Priester Raynal

       Die Stadtmauer

       Renée Levêque

       Martha

       Marcel

       Émile

       Bestandsaufnahme des Kulturguts

       Pau Casals

       Agnès

       Lucienne

       Saint-Pierre in Prades

       Saint-Michel-de-Cuxa

       Wanda Landowska

       Charles Puech

       Gérard Dieudonné

       Charles de Gaulle

       Die Flucht nach Bordeaux

       René Levêque

       Schmuggel

       Das Jakobsfest

       Notre-Dame-de-Vie

       Mademoiselle de Brévent

       Johann Sebastian Bach

       Der Cady

       Die Têt

       Bernard Durand

       Chronologischer Überblick

       Danksagung

      Argelès-sur-Mer

      Das Lager von Argelès-sur-Mer war noch nicht eingerichtet, als uns die französische Armee in den ersten Februartagen des Jahres 1939 dorthin brachte. Es bestand aus einem Stück Strand, das von einem zwischen scheinbar zufällig gesetzten Holzpflöcken locker hängenden Stacheldraht begrenzt wurde. Dieser hatte nichts mit jenen zwölf Linien Stacheldraht gemein, die man später für uns errichtete und die bis zum Zerreißen zwischen vollkommen geraden und exakt aufgereihten Holzpfählen straff gezogen waren. Die Baracken waren nur in regelmäßigen Abständen aufeinandergestapelte Holzplanken, wahrscheinlich an den Orten, wo die zukünftigen Konstruktionen stehen sollten. Kein Schutz, kein Dach, am Anfang nicht einmal eine Decke: Jede Familie buddelte sich ein Loch in den Sand und schlief dort, vor dem Wind durch ihre aufgeschichteten Koffer und ihre Lumpen geschützt. Mit Kreide geschriebene Inschriften waren auf diesen Hütten zu lesen: Tausend und eine Nacht, Winterpalast, Eldorado …

      Die Männer waren in einem ähnlichen Areal untergebracht, die Kämpfer der Internationalen Brigaden in einem dritten, und diese nebeneinander verlaufenden Rechtecke wurden durch eine Art Korridore voneinander getrennt, durch Sandstreifen von vielleicht zwanzig Metern Breite, auf denen zunächst eher gutmütige Gendarmen zu Pferd patrouillierten, die katalanisch mit uns sprachen und Erkundigungen über uns einholten, dann aber algerische Soldaten und senegalesische Schützen, die uns an die marokkanischen Bataillone der Armee Francos und ihre schrecklichen Grausamkeiten erinnerten.

      Julia, unsere Nachbarin aus Tarragona, die meine Schwester und mich seit unserer Flucht begleitete, war außerordentlich lebenstüchtig und sehr geschickt mit ihren Händen. Kaum waren wir angekommen, hatte sie schon ein wenig Röhricht in einem Hain abgeschnitten, den wir noch nicht einmal bemerkt hätten, zwei oder drei Karosserieteile von Autowracks abgerissen und ein kleines Zuhause eingerichtet. Ich sehe sie noch, wie sie sich bei Einbruch der Dunkelheit unter dem Zaun hindurchzwängte, sich auf den Weg zu den im Hinterland liegenden Villen machte und mit Holz zurückkam. Feuer war unverzichtbar: Es wärmte uns die Knochen, vereinte uns während der langen Winterabende und brachte das modrige Wasser zum Kochen, das wir von Hand mit zwei Pumpen schöpften, die von den Soldaten errichtet worden waren. Diese Pumpen brachten ein brackiges Wasser zum Vorschein und befanden sich zudem neben dem Bereich, der uns als Latrinen diente: anfangs ein großes Viereck im Sand, bald schon ein ganzes Feld der Darmentleerung, wo man zwischen hockenden Menschen watete, ehe man sich selber niederkauerte.

      Alles hatte mit dem Aufstand der Faschisten im Juli 1936 begonnen. Sie besetzten eine spanische Provinz nach der anderen, mit massiver Unterstützung von Deutschland und Italien. 1938 war Katalonien an der Reihe, eines der letzten Bollwerke der Republik. Angriffe von beispielloser Gewalt. Trommelfeuer der Artillerie, Bombardierung von Städten und Dörfern, zivile Massaker. Wie in Guernica 1937. Im Mai 1938 bombardierten die Nationalisten das fünfundzwanzig Kilometer von Barcelona entfernte Granollers. Das war der Anfang vom Ende: Es folgten die Niederlage am Ebro im November und


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