Wie man Dinge repariert. Martin Peichl

Wie man Dinge repariert - Martin Peichl


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zu beschreiben. Ich würde gerne über den Geruch der Grillhendln schreiben, über die Wadeln der Kellnerinnen und das Gefühl, wenn dein Kopf nach vorne schnalzt, weil jemand mit voller Wucht beim Autodrom in dich hineingerast ist.

      Ich könnte mit dem an Zungenkrebs erkrankten Nachbarn beginnen, damit, dass ich in einer seiner Schubladen das erste Pornoheft meines Lebens gefunden habe und seitdem kein Nutella mehr mag. Oder mit der Erinnerung an Sommerferien und den Tagen am Badeteich. So könnte ich den Geruch von noch nicht ganz aufgeblasenen Luftmatratzen beschreiben, als erstes Anzeichen einer sich später ausformenden Sexsucht. Ich könnte mit lyrischer Prosa poetische Bilder malen: der kleine Fußballplatz im Dorf, aber die Tore haben keine Netze, die Sandkiste hinterm Haus, aber alle Kübel haben Löcher, die überfahrene Nachbarskatze, aber alle glauben, es ist ein Marder.

      Dass das erste Lokal, in dem ich mich regelmäßig mit Freunden getroffen habe, ROCK-IN geheißen hat, aber dass dort nur Blues gespielt wurde, das will ich auch unbedingt einbauen, dass dort eine Pizza Margherita mit Schinken und Zwiebeln serviert worden ist, und ein Wieselburger Stammbräu nur 22 Schilling gekostet hat. Das ROCK-IN, in dem ich mein erstes Date gehabt habe, aber sie war Ministrantin, und das machte alles ein wenig kompliziert.

      Was soll ich über die erste Liebe schreiben, wenn die erste Liebe ja doch die Frau ist, mit der man das erste Mal Sex hat, weil dann hat man's endlich hinter sich, dann kann man wieder an andere Sachen im Leben denken, zum Beispiel daran, welches Computerspiel man sich als nächstes kauft, oder man kann ein paar zusätzliche Akkorde auf der Gitarre lernen und irgendwann fünf statt nur drei Nirvana-Songs spielen.

      Ich habe überlegt, über das Geräusch zu schreiben, das ein 56K-Modem beim Einwählen ins Internet von sich gegeben hat. Oder über den Tag, als meine Mutter mein offenes Tagebuch gelesen und mir gesagt hat, ich soll bitte weniger an meine Cousine und mehr an die nächste Mathematik-Schularbeit denken. Oder über meinen Großvater, der irgendwann den Bieröffner nicht mehr gefunden hat, obwohl der Bieröffner in derselben Schublade gelegen ist wie sonst auch, aber niemand in der Familie hat das Wort »Alzheimer« ausgesprochen. Genauso gut könnte ich sein Begräbnis beschreiben und das Geräusch der regenfeuchten Erde, die wir im 4/4-Takt auf seinen Sarg geschaufelt haben.

      Ich könnte mit einer Widmung beginnen, THIS IS NOT FOR YOU könnte ich auf die erste Seite schreiben, oder von einer gemeinsamen Reise erzählen, dass du mir den Unterschied zwischen Topografie und Anatomie erklärt hast, dass du mir erklärt hast, wie ein künstlicher Horizont ausschaut. Ich könnte dir viele Namen geben im Verlauf unserer Geschichte, sie sind so austauschbar, die Namen, fast so austauschbar wie die Orte, an denen wir uns verpasst haben.

      Ich könnte mit allem anfangen, aber kein Anfang wäre richtig, kein Anfang würde stimmen. Auch die Reihenfolge ist egal, weil es keine Chronologie gibt. Alles, was wir erleben, ist untertunnelt, und darunter: ein ganzes Höhlensystem. Ich kann nicht über Weihnachten schreiben, ohne über Auffahrunfälle zu schreiben. Ich kann nicht über Ostern schreiben, ohne über den unfreiwilligen Wet-T-Shirt-Contest meiner beiden Tanten zu schreiben. Ich kann nicht über meinen zwölften Geburtstag schreiben, ohne über in Weichselsaft aufgelöste Butterkekse zu schreiben. Alles, was ich kann, ist Schneehöhlen graben. So lange, bis mir der kalte Schnee in die Schalhaube hineinrutscht. Oder sich der Schnee braun färbt von der harten Wintererde.

      BEZIEHUNGSSTATUS:

      Seit ich rausgefunden habe, dass man eine eigene Seilbahn-Gondel bekommt, wenn man den Rauriser Literaturwettbewerb gewinnt, schlafe ich schlecht. Ich wache mitten in der Nacht auf und höre den Wind, der talwärts den Hang entlangfegt, alle meine Sätze mitreißt, die Gondel hin- und herwirft und aus den Seilen springen lässt, mich und meine Sprache hinabreißt, ins Tal ohne Schluss.

      ZUM FEIERN HABEN WIR NICHTS

      Zum Feiern haben wir nichts, aber eine Flasche können wir trotzdem aufmachen. Zum Feiern haben wir wirklich nichts, aber deinen BH können wir trotzdem aufmachen. Zum Feiern haben wir nichts, egal, meine Hose können wir trotzdem, nein: deshalb aufmachen. DACHGESCHOSSSTIMMUNG.

      Hör auf in meine Richtung zu äschern, hör auf mit dem Wind. Der Wind auf deiner Zunge, wenn wir uns küssen, der Wind und deine Asche, wenn wir an morgen denken. Ich wollte deine Einsamkeit sein, aber der Winter ist in uns hineingekrochen, und der Winter wird bleiben, unsere Lippen aufreißen, unsere Sprache aufreißen. LAWINENSTIMMUNG.

      Pünktlich um Mitternacht verrutschen, kurz nach Mitternacht versagen die Organe. Zum Feiern haben wir nichts, zum Beerdigen genug. Ich wühle in dem, was noch übrig ist von dir am Morgen. Du hast mein Bett verwüstet. LATTENROSTSTIMMUNG.

      Ich schreibe dir einen Liebesbrief, du klemmst ihn dir zwischen die Schenkel, da ist Platz, da ist Platz für zwei. Mit jedem Schluck Wein werden meine Sätze glitschiger, meine Blicke schlittern in deine Richtung. Lass uns um die Wette, lass uns. Was hast du mir nur. Was hast du mir nur unter die Zunge. Unter die Zunge und hinein in meine Sprache geschoben, dass ich so hänge, in deinen Ästen hänge und raschle im Fallen, so laut. PLATZREGENSTIMMUNG.

      Ein Koordinatenursprung, wo du aufhörst und ich beginne. Zum Feiern haben wir nichts. Dein Lippenstift bröckelt in meine Grammatik hinein. Mir sind die Possessivpronomen ausgegangen. Alles, was du sagst, kann und wird, alles, was du sagst, ist eine Startrampe. Mein Körper ist kein Tempel. Mein Körper ist ein Raumschiff. Du bist mein Houston. Wir haben ein Problem. ERDROTATIONSSTIMMUNG.

      Ich schenke ein. Da ist ein Loch. Ich trinke. Da ist ein Loch. Ich trinke aus. Da ist ein Loch. Der Wein versickert in meinen Nebensätzen. Wenn ich dich jetzt am Hals berühre, zerspringst du mir in zwei Teile, und ich weiß nicht, will ich deinen Kopf oder will ich den Rest. KLEBSTOFFSTIMMUNG.

      Zum Feiern haben wir nichts, aber eine Flasche zwischen Nicht-schlafen-Wollen und Nicht-schlafen-Können geht sich noch aus. Ich erzähle von dir, mit meinen Fingerspitzen, dein Blues ist mein Rhythmus, ich erzähle von dir, ganz langsam nimmst du meine harte Prosa in den Mund. Schon lange widme ich dir alle meine Hangover. Dein Herz schickt mich zum Friseur. LUNGENZUGSTIMMUNG.

      Wir schenken uns ein halbes Leben, schenken uns ein halbes Leben nach. Ich will, dass du mich verwechselst, aus Versehen mit Liebe verwechselst, aber mein Eintrittswinkel ist zu spitz, mein Eintrittswinkel ist zu stumpf, wir haben uns verrechnet. In meinen Sätzen treiben, in deinen Sätzen schmelzen Eisberge. Zum Feiern haben wir nichts. COUNTDOWNSTIMMUNG.

      BEZIEHUNGSSTATUS:

      Wir sind Mitte dreißig und haben noch nie etwas repariert.

      SEEUNGEHEUER

      Aus den Augen verloren, dich,

      in ein Taschentuch gewischt, dich,

      auf einer ungefähren Landkarte eingezeichnet, dich,

      wo früher Seeungeheuer gewartet haben: ich.

      Seit Wochen schon reden wir kein Wort. Wir sehen uns regelmäßig, es lässt sich nicht vermeiden, zu klein die Stadt, zu klein der Bezirk, wir schauen aneinander vorbei, schauen durch uns durch, manchmal passiert es auch, dass wir reinschauen, ich in dich und du in mich, dann bekommen wir Angst, weil da so viel ist, was wir nicht kennen, so viel ist, was wir nicht verstehen, so viel ist, was wir noch immer wollen, weil wir so nackt sind da drinnen.

      In einem schwachen Moment Eichendorff zitiert, schon wieder, ich,

      wieder einmal ohne Rhythmus und Reim geküsst, dich,

      deine Augen verdreht bis zum Horizont und weiter,

      als hätt der Mond die Erde, im falschen Film, schon wieder, ich.

      Irgendwann passiert es dann wieder, wahrscheinlich, weil drei Monate vergangen sind und wir einmal pro Quartal zusammenstoßen müssen, einmal pro Quartal kommt es zur Kollision, es beginnt immer ganz harmlos, wir nehmen dieselbe U-Bahn, wir wechseln ein paar Worte, alles noch relativ harmlos, du lachst über mich und meine Halbsätze, nicht mehr ganz so


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