Wie man Dinge repariert. Martin Peichl

Wie man Dinge repariert - Martin Peichl


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mehr harmlos, ob du schon genug hast von mir, also steigst du auch aus, weil du hast noch nicht genug von mir oder willst zumindest wissen, was ich mit dieser Frage meine, du willst zumindest wissen, wie sehr ich dich will und warum.

      Dein Herz: eine Sommerrodelbahn im Winter, und schau,

      deine Sprache: ein Getränkemarkt zu Silvester, und schau,

      deine Küsse: Reservierungsbestätigungen per E-Mail, und schau,

      LIEBEN HEISST, DAS EIGENE ICH RISKIEREN.

      Keines unserer üblichen Lokale hat um diese Uhrzeit offen, also nehmen wir das nächstbeste, und du bestellst einen weißen Spritzer nach dem anderen und für mich immer ein großes Bier dazu, weil du mich nur aushältst, wenn du dich gleichzeitig betrinken kannst, nüchtern hältst du mich nicht aus, also betrinkst du dich, und nach dem fünften weißen Spritzer schiebst du deine Hand unter den Tisch, und du öffnest meinen Reißverschluss, ganz langsam, nach dem fünften weißen Spritzer unterstellst du mir, nur Sex zu wollen von dir, immer nur Sex, aber nicht deine Liebe. Was auch immer deine Liebe ist, wie auch immer deine Liebe funktioniert.

      Ein paar Tage am Meer, ein paar Tage am See, wir,

       der Hotelpianist spielt nur für uns, er trinkt:

       kleine Bier und zwischendurch Likör, er spielt:

      ein Lied, zu dem wir uns gerne verliebt hätten, einmal.

      Dann muss ich weg, ich habe einem Freund versprochen, noch auf seiner Geburtsparty vorbeizuschauen. In der Straßenbahn schreibe ich einen Text, eine lange Liste mit Gründen, warum wir es noch einmal probieren sollten miteinander. Und ich stelle mir vor, wie ich später zu dir komme, dir die Liste vorlese und du mich vielleicht umarmst oder zumindest mich nicht mehr ganz so schrecklich und unmöglich findest, nur, weil ich ein Trottel bin, der sich nicht entscheiden kann, sich schon jahrelang nicht für dich entscheiden kann, obwohl er immer wieder zurückkommt zu dir, nicht loskommt von dir. Und ich stelle mir vor, dass du vielleicht sagst: Komm her, du Trottel, bleib heute Nacht bei mir.

      REALITY CHECK, sagst du, ich erhöhe, ALL-IN, sage ich, kein Umtauschrecht, sagst du, keine Garantie, und ob wir eine gute Idee sind, weil die Wirklichkeit taucht alles in ein schwindeliges Licht, taucht uns unter.

      In der Zwischenzeit bestellst du noch einen sechsten weißen Spritzer und dann vielleicht einen siebten, lernst den Typen vom Nebentisch kennen, er wohnt bei mir im Haus. Und während ich an meiner Liste schreibe, während ich schon auf der Rückseite weiterschreibe, weil mir immer mehr Gründe einfallen, gehst du mit zu ihm. Und während ich mir überlege, wer du bist für mich, ziehst du dich ein Stockwerk unter meiner Wohnung aus. Und während ich an deine Haut denke und wie sehr ich will, dass sie nur mir gehört, drückt sich dein nackter Rücken hinein, immer fester hinein in die Matratze meines Nachbarn.

      In Bauchnabeln angesammelt deine Zweifel, restfeucht, ein fremdes Haar, an dem du baumelst, das Revier markiert, der Wind beschädigt, dein Blick schreit Mord, meiner Totschlag.

      Auf das Ergebnis des Schwangerschaftstests warten wir dann gemeinsam. Ich weiß nicht, warum ich hier bin, in deiner Wohnung, ich weiß nicht, warum ich jetzt deine Hand halte, während wir auf das Ergebnis des Schwangerschaftstests warten, ich weiß nur, dass ich hier bin, dass ich in diesem Moment deine Hand halte, in deinem Bauch vielleicht ein Seeungeheuer, und ich halte deine Hand. Vielleicht zum letzten Mal. Wahrscheinlich nicht zum letzten Mal.

      Aus den Augen verloren, dich, in ein Taschentuch gewischt, mich, auf einer ungenauen Landkarte eingezeichnet, uns, wo früher wir gewartet haben: ein weißer Fleck.

      BEZIEHUNGSSTATUS:

      Am Wochenende trinkst du meine fragile Männlichkeit wie Schnaps.

      WIE KREBS FUNKTIONIERT

      Als Kind wusste ich nicht, wie Krebs funktioniert. In meiner Erinnerung stehe ich im Haus der Nachbarn, in meiner Erinnerung stehe ich in ihrem Schlafzimmer. Es muss ein Sommertag gewesen sein, denn ich erinnere mich an kurze Hosen, an den Geruch von Sonnencreme und an mit Wassereis verklebte Mundwinkel. Der Nachbar war an Zungenkrebs erkrankt und lag schon seit Wochen im Sterben, konnte nicht mehr sprechen und sich nur mit Stift und Papier mitteilen.

      Meine Mutter hatte mich mitgenommen, meine Mutter hatte auf den paar Metern zwischen unserem Haus und dem Haus der Nachbarn zu mir gesagt: Der Nachbar hat Krebs. Das war alles. Nur dieser eine Satz. Der Nachbar hat Krebs. Und ich habe mir vorgestellt, wie da ein Flusskrebs in seinem Hals lebt und ihm die Zunge wegzwickt, habe mir vorgestellt, dass der Krebs seine Stimmbänder abgezwickt hat und er deshalb nicht mehr reden kann, und habe mich natürlich gefragt, warum niemand seinen Hals aufschneidet und den Krebs rausholt, habe mich zwischendurch sicher auch gefragt, wovon der Krebs sich ernährt und ob er zum Beispiel Nudelsuppe mag. Überhaupt, glaube ich, war damals mein Gehirn ein Malkasten und ich wusste noch nicht, welche Farben man besser nicht mischen sollte.

      Die Frau unseres Nachbarn rauchte viel, auch im Schlafzimmer neben dem Krankenbett rauchte sie ständig, und ihre Stimme war tief und kratzte in meinen Ohren. Vielleicht sitzt auch in ihrem Hals ein Krebs, dachte ich, aber ihr Krebs kommt nicht zum Zwicken, der findet vor lauter Rauch die Stimmbänder nicht.

      An diesem Nachmittag oder Vormittag jedenfalls, ich weiß nicht mehr wieso, war ich auf einmal alleine mit dem Nachbarn und seinem Krebs in seinem Schlafzimmer. Er war offensichtlich eingeschlafen, denn der Block war ihm aus der Hand geglitten und der Stift zu Boden gefallen. Meine Mutter und die Nachbarin waren in die Küche gegangen, wahrscheinlich um Kaffee zu kochen. Ich sah, dass die Schublade des Nachtkästchens ein Stück weit offen war, entdeckte ein buntes Magazin, und hoffte, dass meine Nachbarn, so wie mein Cousin, vielleicht Comics sammelten. Also ging ich ganz leise zur Schublade und öffnete sie.

      Im nächsten Moment hielt ich das erste Pornoheft meines Lebens in der Hand. Ich hatte nicht viel Zeit, ich hörte die Stimme meiner Mutter und die Stimme der Nachbarin zwei Zimmer weiter, sie kamen mir jetzt näher vor, außerdem konnte der Nachbar jederzeit wachgezwickt werden von seinem Krebs, also schlug ich nur eine einzige Doppelseite auf, und ich glaube, seit diesem Tag ist meine Lieblingsstellung die 69.

      Wie Krebs funktioniert, weiß ich immer noch nicht.

      BEZIEHUNGSSTATUS:

      Ich habe die leeren Bierflaschen in meiner Wohnung gezählt. Da stehen 78 leere Bierflaschen in meiner Wohnung, zum Teil im Vorzimmer, zum Teil in der Küche. 78 leere Bierflaschen.

      PACKEIS IN DEN AUGEN

      Glaubt man den Fotos, die man im Internet findet, dann hatte niemand einen schöneren Mittelscheitel als Ernest Shackleton.

      Es gibt keine Berichte über die Verfassung von Shackletons Mittelscheitel, als sein Schiff, die Endurance, 1915 fast ein ganzes Jahr von Packeis eingeschlossen war. 281 Tage umgeben von Eis, und am 21. November schließlich wurde das Schiff von den Eismassen zerdrückt.

      Es gibt ein Foto, das die sinkende Endurance zeigt. Im Vordergrund sechs Schlittenhunde, ihre Blicke auf das Schiff gerichtet. Die Endurance, ganz schwarz, geht unter im Weiß des Eismeeres.

      Wenn wir an Shackleton denken, dann an diese Expedition. Auf drei Rettungsboote verteilt konnte er seine gesamte Mannschaft retten. Manche sprechen in diesem Zusammenhang von einem Wunder. Wenn wir an Shackleton denken, dann an sein Scheitern und die anschließende Rettungsaktion. Sogar einen Krater auf dem Mars haben sie nach der Endurance benannt. Niemand denkt an Shackletons Mittelscheitel.

      Einmal hast du zu mir gesagt: Im richtigen Licht schaust du fast aus wie Shackleton. Das war das schönste Kompliment, das du mir je gemacht hast. Aber damals warst du noch verliebt, und ich hatte noch mehr Haare und einen Deckenfluter, der funktionierte.

      Es gibt auch Fotos von Shackleton mit Vollbart und Seitenscheitel. Diese Aufnahmen sind lange nach der Endurance-Expedition


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