Wie man Dinge repariert. Martin Peichl
Stimmen. Es ist der Triest-Komplex, der Traum vom Meerzugang. Wir wollen einen Meerzugang, um ihn dann gleich wieder zu schließen. Überhaupt wollen wir alle Grenzen schließen, damit niemand sieht, was wir in unseren Kellern verstecken.
Meinen ersten längeren Text habe ich mit fünfzehn oder sechzehn in ein kariertes A5-Heft geschrieben. Damals habe ich noch geglaubt, dass man Geschichten erzählen kann, dass es eine Erzählperspektive gibt, auf die man sich verlassen kann. Dass es eine Sprache gibt, mit der ich etwas BESCHREIBEN kann. Mittlerweile wissen wir beide: Sprache kann im besten Fall etwas ZERSCHREIBEN. Und seitdem fallen wir auseinander. Wie ein Kartenhaus, könnte ich jetzt schreiben, aber die Vergleiche ruinieren uns. Seit wir angefangen haben zu vergleichen, sind wir nicht mehr ganz.
Der Text, der jetzt irgendwo in einer Schublade in meinem Elternhaus liegt, basiert auf dem Videospiel Super Mario Bros. Es ist also eine klassische Liebesgeschichte. Ärger als Romeo und Julia. Härter als jeder Tarantino-Film. Es gibt eine Prinzessin, aber die Prinzessin ist immer IN ANOTHER CASTLE, und Mario, der tragische Held, nimmt harte Drogen, um mit seinem Vermissen zurechtzukommen, mit der Tatsache klarzukommen, dass, egal wie schnell er sprintet und egal wie weit oder hoch er springt, er immer zu spät dran sein wird, die Prinzessin ist schon wieder weg. Die Röhren, die in die Unterwelt führen, repräsentieren sein Unbewusstes, stehen für sein ES, seine dunklen Fantasien, wenn er sich zum Beispiel vorstellt, die Prinzessin an ihr Prinzessinnenbett zu fesseln, oder sich vorstellt, ihren Prinzessinnenhals ein wenig zu würgen. Wenn man, so wie ich, alle Teile Super Mario gespielt hat und miteinander vergleicht, wird eines klar: Der Protagonist ist hochgradig beziehungsunfähig. Er wird nie wieder wirklich lieben können, egal wie viele Extra-Leben er auch sammelt, die Prinzessin wartet nicht auf ihn, die Prinzessin ist nicht wählerisch, sie nimmt jeden dahergelaufenen Installateur, ja sogar seinen Bruder würde sie nehmen.
Bei meinem nächsten Besuch im Waldviertel werde ich das Heft suchen und dir daraus vorlesen. Und dir gestehen, dass ich beim Wort SCHWEDENBOMBEN immer an deine Brüste denken muss. Wenn du dich bückst und dein T-Shirt nach vorne fällt und ich den Countdown lesen kann und nicht weiß, welchen bunten Draht ich durchschneiden soll. Ich finde, es gibt schlimmere Vergleiche. Ich kann mich noch erinnern, einmal hast du betrunken gesagt: Der Tag, an dem ich dich kennengelernt habe, ist mein persönliches 9/11. Wir haben gelacht, noch eine Runde Schnaps bestellt und angestoßen, als würden wir ein Jubiläum feiern.
BEZIEHUNGSSTATUS:
Du sagst, ich soll keine Geschichte machen aus dir, ich soll bitte keine Fortsetzungsgeschichte machen aus dir, nicht schon wieder. Du sagst, ich soll mir endlich einen passenden Schluss einfallen lassen.
DIE GESAMTHEIT DES GEFUNDENEN
Es gibt den Kühlschrank und vier Dosen Bier, eine davon im Gemüsefach. Es gibt die Kohlensäure und das nasskalte Licht, das aus dem Kühlschrank kippt. Es gibt den ersten Schluck, und es gibt den letzten Schluck. Und die Zeit dazwischen.
Die Regenwahrscheinlichkeit gibt es. Es gibt den Dauerregen, den Nieselregen, den Starkregen, den Gewitterregen, den Steigungsregen und den Schlagregen. Es gibt den Regen, der uns überrascht, und den Regen, auf den wir warten.
Es gibt die Gedichte, die ich schreibe, nachts, wie ein Verbrecher, die Gedichte, die ich dir gebe, nachts, wie ein Verbrecher, und du steckst sie ein und dann höre ich nichts von dir, die nächsten paar Wochen.
Die Parkbank vor der Kirche gibt es, wenn es Abend wird und du meine Hand unter deinen Rock schiebst, auf der Parkbank vor der Kirche, die Schatten gibt es, die am Morgen in mein Blickfeld hineinfallen, wenn ich von deiner Wohnung nach Hause gehe, vorbei an der Kirche, die Glocken läuten.
Die Monatskarte fürs Hallenbad gibt es, aber ein Hallenbad ist kein Ersatz für das Meer, ein Hallenbad ist kein Ersatz für Nähe, nur weil dein Körper im selben Chlorwasser treibt wie mein Körper, nur weil dein Handtuch nach demselben Waschmittel riecht wie mein Handtuch, ein Hallenbad ist kein Ersatz.
Meine Wut gibt es, ich zerdrücke die Bierdosen mit ihr, zerdrücke dich zwischen meiner Wut und den Bierdosen, es gibt kein Pfand, schreie ich, es gibt kein Pfand auf das, was ich dir verschwiegen habe.
Es gibt den Massagegutschein, den du mir geschenkt hast, aber es sind die falschen Hände, warum schenkst du mir fremde Hände, habe ich dich gefragt.
Es gibt die Bierdeckel, auf die ich deine Sätze schreibe, die Bierdeckel, auf die ich deine Sätze schreibe und so lange verwische, bis es meine Sätze geworden sind.
Es gibt die E-Mails von Booking.com, ich soll meinen Aufenthalt bewerten, soll unsere letzte Reise auf einer Skala von 1 bis 10 bewerten. Booking.com schickt mir immer noch Angebote für die Orte, die wir gemeinsam bereist haben.
Es gibt die Aschenbecher, die wir aus den Bars gestohlen haben, die wir früher gemeinsam besucht haben, die leeren Zigarettenschachteln gibt es, die leeren Feuerzeuge und Streichholzschachteln von Lokalen, die es nicht mehr gibt, mit einer Telefonnummer drauf, aber niemand hebt ab.
Es gibt den Rausch, in den ich mich hineinlege wie in die Donau, die Donau nimmt mich so, wie ich bin. Es gibt den Rausch und es gibt das Taxi, das mich nicht zu dir bringt, und wenn ich aussteige, schreien die Fassaden.
Es gib den unsichtbaren Regen und die Tage, an denen wir die einzigen Menschen mit aufgespannten Regenschirmen sind.
Und die Wiederholung, die gibt es auch.
BEZIEHUNGSSTATUS:
Immer zwei, manchmal drei Finger.
WARST DU SCHON EINMAL IN ILLINOIS?
Fast 73 Jahre lang war Pluto ein Planet. Der Himmelskörper wurde nach seiner Entdeckung 1930 nach dem römischen Gott der Unterwelt benannt, dem Räuber der Proserpina, besser bekannt als Persephone.
Auf einer Radierung von Albrecht Dürer aus dem Jahr 1516 sieht man die Entführungsszene, in der Mitte des Bildes Proserpinas Brüste. Pluto hält sie von hinten fest umklammert. Das gebogene Horn des mächtigen Pferdes, auf dem die beiden reiten, ragt fast über den rechten Bildrand hinaus.
Am 24. August 2006 kam es auf der Generalversammlung der Internationalen Astronomischen Union zu einer Abstimmung, und Pluto wurde der Planetenstatus entzogen. Die Begründung: Ein Himmelskörper ist nur dann ein Planet, wenn er eine bestimmte Masse besitzt und er sich auf einer Bahn um einen Stern bewegt, selbst aber kein Stern oder Mond eines Planeten ist. Seit September 2006 hat Pluto die Kleinplanetennummer 134340.
Die Aberkennung des Planetenstatus erlebte sein Entdecker Clyde Tombaugh nicht mehr. Am 19. Januar 2006 startete die Raumsonde New Horizons zur Erforschung des Zwergplaneten. Mit an Bord die Asche von Clyde Tombaugh.
Seine Biografie mit dem Untertitel Discoverer of Planet Pluto habe ich bei dir vergessen. Auch wenn du behauptest, das Buch nie gesehen zu haben. Es ist die Neuauflage von 2007. Den Titel haben sie trotzdem nicht geändert.
In Illinois wurde 2009 beschlossen, Pluto weiterhin als Planeten zu bezeichnen. Warst du schon einmal in Illinois?
BEZIEHUNGSSTATUS:
Du findest, wir sind ein schönes Beispiel für den Concorde-Effekt.
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