aWay. Nic Jordan

aWay - Nic Jordan


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dem dunklen, mit Holz bekleideten Laden herrschte ansonsten Stille, man hörte nur einen leichten Wind durch die Türspalte sausen. Es war noch früh, außer einem älteren Mann konnte ich niemanden sehen. Nach einem kurzen, typisch englischen Small Talk verschwand die Frau hinter einer Tür, um Karton und Stift für mich zu holen. Bevor ich ging, gab sie mir noch ein Glas Wasser, da ich jetzt schon völlig dehydriert war. Wie würde das erst in Südostasien und im Outback Australiens werden?

      Ich schob den Gedanken beiseite und spazierte ganz entspannt zu der Tankstelle, die auf der Straße in Richtung Dover lag, von wo ich mit der Fähre nach Frankreich übersetzen wollte. Am liebsten trampe ich von Tankstellen los, da ich mir die Leute genauer anschauen kann und es in meiner Macht liegt, wen ich ansprechen möchte. Zudem sagen in einer Face-to-Face-Situation mehr Leute zu, wenn du sie darum bittest, dich mitzunehmen.

      Die erste Person, die ich an der Tankstelle ansprach, war eine circa fünfzigjährige Engländerin namens »Just call me Kate«. In ihrem pinken Kleinwagen hatte sie meine Aufmerksamkeit gewonnen. Ohne groß zu überlegen, war sie sofort dazu bereit, mich mitzunehmen. So war der erste Schritt in die Freiheit gemacht.

      Das nächste Auto, das anhielt, gehörte einer deutschen Künstlerfamilie, die durch den Tunnel bis nach Deutschland fahren wollte. Allerdings hatte ich mir die romantische Idee in den Kopf gesetzt, unbedingt mit der Fähre fahren zu wollen. Ich hatte mir bildlich ausgemalt, wie ich winkend auf einem Schiff stehe und England in der Ferne immer kleiner werden sehe. Mir kam es zu einfach vor, direkt mit einem Auto so eine lange Strecke zurückzulegen und am selben Tag schon in Deutschland anzukommen. Wo war da das Abenteuer? Zumindest in Frankreich wollte ich zwischenstoppen, am Meer ein Croissant zum Frühstück essen und mir die Sonne ins Gesicht scheinen lassen.

      Nach nur fünfzehn Minuten Fahrt bat ich die Familie, mich an der nächsten Raststätte rauszulassen. Unsicher, ob es die richtige Entscheidung war, kroch ich mit meinem schweren Rucksack und müden Schultern aus dem Wagen. Es hatte sich irgendwie nicht natürlich angefühlt, die Fahrt abrupt abzubrechen, und irgendwie die Energien verändert. Trotzdem blieb ich bei der Entscheidung und tat so, als wüsste ich genau, was ich da tat.

      Aber anscheinend hatte mir meine Sturheit einen Strich durch die Rechnung gemacht. Auf einmal stand ich auf einem verlassenen Rastplatz und suchte in der heißen Mittagssonne nach wenigstens einem Auto, das ich fragen könnte, mich ein Stück mitzunehmen. Doch weit und breit kam nichts. Der Rastplatz war ein wenig abgelegen von der Hauptstraße und dadurch schlecht besucht.

      Ein Hungergefühl breitete sich in meinem Magen aus, und ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass ich nur noch vier Stunden bis zum Sonnenuntergang hatte. Wenig später kamen die ersten Autos und reihten sich an der Tanksäule ein. Hoffnungsvoll machte ich mich auf den Weg zu denen, die bereits ausgestiegen waren, und sprach die ersten zwei Leute an, die aber nicht in meine Richtung mussten.

      Hinter mir erklang eine aufgebrachte Stimme: »Excuse me, Miss, what are you doing here?«

      Als ich mich umdrehte, war es die Dame, die auf dem Rastplatz arbeitete und mir erklärte, dass ich hier nicht trampen durfte. Nach einer kurzen, sinnlosen Diskussion gab ich auf. Ich wusste, dass es keine gesetzlichen Vorschriften dazu gab, wollte mich aber auch nicht weiter streiten, um keine Kraft zu verschwenden. Kurz sah ich mich nach einer Lösung um und stellte mich dann mitten auf den gegenüberliegenden Kreisverkehr.

      Der Schweiß tropfte mir von der Stirn, und ich fühlte, wie mein Rücken nass an meinen Backpack gepresst war und noch mehr Hitze erzeugte. Mein Magen knurrte lauter und lauter. Dazu war ich verdammt durstig, die Hitze saugte jegliche Flüssigkeit aus mir, und die Abgase an den Straßen hinterließen einen staubigen Belag auf meiner Zunge. Meinen Platz wollte ich nicht verlassen, also unterdrückte ich all die menschlichen Bedürfnisse, die mich bereits jetzt in die Knie zu zwingen versuchten. Die unfreundliche Tankstellenmitarbeiterin glotzte immer wieder zu mir rüber, ihr schmeckte es sicherlich nicht, dass sie mir hier draußen nichts zu sagen hatte.

      Da, wo ich stand, gab es keinen richtigen Seitenstreifen, auf dem jemand für mich hätte halten können. Dadurch fuhren die meisten Autos entweder hupend oder mit verächtlichen Blicken an mir vorbei. Sie verstanden nicht, was ich von ihnen wollte, und ehrlich gesagt war ich mir selbst nicht ganz sicher, was ich da tat. Langsam kam mir der Gedanke, dass ich vorhin meine Glückssträhne ausgereizt hatte, als ich auf meinem Fährenplan beharrte.

      Etwa eine Stunde und gefühlte hundert hupende Autos später hielt ein Kleintransporter. Ein dicker Mann mit blassem Gesicht schaute kurz aus dem Fenster. Mehr konnte ich zunächst nicht erkennen, denn die Sonne schien mir direkt in die Augen. Mit einem unüberhörbar deutschen Akzent rief er: »Where do you go?«

      Ich antwortete: »Dover, ferry terminal! Are you German?«

      »Ja, du auch? Steig ein«, rief er zurück und öffnete die Beifahrertür. Er stand mitten im Kreisverkehr auf der Straße, und zwei genervte Autofahrer hinter ihm fluchten und hupten. Die Situation hatte mich unter Druck gesetzt, sodass ich über die Straße rannte und unüberlegt auf den Beifahrersitz sprang. Sobald ich die Türe schloss, bereute ich meine Entscheidung. Ein unausweichlicher strenger Geruch schoss mir in die Nase. Auf dem Boden lagen unzählige zusammenhanglose Gegenstände, unter anderem eine Puppe ohne Kopf. Ich sah den aus allen Poren schwitzenden Mann an und fühlte mich unwohl. Meine Intuition schlug Alarm und schrie mich in meinem Kopf an, wieso zur Hölle ich in dieses Fahrzeug gestiegen war. Sein beflecktes weißes T-Shirt klebte an ihm und war fast durchsichtig vor Schweiß. Mir fiel so schnell keine Ausrede ein, um wieder auszusteigen, und leider waren wir schneller als gedacht auf der Autobahn.

      Der Geruch im Kleintransporter und mein leerer Magen ergaben eine unangenehme Mischung, die mich keinen klaren Gedanken fassen ließ. Hinzu kam der Stress, für den ich selbst verantwortlich war. Die Spucke in meinem Mund schmeckte immer süßer vor Übelkeit.

      Trotz allem versuchte ich mir einzureden, dass er wahrscheinlich nur ein harmloser Messi war. Eine Zeit lang herrschte unheimliche Stille im Auto. Wieso sagte er denn nichts? Mit Sicherheit ginge es mir besser, wenn wir uns ein wenig unterhielten, also durchbrach ich das große Schweigen, um ihn nach dem Namen zu fragen.

      Wie in Zeitlupe drehte er seinen Kopf, und seine starrenden, beinah durchsichtigen Augen durchbohrten mich. Sie wirkten tot, frei von Energie und Liebe. Frei von irgendetwas, mit dem ich mich hätte identifizieren können. Mit krächzender Stimme antwortete er langsam: »Dieter, ich heiße Dieter«, und musterte mich dabei von oben bis unten. Als er seinen Kopf wieder der Straße zuwendete, wanderte seine Hand unübersehbar in Richtung Schritt.

      Ich bekam Panik. Ich dachte an die Worte meiner ehemaligen Mitbewohnerin, die Selbstverteidigungskurse für Frauen gab. Sie hatte mir vor meiner Abreise erklärt, dass man, wenn man sich von einem Mann bedroht fühlt, keine Angst zeigen und in die Opferrolle verfallen, sondern laut werden soll. Denn genau das Opfer ist es, was für Psychopathen den Reiz ausmacht.

      Ich nahm all meine Mut zusammen und sagte bestimmt: »Bitte anhalten. Mir ist übel, und ich brauche frische Luft!«

      Zuerst ignorierte Dieter meine Anweisung, also wiederholte ich mich und wurde lauter. Dieter sagte, dass er an der Autobahn nicht halten durfte und starrte mich erneut mit durchbohrendem Blick an. »Du musst wohl noch ganz lange bei mir bleiben«, sagte er mit seiner Hand in seinem Schritt.

      Meine Alarmglocken schlugen dann vollends aus, als ein Polizeiauto vorbeifuhr und Dieter panisch zu rufen anfing: »Was gibt’s da zu glotzen? Wieso haben die so geschaut? Was gibt’s da zu schauen?«, obwohl zu meinem Bedauern keiner der Beamten uns eines Blicks gewürdigt hatte.

      ›Jetzt oder nie‹, dachte ich und wagte einen weiteren Versuch, zu entkommen. Ich sprang auf und schrie ihm lauthals ins Gesicht: »HALT SOFORT AN!! SONST SPRINGE ICH HIER UND JETZT AUS DEM FAHRENDEN AUTO, UND WIE WILLST DU DAS DEM POLIZEIAUTO HINTER UNS DANN ERKLÄREN??!?« Demonstrativ nahm ich den Türgriff in die Hand. Selbstverständlich hatte ich geblufft, was das Polizeiauto hinter uns anging, aber meine Worte waren genug, um die Kontrolle über die brenzlige Situation zu gewinnen.

      Dieter war seine Paranoia ins Gesicht geschrieben, er schien auf einmal noch einen Farbton heller als kreidebleich zu sein.


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