aWay. Nic Jordan
machte mich so glücklich, dass es mich überkam und ich beide zusammen einfach mit umarmte. Dave stellte den Gastgeber auch als Dave vor, also bekam der Fahrer Dave den Spitznamen Davey. Dave erklärte uns, dass er tatsächlich Teil einer Gemeinde war und wir heute in einer Kirche übernachten würden. Wir hatten beide nicht damit gerechnet, aber waren begeistert, so eine Erfahrung machen zu können. Abgesehen davon lag mir die Nacht am Strand noch ordentlich in den Knochen, und ich freute mich einfach nur über ein Bett.
Zum Sonnenuntergang unternahmen wir einen spontanen Trip zum Meer, und so endete der Tag für mich, wie er angefangen hatte. Wir waren die Einzigen an diesem Strand, also legten wir alle unsere Kleidung ab und schwammen, wie Gott uns schuf, während das Meer sämtliche Schattierungen des strahlend blauen Himmels spiegelte.
Zurück am Pfarrhaus gab es noch Abendbrot im Hinterhof. Anschließend kletterten wir aufs Dach, wo wir bei einem Glas Wein Geschichten austauschten und die vorbeifliegenden Sternschnuppen zählten. So ließen wir einen weiteren unvergesslichen Tag auf meinem Ritt in die Freiheit ausklingen.
Ein lauter Knall gefolgt von einem Aufschrei im Gang riss mich frühzeitig aus meinem wohlverdienten Schlaf. Ich öffnete die Augen, die Sonne schien mir vom Dachbodenfenster direkt ins Gesicht. Der Tag begrüßte mich liebevoll, aber dem Lärm wollte ich trotzdem auf den Grund gehen. Langsam stolperte ich zur Tür und öffnete sie einen Spalt, um nachzusehen, was im Flur vor sich ging. Ich blieb nicht unbemerkt, das Quietschen der alten Holztür verriet mich. Ein kleiner Mann mit blau-weiß gestreiftem Pyjama und zerzausten Haaren stand vor einem Berg aus Wattestäbchen und einigen Scherben, die sich vor seinen Füßen auf dem Boden verteilt hatten, und starrte regungslos in meine Richtung. Sein dicker Bauch ragte unten aus dem Pyjamaoberteil heraus, und direkt vor seinem haarigen Bauchnabel fehlte ein Knopf. Lächelnd ging ich auf ihn zu, um ihm zu helfen. Allerdings war seine Reaktion anders, als erwartet. Erschrocken rannte er so schnell vor mir davon, dass er mit seinen Socken auf dem glatten Boden ausrutschte. Mit einem weiteren Knall landete sein fleischiger Körper auf dem Boden. Um uns herum öffnete sich eine Tür nach der anderen, und die Bewohner dieser kleinen Gemeinde kamen aus ihren Türen. Wer nicht wie ich vom ersten Knall geweckt worden war, stand spätestens jetzt nach dem zweiten im Flur. Keiner schien überrascht über das Chaos oder über den am Boden sitzenden Mann, der sich seine Ohren zuhielt. Ohne zu kommunizieren, wurde das Chaos beseitigt und der Mann von jemandem die Treppe runter begleitet.
Wir versammelten uns alle in der Küche. Zuerst wurde kein Wort über den Zwischenfall verloren, und alle halfen mit, das Frühstück zu servieren. Bei einer frischen Tasse schwarzem Kaffee und Toast mit Erdnussbutter erfuhr ich, dass keiner so recht wusste, wo der Mann herkam. Anscheinend war er wochenlang verwahrlost neben der Kirche rumgesesssen. Das Dorf war klein, und der Besuch des fremden Obdachlosen hatte sich schnell rumgesprochen. Immer wieder hatten Menschen versucht, mit ihm zu sprechen, doch keiner schaffte es, sein Schweigen zu brechen. Einige Gemeindemitglieder beobachteten eines Tages, wie er einen verletzten Vogel verarztete, und sahen sein gutes Herz. Am selben Tag noch wurde abgestimmt, ob man den Mann aufnehmen wollte, und alle entschieden sich einstimmig dafür. Als sie ihn reinbaten, wehrte er sich nicht und fühlte sich direkt wie zu Hause. Sie rasierten seinen ungepflegten Bart, bekämpften seine Läuse, gaben ihm zu essen und beschlossen, dass er von nun an Teil der Gemeinde war. Etwas mehr als ein Jahr lebte er nun schon bei ihnen, und bis heute hat er kein Wort gesprochen. Eine der Frauen am Tisch erzählte, wie liebevoll er sich um den Haushund kümmerte. Eine andere berichtete von seinem Tick, alles sortieren zu müssen, was auch das Wattestäbchenchaos heute früh erklärte.
Angeblich war er meistens einfach nur passiv dabei und machte sich kaum bemerkbar. Ausweispapiere hatte er nicht, und seine Herkunft blieb ungeklärt. Während wir über ihn redeten, saß er im Raum und zeigte keinerlei Reaktion. Er saß in der Ecke vor einem Regal und sortierte drei Stapel mit Servietten nach Farben. Dave erzählte, dass er das jeden Morgen beim Frühstück tat und sie abends wieder durcheinanderbrachte.
Nach dem Frühstück war es an der Zeit, unsere Sachen zu packen und aufzubrechen. Dave überreichte uns noch einen Beutel, gefüllt mit Obst für den Weg. Wir bedankten uns für die warmherzige Gastfreundschaft und stiegen ins Auto. Als wir losfuhren, standen alle draußen und winkten uns zum Abschied.
Davey schob dieselbe CD wie am Vortag in den Spalt der alten Anlage. Country-Songs waren von nun an der Soundtrack für meine ersten Tage in Freiheit, sie waren mein Soundtrack für den französischen Spätsommer, die saftigen Felder und den Blues, der den Herbst ankündigte. Davey konnte alle Lieder mitsingen, und seine Stimme blieb in meinem Kopf, als gehörte sie zu den Songs dazu.
Wir fuhren im Gleichklang mit dem Wind, der die rauschende Melodie der alten Musikanlage mitsummte. Ich streckte meine Hand aus dem Fenster und beobachtete, wie sie im Gegenwind hoch und runter surfte. Während wir an unzähligen Kuhweiden vorbeifuhren, konnte ich nicht fassen, dass das gerade erst der Anfang meiner Reise war.
Wir machten in Brüssel halt. Von hier musste Davey weiter nach Italien. Ich hingegen wollte nach Luxemburg und dann nach Köln. Mit meinem Rucksack auf dem Rücken stand ich vor seinem Auto. Es war Zeit, Abschied zu nehmen, doch Davey sah mich einen Moment an, und statt des erwarteten ›Goodbye‹ sagte er: »Hey, weißt du, was ich mir überlegt habe? Mir hat da mal ein Mädchen erzählt, dass man immer mit dem Flow gehen sollte. Also werde ich dich noch bis nach Köln fahren. Ich habe keinen Zeitdruck, und du bist mir ans Herz gewachsen.«
Manche Sachen ändern sich nie
VON KÖLN NACH PRAG
In Köln kam ich erst mal zur Ruhe. Wie immer wohnte ich bei meinen lieben Freunden Markus und David. Die beiden waren in jeder Lebenslage für mich da, und egal wie spontan ich meinen Besuch auch ankündigte, gab es immer Platz für mich in ihrer Wohnung, und wenn mal kein Platz war, wurde Platz gemacht. Sie gaben mir ein Gefühl von Sicherheit in meinem strukturlosen Leben.
Da ich länger in Köln gewohnt hatte, hatte ich hier eine Art Base. Neben Markus und David zählte dazu auch meine liebste Katja, die für alle meine verrückten Ideen immer Verständnis hatte. Trotzdem wurde ich immer wieder gefragt, ob ich denn wirklich vorhätte, bis nach Australien zu reisen. Die Frage war für mich einfach zu beantworten, die letzten Tage waren nur ein kleiner Vorgeschmack auf das gewesen, was mich da draußen erwarten würde. Jeden Tag neue Herausforderungen. Jeden Tag neue Gesichter, neue Sprachen, neue inspirierende Geschichten. Wie könnte ich da noch einen Rückzieher machen? Verdammt, selbstverständlich wollte ich nach Australien, und in erster Linie wollte ich die Wege dahin beschreiten und mich durch den Dschungel des Lebens kämpfen.
Als ich den Abschied in Köln hinter mich gebracht hatte, kam der nächste und schwerste Schritt: München, mein vermeintliches Zuhause. Am meisten lag es mir nun am Herzen, meinen besten Freund Marcel noch einmal zu sehen. Tatsächlich waren wir jahrelang zusammen gewesen und hatten nach unserer Trennung eine tiefe, unvergleichliche Freundschaft aufgebaut, und es gab niemanden, der mir so nahstand wie er.
Wir verbrachten ein paar Tage miteinander, und ich hatte das Gefühl, er war nervöser und besorgter wegen meines Vorhabens, als ich es war. Er begleitete mich zum russischen Konsulat, um mein Visum zu beantragen, und half mir, alle anderen Dinge zu regeln. Er hatte sogar Geld als Notpolster für mich gespart. Schon immer haben wir alles füreinander getan und uns gegenseitig geholfen, wenn es brenzlig wurde. Während unserer Beziehung konnten wir immer aufeinander zählen, und danach wurde dieses Vertrauen fast noch stärker. Ungerne lasse ich mir bei meinen Plänen oder Aufgaben unter die Arme greifen, doch bei Marcel machte ich eine Ausnahme und war froh, so eine Stütze in meinem Leben zu haben.
Am Tag meiner Abreise standen wir schweigend in seiner kalten, dunklen und verstaubten Küche. Das Licht kam kaum durch die Fensterscheibe, da diese seit Jahren nicht mehr geputzt worden war. Marcel strich seine langen Haare aus dem Gesicht und zündete sich nervös zum wiederholten Mal seinen Joint an. Seine blauen Augen glitzerten, und ich war nicht sicher, ob es am Joint oder an unserem Abschied lag. Er hatte Angst um mich, das war unübersehbar. Quer durch den Raum blickte er mich an. »Sag mal, machst du dir wirklich gar keine Sorgen?«, nuschelte er und beendete den Satz mit einem Räuspern.
Um seinem Blick auszuweichen,