Von Herzen. Peter Spans

Von Herzen - Peter Spans


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hatte dann mehrere Daumen oder Rosen statt Finger. Paul drehte die Hand hin und her. Nach jeder Drehung waren es vier Finger und ein Daumen, die pulsierend bluteten. Allerdings weniger stark.

       Du blutest aus.

      Der Tod wechselte das Stand- und Spielbein, aber er kam nicht näher. Er schien seelenruhig zu warten, bis es vorbei war. Ein guter Tod, dachte Paul.

      Paul konnte spüren, wie sich sein Bewusstsein aus ihm löste. Der Ausgang verschwamm, der Tod verschwamm. Alles wurde zu einem tiefen Schwarz, aus dem eine hohe Männerstimme flüsterte, sanft und rau. Die Stimme, die der Anfang von allem Schlechten gewesen war.

       »Hamster, kleiner Hamster.«

      Sie sagte es wieder und wieder, bis Dreijährige in rüschenübersäten Prinzessinnenkostümen aus dem Schwarz an die Wanne traten. Sie hatten putzige Hamstergesichter, die ihn neugierig aus schwarzen Augen anstarrten. Sie quiekten vergnügt, dann hielten sie inne.

       Bitte nicht.

      Die Hamstermädchen kreischten. Und alles hörte auf.

      VIERZIG

      Vor dürren Menschen musste man sich in Acht nehmen. Mehr als vor Fleischigen. Der Dürre rannte ohne Jacke durch den kalten Regen von Haus zu Haus, mit einem Geigenkoffer auf dem Kopf. Als er näher kam, zündete Lolita eine Zigarette an.

      Noch auf der anderen Straßenseite wechselte Frank in einen o-beinigen Gang, den er für männlich hielt, klemmte den Koffer unter den Arm und schlenderte unter das geschwungene Vordach.

      »N Abend. Was ist das hier für ein Laden?«

      Lolita unterdrückte ein Husten. Sie hätte mit einem verlebten Bariton gerechnet, aber aus dem Dürren kam nur ein keuchendes Falsett. Sie schickte den Rauch in die Nacht.

      »Was denkst du, was es ist?«

      Frank taxierte Lolita, bis er merkte, dass sie dasselbe tat. Der Laden, die Bar, das Restaurant, der Puff oder was immer es war, hatte einige Fenster zur Straße, aber die zugezogenen, blutroten Samtvorhänge blockten jeden Blick ins Innere. Die Motive der wilden Malereien auf der Wand, die sich bis über die Eingangstür zogen, waren so wirr, dass Frank in ihnen keinen Hinweis fand, was dahinter vor sich gehen mochte. Er spähte durch die offene Tür, aber auch der schwarzblaue Vorraum verriet ihm nichts.

      »Also … das rote Licht, der Name, wie du da stehst …«

      »Wie stehe ich denn da?«

      »Mit dem engen Leder … da kann man ja draufkommen …«

      »Dass ich Motorrad fahre?«

      »Ja … genau.«

      »Mit Korsett?«

      Lolita hielt ihre langfingrige, lederne Hand auf. »Zwanzig.«

      »Wofür?«

      »Wegen dem, was du sagen wolltest.«

      »Ich hab’s ja nicht gesagt.« Frank überlegte, was passierte, wenn er nicht zahlte. Zu was sie fähig war, dass sie allein in der Nacht eine Tür bewachte. Wer herauskam, wenn es Ärger gab. Ihm war kalt. »Ich hab’s auch nicht gedacht.«

      Frank zuckte, als ihr Mittelfinger in seine Rippen stieß.

      »Vierzig.«

      Er fror. Er konnte ihrem Blick nicht standhalten, also kramte er Scheine und Münzen aus dem Geigenkoffer und klatschte sie in die schlanke Hand.

      »Okay, was ist das für ein Laden?«

      »Dreißig.«

      »Weißt du was? Ich finde es selbst raus.«

      Lolita biss sich auf die Unterlippe. Frank klang wie ein Meerschweinchen.

      Er schob sich an ihr vorbei in den schummrigen Vorraum, ein paar Schritte weiter sah er sich nach ihr um. Im Rechteck der offenen Tür ließ Lolita seine Scheine auf ihrer ranken Silhouette verschwinden. Die Münzen warf sie nacheinander in den Regen.

      Es spiegelte sich nicht im Geringsten in ihrer Miene, aber der Dürre machte Lolita gute Laune.

      Er hatte sie Hure nennen wollen.

      Das hieß, dass sie die richtigen Signale sandte.

      WILLKOMMEN

      Frank zögerte, über die riesige Zunge in den aufgerissenen Frauenmund zu treten.

      Am Ende des schummrigen Vorraums hatte er die hölzerne, weit ausgestreckte Zunge entdeckt, die durch volle Lippen, an weißen Zähnen vorbei tief in den Rachen des mannshohen Mundes führte, wo ein schwerer Samtvorhang den Blick in den Raum dahinter verwehrte. Frank wäre am liebsten umgedreht, aber er wollte sich nicht die Blöße geben, gleich wieder an der Dunkelroten vorbeizuschleichen, zumal er sich nicht erinnern konnte, wann er zuletzt so gefroren hatte. Er spähte durch einen Spalt im Samt.

      Auf einer kleinen Tanzfläche, die von etwa einem Dutzend samtgepolsterter Sitznischen mit hohen Lehnen gesäumt wurde, saugte eine junge, kleine Kugelrunde im neonpinken Synthetikpullover am Hals eines älteren Hageren im teuren Anzug zu einem vor Wehmut triefenden Bossa nova. Er japste, als sie sich mit ihrem ganzen Gewicht an seinen Hals hängte, und musste niesen, als ihre Arme ihm Pulloverflusen in die Nase rieben. Nachdem er ihre Zehen ein paar Umdrehungen lang über das Parkett geschleift hatte, versuchte er sie abzustreifen. Schließlich resignierte er, schleppte sich mit ihr am Hals in Nische Nummer vier, über deren Eingang der Name Glamouria glitzerte wie eine Swarovski-Brosche, wie auch sonst viele Details in Strass glitzerten. Der Hagere fiepte, als sie sich auf ihn fallen ließ, dann hechelte er.

      Frank sah das Klavier. Und drei Podeste mit Mikrofonen.

       Scheiße, die haben ne Band. Aber vielleicht nicht jeden Tag.

      Frank trat aus dem Vorhang. Ihm fiel auf, dass jede der Nischen ein Telefon besaß, immer passend zum Thema der Nische.

      »Bäh!« Die Kugelrunde kippte dem Hageren seinen Rotwein ins Gesicht, packte den paillettenbesetzten Hörer des Glamour-Phones vom Glittertisch der Vier und wählte eine Nummer.

      Licht blendete über der Nische auf, und die Musik trat in den Hintergrund. Der Begossene starrte ins Helle, als die Stimme der Kugelrunden aus allen Lautsprechern dröhnte.

      »Halloo, hier ist eure Tina. Ich wollte nur sagen, dass ich immer, immer an die ganz, ganz große Liebe glaube, und ihr erreicht mich heute unter der Neun. Aber Mädels, wählt nicht die Vier. Außer, ihr wollt ein Hundefrauchen sein und euch von einem hechelnden Freak von oben bis unten ablecken lassen. Gebt nicht auf, die Liebe kommt! Gute Nacht!«

      Das Licht erlosch, nachdem Tina den Hörer auf die Gabel geknallt hatte. Sie trat hoch erhobenen Hauptes aus der Vier, flanierte an den anderen Nischen vorbei, und als niemand von seiner Tischplatte aufsah, ließ sie sich in die Neun fallen, den Bergdieb, ein Crossover aus Dirndl und Krachlederner aus tiefgrünem Samt und besticktem Wildleder, das Tinas pinker Neonpullover überschrie.

      Auf dem Weg zur Bar hielt sich Frank im Schatten, aber Tina entdeckte ihn trotzdem, presste sich lasziv in die Polster, leckte sich über die dünnen Lippen, streckte den Zeigefinger in seine Richtung und krümmte ihn verführerisch im Rhythmus der Polka, die gerade einsetzte. Frank schlich zu der prächtigen, hölzernen Bar und kletterte auf einen Hocker neben einen Gast, der in ein Gespräch mit der Frau hinter der Bar vertieft war. Frank versuchte, eine Gesprächslücke abzupassen, aber der Mann redete in einer Tour.

       Diese Frau … feine Züge und helle, fast leuchtende Haut.

      Frank überlegte, ob sie schön war. Schön, ja. Aber vor allem anders.

       Zu anders zum Anbaggern.

      Zumindest war unklar, was passieren würde, wenn man es versuchte.

      »He, machst du mir n Bier, bitte?«

      Sie hörte dem anderen mit


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