Von Herzen. Peter Spans
ein durstiges Gesicht, dass seine geröteten Augen heraustraten, und wedelte mit seinen dünnen Armen, dass seine nassen Ärmel spritzten.
»He, Schöne, mach mir mal n Bier, bitte!«
Ihr Blick war nicht unfreundlich. Gar nicht. Er sagte nur, dass Franks Betragen ihm Strafminuten eingehandelt hatte.
Frank machte beschwichtigende Bewegungen, kletterte ein paar Meter weiter auf einen Barhocker und ließ den Geigenkoffer auf die Fußraste unten am Tresen fallen. Er war froh. Sie hatte nicht eine Miene über seine hohe Stimme verzogen.
Er überlegte, ob er hungrig war. Neben der Bühne warteten einladend gedeckte Tische in einem eigenen, schummrig gemütlichen Bereich. Ein einziger, dicker Mann saß da, sein kindliches Gesicht glühte rosig über einer Vorspeise, und als die Ranke in ihrem dunkelroten Leder eintrat, wedelte er mit seinen speckigen Ärmchen. Sie schwebte an seinen Tisch und wartete in umwerfender Pose, bis er genug Scheine aus einem perlenbestickten Portemonnaie in ihre Hand gelegt hatte, dass sie auf den Stuhl neben ihm glitt.
Durchnässt, wie er war, beschloss Frank, einfach sitzen zu bleiben und sich weiter umzuschauen. Er war immer noch ohne Bier und ohne eine Ahnung, was er hier sollte und wollte. Dennoch hieß ihn alles hier irgendwie von Herzen willkommen.
SPARGELSCHAUMSÜPPCHEN
Gerstenschleim.
Nicht atmen half, wenn man ihn aß.
Früher hatte Raphael bei jeder noch so kleinen Gelegenheit wahre Festessen zubereitet. Er fand, dass er ein guter Koch war. Ein brillanter Koch. Viel zu gut für das hier.
Wenn er ein Rezept las, wusste er sofort, ob es sich lohnte, es zu kochen. Er konnte jede beliebige Kombination aus Zutaten und Gewürzen auf der Zunge schmecken, wenn er sie sich nur vorstellte. Das war auch das Einzige, was ihm geblieben war, der Geschmack eines Gerichts, das er nie essen würde. Ein Gericht, das er nur für andere kochte. Kochen war zur Qual geworden, denn es zu riechen bedeutete, es essen zu wollen, und es zu essen bedeutete Strafe.
Nichts, was er kochte, durfte er noch essen. Nicht mit dem, was er hatte. Nur noch Wasser und Gerstenschleim, damit fraß es sich wenigstens nicht noch weiter durch sein Gesicht.
Der Schleim klebte in seiner Kehle. Trinken machte es schlimmer, dann fühlte es sich an wie ein Schimmelrasen, der von der Zunge bis zum Mageneingang hinunterreichte.
Raphael bereitete für andere wahre Geschmacksexplosionen, aber sein eigenes Leben war Schleim und Schimmelrasen. Genau genommen kochte er noch nicht mal für andere. Er kochte für Tische. Tisch eins, Tisch sechs, Tische waren seine Richter, Tische lobten und tadelten ihn.
Tisch drei ist es zu salzig. Tisch fünf zu scharf. Tisch zwei sagt, das Fleisch ist zäh.
Raphael ging nie zu den Tischen. Würde er hingehen, und sei es nur, um Guten Abend zu sagen – sie würden auf eine Bestellung verzichten, so, wie er aussah. Sie hatten ihn noch nie gesehen, aber sie urteilten über ihn.
Klebriges Schluchzen kroch Raphaels Schlund hinauf. Er versuchte es hinunterzuschlucken, aber es blieb ihm als Kloß im Hals stecken.
Wer immer an einen der Tische kam und aß, gut oder schlecht, der ging danach einfach wieder. Raus in die Freiheit. Nur er musste bleiben. Wahrscheinlich würde er hier sterben.
Tisch sieben. Spargelschaumsüppchen.
Raphael würgte den Kloß aus seinem Hals in einen tiefen Teller, verrieb ihn mit der Kelle, aus der er anschließend das Spargelschaumsüppchen darübergab, und streute frische Gartenkräuter darauf. Tisch sieben konnte ruhig ein wenig Anteil an dem nehmen, was er durchmachen musste. Er stellte den Teller auf die Ablage in der Durchreiche. Das hölzerne Rollo, mit dem sich die Durchreiche schließen ließ, zog er bis auf einen schmalen Spalt herunter und bückte sich, dass er hindurchsehen konnte. Er wartete, bis der Teller geholt wurde, und verfolgte, an welchen Tisch man ihn brachte.
Er ging erst wieder an die Arbeit, als Tisch sieben das Spargelschaumsüppchen aufgegessen hatte.
RELIGIÖSER SPINNER
Frank hatte sich geduldig an der makellosen Eigenartigkeit der Frau hinter dem Tresen betrunken, aber er war immer noch ohne Bier, und sie hörte immer noch dem Typen zu, der ihr bestimmt zum dritten Mal seine gesamte Existenz erzählte.
Ein großer, kräftiger Mann schob sich neben ihn auf einen Hocker. Er machte so sehr gar nichts, dass es Frank auffiel, woraufhin sich der Mann ihm zuwandte und lächelte, bis Frank dem Drang nachgab, etwas sagen zu müssen.
»Ist das hier immer so schwierig, ein Bier zu kriegen?«
Der Mann signalisierte der Frau etwas. Sie nickte. Sie hatte ihn im Blick, seit er an die Bar gekommen war. Frank musterte ihn.
»Du kommst wohl öfters her.«
»Öfters, ja.«
Die Barfrau parkte den Redenden mit einem bedeutsamen Zeigefinger, dann brachte sie ein Bier für Frank und ein Glas mit etwas Klarem für den Mann.
Frank lächelte sie mitfühlend an. »Na, bluten dir die Ohren?«
Die Frau runzelte die Stirn und lächelte dabei so entwaffnend, dass Frank an ihr vorbeischauen musste. Dann war sie wieder bei dem anderen, der glücklich mehr Worte erbrach.
Frank setzte das Bier erst ab, als ihm die Luft ausging.
»Danke Mann, danke. Aber jetzt mal ganz ehrlich, wie komm ich zu der Ehre? Weil, ich mein … nichts für ungut … du bist jetzt nicht schwul oder so was?«
»Was wäre denn oder so was?«
»Na ja, keiner macht was nur so.«
»Mach ich ja nicht. Sie kriegen ein Bier und ich ein Danke. Das ist doch was.«
Der Mann trank. Frank versuchte aus der Art, wie er trank, darauf zu schließen, was es war.
»Gin?«
»Als aber der Speisemeister den Wein kostete, der Wasser gewesen war, und nicht wusste, woher er kam …«
Frank sah ihn konsterniert an. Der Mann lächelte.
»Johannes zwei neun. Es ist einfach nur Wasser.«
»Ah. Aber du bist nicht so n religiöser Spinner oder so?«
Der Mann schien zu überlegen. »Fällt katholisch unter religiöser Spinner?«
»Tschuldigung. Natürlich nicht.« Frank sah verstohlen zu der Bardame. »Das ist super, dass wir hier so reden, als ob wir uns lange kennen. Dann sind sie nicht so misstrauisch. Da, die hinterm Tresen.«
Der Mann beugte sich konspirativ vor. »Was ist mit der?«
»Hast du gesehen, wie die geguckt hat, als die mit dem Bier kam?«
Der Mann musterte Frank, wie er krumm dasaß, mit seinem verwaschenen Hemd, das durchsichtig vor Nässe an seinem dürren Körper klebte, mit nikotinbraunen Fingern, gelben Zähnen und blassen, rot geränderten Augen. Seine langen, fettigen Haare klebten schütter an seinem Kopf.
»Wie hat sie denn geguckt?«
»Die ist heiß auf mich.«
»Glückwunsch.«
»Jep. Passiert mir dauernd. Weiber stehen nun mal auf Musiker. Den ganzen Rock ’n’ Roll und so. Ist nun mal so.«
Der Mann winkte der Barfrau zu. Frank zischte.
»Nicht winken! Man muss sie schmoren lassen, wenn sie heiß sind.«
Sie musste den Mann im Blick gehabt haben, denn sie nickte und entzog dem Redenden sanft ihr Anteil nehmendes Lächeln, bis es nur noch freundlich war. Es dauerte, bis er es merkte, dann bremste er seinen Erguss in langen Sätzen und zog die Zeche in kleinen Scheinen aus seiner Jeans auf den Tresen.
Als sie wieder zu