Von Herzen. Peter Spans
bedauerte, das gesagt zu haben, Eckerd schienen die Liebespaare leidzutun.
»Na ja … Es bringt Kohle. Allerdings muss ich öfters woanders spielen, sonst gibt’s irgendwann auf die Fresse. Ist aber nett hier in dem Stadtteil.«
»Macht dich das nicht traurig? Du machst Musik und musst Angst haben, dafür eins auf die Fresse zu kriegen?«
»Ist ja nur, bis ich nen Neuen habe.«
»Einen neuen was?«
»Nen neuen Hund. Bis vor Kurzem hatte ich so nen kleinen erbärmlichen mit großen Glupschaugen. Das war geil. Wenn ich schräg gespielt hab, wollten die Typen mir die Scheiße rausprügeln, aber ihre Schnallen haben die immer abgehalten. Haben mir wegen dem Hund die Taschen mit Geld vollgestopft. Sentimentale Schnepfen.«
»Macht das glücklich? Mich würde das fertigmachen, dass mir Leute Geld geben, damit ich aufhöre.« Eckerd sah tatsächlich aus, als ob ihn das fertigmachte.
Frank wedelte mit den Händen. »Nein. Natürlich nicht. Ich wollte Solist werden in einem richtigen Orchester. Werde ich auch. Aber Esther mochte nicht, wenn ich übe. Da war scheiße spielen einfacher. Und das bringt richtig Kohle. Ist nun mal so.«
»Esther?«
»Meine Freundin, also meine Ex. Ist abgehauen. Obwohl ich schon echt besser spiele.«
»Schlimm für dich?«
Frank zog ein Amulett aus dem Hemdkragen. »Ihr Abschiedsgeschenk.«
Es sah aus wie ein polierter, marmorierter Stein, oval, von der Größe eines Taubeneis. Marthe stellte sich auf die Zehenspitzen, um es genau anzusehen. Es war kein Stein, sondern etwas in einer gläsernen Hülle. Etwas Organisches.
Eckerd runzelte die Stirn. Marthes Augen weiteten sich, ihr schien zu dämmern, was es war.
»Ich war zu Hause üben. Mozart. Der Hund hat mitgemacht, der konnte die Melodie mitjaulen. Konnte der echt. Da rennt Esthers Fickfreund nackt aus dem Schlafzimmer und schreit mich an, dass er keinen Harten kriegt bei dem Krach.«
»Ihr Fickfreund?«
»Ja. Sie hat immer welche. Deswegen war sie hergezogen. Die letzte Stadt hatte sie durch.«
»Und das hat dich nicht gestört?«
»Kenn sie ja nicht anders. Jedenfalls, der wollte mich nicht üben lassen. Ich spiele also extra schief. Das klappt auch. Er haut ab. Aber dann kommt er zurück mit ner Pistole und schreit rum, dass er schießt, wenn ich nicht aufhöre. Arschloch, denke ich und spiele die hohen Noten. Esther kommt auch raus und brüllt rum. Nicht mit mir, denke ich und fiedle schneller. Der Hund jault höher. Da packt der Typ den Hund und wirft ihn aus dem Fenster.«
»Oh Gott. War es tief?«
»Nö. Aber an der Stadtautobahn.«
Eckerd schluckte schwer.
»Esther nimmt dem Typ die Knarre ab und drückt sie mir auf die Zwölf. Ich denke Leck mich und fiedle weiter. Der Typ brüllt, sie soll abdrücken. Ich kratze die Geige wie irre und grinse ihn an. Er haut ihr auf den Hintern, sie erschreckt sich und BAM!«
Marthe hatte die Hand um einen Putzlappen gekrallt, ohne zu wischen.
Eckerd war bleich. »Und dann?«
»Suche ich auf dem Boden nach meinen Eiern. Sie kreischt, dass die Eier nicht ab sein können, weil es nur ne Gaspistole ist. Aber sie waren ab. Hast du ne Ahnung, wie das brennt, wenn dir einer mit ner Gaspistole die Eier abschießt?«
Eckerd stutzte. »Durch die Hose?«
»Na ja … ich dachte … wenn der Typ keinen hochkriegt, weil ich schräg fiedle, kann ich ja vielleicht bei Esther einspringen. Deswegen hatte ich mich schon mal ausgezogen. Aber … wenn ich jetzt so drüber nachdenke, war’s doch irgendwie unromantisch. Jedenfalls haben die mich zur Notaufnahme gefahren. Die waren beide voll nett dann. Der Typ hat sogar nichts gesagt, als ich seinen Camaro vollgekotzt hab.« Frank wedelte mit seinem Amulett. »Eine Woche später krieg ich n Päckchen ins Krankenhaus mit einem meiner Hoden in Glas. Wenn die kein schlechtes Gewissen hat, weiß ich’s nicht. Deswegen meldet die sich auch nicht mehr.«
Eckerd hing zwischen Hocker und Tresen durch. »Das muss echt hart für dich sein.«
»Na ja … jetzt, wo ich weiß, dass ich mich nicht mehr anhöre wie n Frettchen, wenn ich meine Stimmbänder mit Kolophonium wichse …«
»Hasst du sie?«
»Die ist ne geile Frau. Ihr müsstet die mal sehen.«
»Jetzt, wo sie weg ist, könntest du doch üben, um Solist zu werden.«
»Mach ich ja. Den ganzen Tag. Jetzt, wo meine Eier weg sind, kann ich kaum noch scheiße spielen.«
»Du bist also auf dem Weg, ein großer Geiger zu werden.«
»Ja, klar. Ich hab ja nichts anderes.«
Eckerd leuchtete. »Dann spiel was für uns! Gib uns ein Privatkonzert.«
»Ist noch zu früh.«
Marthe gab Frank einen Schubs.
Er zierte sich.
Eckerd malte ein Bild in die Luft. »Stell es dir vor. Du bist der Solist eines großen Orchesters! Es ist deine Premiere, und wir …«, Eckerds Arme beschrieben einen ausladenden Halbkreis, »… sind dein exquisites Publikum.« Er legte Frank eine kräftige Hand auf die knochige Schulter. »Das ist dein Auftritt!«
Marthe wippte aufgeregt.
Frank sah sich um. Außer ihnen war das Von Herzen menschenleer. Er kletterte auf den Tresen und befreite die Geige aus dem Koffer.
»Ich muss besoffen sein, dass ich das mache.«
Frank stellte sich in Pose und legte die Geige an. Tatsächlich sah er aus wie ein routinierter Solist. Er musterte Marthes und Eckerds Mienen. Bestimmt wollten sie ihn nur aufziehen. Aber sie sahen ihn in ehrlicher Erwartung an.
Eckerd machte eine ausladende Geste. »Bühne frei!«
Frank hob den Bogen und schloss die Augen.
PREMIERE
Frank fand sich auf der Bühne einer atemberaubend opulenten Konzerthalle. Sitze, Ränge und Balkone gepolstert mit blutrotem Samt unter einem Himmel voller Stuck, Ornamenten und einer obszönen Anzahl blattgoldener, Trompete blasender Putten.
Das tief einfallende Scheinwerferlicht ließ ihn blinzeln, sein Blick streifte die voll besetzten, prächtigen Ränge, er grüßte die Wichtigen und Gewichtigen und die Reichsten der Erlesenen in ihren verschwenderisch verzierten Balkonen, die einzig und allein gekommen waren, um einen einzigen Künstler zu erleben. Ihn.
Der Dirigent nickte Frank zu. Es war nur eine angedeutete Kopfneigung, und doch strotzte sie vor allergrößtem kollegialem Respekt. Frank legte den Bogen auf, als der Dirigent den Taktstock hob. Niemand im Saal atmete. Schon mit dem ersten Schwung zerbarst das Orchester förmlich in einem Sinne raubenden Tusch, aus dem sich eine erhabene Eröffnung fortspann, um sich kurz darauf in ein bescheidenes, fast demütiges Pianissimo zurückzuziehen.
Franks Einsatz.
Kaum hörbar ließ er eine Serie hinreißender Arpeggios im Meer der gestreichelten Noten schwimmen, um dann mehr und mehr an Energie und schließlich an Gewalt zuzulegen. Frank fühlte den Fluss. Er war der Fluss. Er trieb in einem Strom aus Musik, und Musik strömte durch ihn. Er nahm den Saal mit auf eine dramatische Reise, er erzählte eine mitreißende Geschichte in einer virtuosen Melange aus halsbrecherischen Skalen, perkussivem Pizzicato, schwindelerregenden Akkordfolgen und peitschenden, kreischenden Bogenstrichen, nur um unerwartet wieder das Tempo anzuziehen, dass allen der Atem stockte. Seine Läufe schaukelten sich auf zu einem Sturm irrwitziger Themen, die sich weit über die Töne erhoben, aus denen sie bestanden.
Franks Körper wand