Von Herzen. Peter Spans

Von Herzen - Peter Spans


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brennenden Roms, sah der auferstandene Jesus Christ Superstar in unfassbarer Güte auf die herab, die ihm sein Martyrium auferlegt hatten.

      So hatte sich Eckerd das zusammengereimt, bis Elmar ihm die Bibel so weit nahegebracht hatte, dass er einsehen musste, dass sich das wohl nicht ganz so zugetragen haben konnte. Die Dramatik gefiel Eckerd trotzdem, zumal niemand ihm je erklärt hatte, woher Jesus den Ruß und die abgeplatzten Stellen hatte.

      Damals, in der Nacht des Kirchenbrandes, hatte Elmar das große Kreuz unter Einsatz seines Lebens aus dem Feuer geborgen und es auf einem Karren nach Hause gefahren, den er eigens dafür vorbereitet hatte, um es schließlich unter großem technischen Aufwand an der Stubenwand aufzuhängen.

      Für Elmar war der Brand der Kirche eine klare Konsequenz aus dem moralisch maroden Zustand der Dorfgemeinde. Das Feuer war die höhere Gewalt, es war die spirituelle Reinigung des Glaubens von der Sündhaftigkeit bestimmter Mitglieder, die sich zusammengetan hatten, um sich über die anderen zu stellen.

      Elmar empfand Gerechtigkeit bei dem Gedanken, dass der Brand ihnen das Haus entrissen hatte, in dem sie sich gegenseitig ihre Sünden erlassen hatten, anstatt sie gar nicht erst zu begehen. Deswegen hatte Elmar den Brand auch gelegt.

      Wochen danach entschied die Dorfgemeinde, die Kirche nicht wieder aufzubauen, da die Versicherung sich wegen des Verdachts einer Brandstiftung weigerte zu zahlen. Die wohlhabenderen Würdenträger des Dorfes signalisierten daraufhin, dass eine Untersuchung, das Gegenteil zu beweisen, aufgrund der allgemein bekannten, ungünstigen Geschäftslage augenblicklich nicht finanzierbar war, aber später natürlich gern nachgeholt werden würde, sobald sich die Situation bessern würde. Zuvor hatte es ein inoffizielles Treffen gegeben, bei dem man sich einig war, dass man das ewige Spenden schon länger satthatte.

      Von da an fuhr man zum Beten ins Nachbardorf, dessen Kirche größer, schöner und umsonst war. Außerdem entschied man dann doch, die Nachforschungen hinsichtlich der Brandstiftung auch später nicht weiter zu verfolgen, da man das Gefühl, einen Brandstifter unter sich zu haben, verstörend fand. Was blieb und immer wieder aufflammte, war Entrüstung über den Diebstahl des schönen Kreuzes, weswegen Elmar nie wieder einen Menschen ins Haus ließ, der nicht zum engsten Familienkreis gehörte. Innerhalb der Familie postulierte er, dass kein Fremder jemals die Stube zu betreten hätte, denn Jesus dürfe unter keinen Umständen gestört werden. Er tat das so vehement, dass weder Bernhard noch Eckerd wagten, ihn zu einer Ausnahme zu bewegen.

      So war der katholische Geist im Hause von Herzen omnipräsent und Jesus überlebensgroß, vor allem für Eckerd, der unter dem riesigen Kreuz zu Jesus aufschaute, seit er ganz klein war. Jesus war sein Held. Er hörte ihm geduldig zu, ohne dass er ihn mit Maßregelungen quälte.

      Eckerd sah gern zu Jesus auf, besonders seit ihm klar geworden war, dass er ihn irgendwann an Größe überragen würde.

      JOHANNES

      Nur ein paar Meter von Raphaels Füßen entfernt rauschte ein türkisblaues Meer. Er lag auf strahlend weißem Sand, umgeben von mehr prächtigen Muscheln, als man sammeln konnte, und vielen rauen Kerlen, von denen jeder schon nach einem verstohlenen Blick auf ihn eine Erektion bekam.

      Ein wunderbar grober, braun gebrannter, muskelbepackter Tätowierter kniete sich neben ihn, nahm seine Hand und sah aus stahlblauen Augen auf ihn herab.

      Johannes.

      Raphael zog ihn zu sich, um ihn zu küssen, aber je mehr er zog, desto weiter entfernte sich Johannes, und mit ihm der ganze Strand mit all den anderen Kerlen. Verzweifelt klammerte sich Raphael an Johannes’ tätowierten Arm, der sich plötzlich gar nicht mehr stark anfühlte. Je weiter sich alles entfernte, desto näher kam das schreckliche Bewusstsein, dass er nie wieder an so einem Strand sein würde.

      Raphael öffnete die Augen. Er hatte geträumt. Er lag in der düsteren Küche. Aber er hielt noch Johannes’ Hand. Johannes mit den stahlblauen Augen. Er war bei ihm, und es war egal, wo sie waren, ob am Strand, in der Küche oder sonst wo.

      »Nicht erschrecken, Liebster, ich mache Licht.«

      Raphael tastete nach seiner Jeans, fummelte ein Feuerzeug aus der Gesäßtasche und zündete es. Johannes’ Arm war weiß und dürr. Aber das war egal. Er würde ihn schon wieder aufpäppeln. Der Arm hing zu ihm herunter. Raphael überlegte. Falls er noch träumte, konnte er bestimmt auch den wunderbaren Strand wieder zurückträumen. Es war alles eine Frage der Fantasie. Und Johannes würde wieder stark und braun sein.

      Raphael packte den Arm und zog.

      Johannes rutschte von der Küchenablage, sein Kopf schlug nah vor Raphaels Gesicht auf den Küchenboden. Er lächelte ihn an. Aber es war nicht Johannes.

      Raphael schrie, wie er noch nie in seinem Leben geschrien hatte.

      BALTHASAR

      Pfarrer Balthasar war lange Opfer seiner Gier gewesen. Jetzt war er ihrer endlich Herr geworden. Er hatte es geschafft, ihre negative Energie – Gier war bekanntlich eine Todsünde – in etwas Positives zu verwandeln.

      In Vorfreude.

      Seitdem hatte er viele Pfunde abgenommen und fühlte sich schon deutlich agiler als vorher, obwohl es noch einige Zeit dauern würde, bis er sein Ziel, dass sein Gewicht in den Messbereich seiner Waage kam, erreicht haben würde. Aber auch so war er stolz. Nur ein bisschen natürlich, denn Stolz war schließlich nicht besser als Gier.

      Eckerd kuppelte aus, stoppte den penetrant knatternden Zweitakter seines Kleinsttransporters und ließ sich fast lautlos die leicht abschüssige Straße hinunterrollen. Ein paar Häuser vor einer Kreuzung lenkte er auf eine Auffahrt, um zwischen zwei überfüllten Müllcontainern zu bremsen. So, wie der rote Minilaster jetzt stand, waren die Logos des Von Herzen an den Seiten des Kastenaufbaus nicht zu sehen. Eckerd stellte einen Müllsack vor das Kennzeichen, schlug den Kragen hoch, überquerte die Straße und ging über einen hübsch angelegten Vorplatz auf eine rußgraue, gotische Kirche zu.

      Hinter der Pforte zwängte Eckerd ein Bündel Scheine in den Opferstock, schlich gesenkten Blickes in großem Bogen um den Altar, bekreuzigte sich mehrmals, um nach dem geräuschvollen Einwurf von viel Hartgeld eine komplette Reihe Kerzen unter Mutter Marias Statue anzuzünden. Dann blickte er in die Flammen. Es dauerte, bis sein Atem sich beruhigte.

      Die Vorfreude war wie eine Fürbitte. Jeden Tag wollte sie aufs Neue gehalten werden, am besten in Klausur. Balthasar hatte sich in seinen Lieblingsbeichtstuhl zurückgezogen, um ihr zu huldigen. Er wickelte die siebzig Zentimeter Croque, die er im Laden vor dem Halbieren gerettet hatte, auf den Knien aus und beugte sich so tief, wie es seine Fülle gestattete, um den Duft von Zwiebeln, Remoulade, knusprigem Bacon, gekochtem Ei, saftigem Schinken, Salat, Gurken, Tomaten und geschmolzenem Käse auf knusprigem Brot zu inhalieren. Früher hätte er seine Zähne gedankenlos hineingeschlagen und nicht aufgehört zu schlingen, bis die siebzig den Schlund hinuntergezwängt waren. Wie wenig Genuss damals geblieben war! So wenig, dass er an schlechten Tagen gleich wieder in den Laden zurückgekehrt war, um das Ganze zu wiederholen – mit dem Vorsatz, diesmal auf die Aromen zu achten, wenn er sie brutal an seinen Geschmacksknospen vorbeizwang –, nur um am Ende resigniert festzustellen, dass er sich wieder nur aufs Schlingen konzentriert hatte.

      Doch nun war alles anders. Seine knusprige, schlanke Freundin lag duftend auf seinen Knien. Sie freute sich, genossen zu werden, und er freute sich auf sie.

      Umso ärgerlicher war das Knarzen, das Balthasar signalisierte, dass ein Sündenfälliger die andere Seite des Beichtstuhls betreten hatte. Die Breite des Schattens, der an dem stoffbespannten Sprechgitter vorbeizog, legte nahe, dass es ein Mann war. Das zweite Knarzen war ein hölzernes Ächzen und signalisierte, dass der Sündenfällige, der sich nun gesetzt hatte, recht schwer war.

      Balthasar führte das Croque dicht an der Nase vorbei und nahm einen tiefen Zug.

      »Was kann ich für dich tun, mein Sohn?«

      »S-segne mich, Vater. Ich habe gesündigt.«

      »Erleichtere deine Seele, mein Sohn.«


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