Von Herzen. Peter Spans

Von Herzen - Peter Spans


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sah bewundernd zu ihm auf. Elmars kleine gelbe Augen leuchteten.

      »Sie macht stark. Wenn du sie hältst, weißt du, was zu tun ist.«

      Elmar legte einen Ring aus Stroh auf den Hackklotz, auf dem Brennholz gespalten wurde. In den Strohring legte er eine Kokosnuss und darauf ein altes Handtuch, das er zuvor drei Mal gefaltet hatte. Er nahm Eckerd die Keule aus der Hand.

      »Es muss genau so ein Geräusch machen …«

      Elmar holte nur wenig aus und schlug die Keule in einer schnellen, flüssigen Bewegung auf die Mitte des Handtuchs. Die Kokosnuss darunter gab einen trockenen Knacks von sich. Eckerd zuckte zusammen. Elmar klappte das Handtuch zur Seite. Die harte Schale der Kokosnuss war in alle Richtungen geborsten.

      »… dann ist es richtig.«

      Der Schlag hatte das Fruchtfleisch komplett von der Schale gelöst. Elmar gab Eckerd ein großes Stück. Eckerd gab Marthe eine Hälfte, dann aß er mit Genuss. Marthe knabberte skeptisch ein winziges Stück ab, schüttelte sich und spuckte es aus. Den Rest gab sie Eckerd zurück.

      Elmar legte eine zweite Kokosnuss auf den Strohring, verdeckte sie mit dem Handtuch, legte Eckerd die Keule in die Hand und trat zur Seite.

      »Halte sie ganz locker, dann macht sie die Arbeit für dich.«

      Eckerd umfasste den Griff der Keule lose, hielt sie einen Moment über den Kopf und nahm Maß. Dann schlug er auf das Handtuch, unter dem es trocken knackte.

      Elmar schlug das Handtuch zur Seite. Die Kokosnuss war rund um den Schlagpunkt sternförmig geborsten. Marthe schaute Eckerd mit riesigen Augen an. Elmar lachte gackernd.

      »Na. Was für n Zufall.«

      Elmar legte eine weitere Kokosnuss auf und bedeckte sie. »Wir machen immer die Scheune auf, damit sie rausgucken können. Das mögen sie. Und dann …«

      Eckerd schlug ansatzlos zu.

      »… gehen sie auf die Reise …«

      Elmar bedeutete Marthe, das Handtuch zu lüften. Sie zupfte es mit spitzen Fingern zur Seite. Die Kokosnuss war rundherum geborsten.

      Elmar nickte bedeutsam. Eckerd hielt ihm die Keule hin, damit er sie ihm wieder abnahm.

      Elmar winkte ab. »So viel ist sicher. Du hast das Zeug, den Hof zu führen.«

      Eckerd errötete. Er legte die Keule zurück in den Kasten. »Und was ist mit Papa?«

      »Der ist nicht dazu gemacht.« Elmar trat aus dem Tor auf die saftige Wiese. »Eigentlich weiß ich überhaupt nicht, zu was er gemacht ist.«

      Elmar spürte die warmen Strahlen der frühen Sonne auf der Haut. Er hatte es gewusst. Der Junge war ein würdiger Nachfolger.

       Ganz anders als Bernhard, der Schwächling.

      Es würde noch dauern müssen, aber Eckerd würde dem verfallenen Hof wieder zu neuer Blüte verhelfen. Zusammen mit der ernsthaften Marthe. Die beiden waren seltsam. Aber die ganze Welt war seltsam. Vielleicht war auch nur er selbst seltsam.

      Elmar spürte einen Ruck in der Brust. Wie bei seinem rostigen Traktor, wenn er den Motor anhielt. Mit einem Mal nahm Elmar die reichen Düfte der Wiese so intensiv wahr wie lange nicht mehr.

       Alles ist gut.

      Eckerd trat aus dem Tor auf die Wiese.

      »Opa …«

      Elmar spürte, wie der leichte Wind ihn von der Wiese trug, hinauf in das weite Blau.

      Eckerd stapfte über das satte Gras.

      »Opa, ich werde doch lieber Zirkusdirektor.«

      Elmar stieg auf in die warme Sonne. Weit unten fiel sein Körper in das duftende Gras, inmitten einer Rotte Schweine, die sich gierig über ihn hermachten.

      EIN TOAST

      Eckerd ließ die Keule fallen und sank neben Frank auf die Knie. Als er ihn auf den Rücken drehte, bemühte er sich, ihn nicht anzusehen, wiegte sich im Takt einer lautlosen Melodie und flüsterte mehrere Rosenkränze.

      »Ich glaube an Gott, den Vater, den Schöpfer des Himmels und der Erde, und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn …«

      Franks Augen blickten starr zur Decke, aber sie strahlten immer noch vom Glück seiner Darbietung. Frank trug ein stolzes, dankbares, verzaubertes Lächeln, und der Schlag hatte es erhalten.

      Frische Tränen liefen Eckerd über die Wangen. Er erhob sich und trottete zur Bar, schaltete die Lichter aus und goss einen Brandy und ein Wasser ein. Er kniete sich wieder neben Frank und hob den Brandy.

      »Gute Reise, mein Freund.«

      Er stellte den Brandy neben Frank und trank das Wasser.

      Der Rollladen der Durchreiche zur Küche wurde hochgeschoben. Raphaels müdes Maulen drang heraus.

      »Ist er weg?«

      »Ja.«

      »Mann, hat der seine Geige gefoltert!«

      »Er hatte so viel Hoffnung. So unbegründet. Schrecklich.«

      »Allerdings. Ich hab mir bei dem Gefiedel n Kissen aufn Kopf gedrückt. Wurde aber zu heiß. Was sitzt du eigentlich im Dunkeln? Alles gut?«

      »Jetzt ja.«

      »Ich würd gern pennen. Oder musst du noch mehr Selbstgespräche führen?«

      »Nein. Bis morgen.«

      Das Rollo der Durchreiche ratterte herunter.

      Eckerd nahm die Keule in beide Hände, senkte den Kopf und blieb eine Zeit lang in sich versunken sitzen. Als Schnarchen aus der Küche drang, hob er Frank auf und trug ihn durch den schweren Vorhang.

      ZEICHEN

      Eckerds Kammer bot gerade Platz für ein Bett, einen schmalen Kleiderschrank und Jesus.

      Milde lächelte er von seinem Kreuz herab, das gerade eben zwischen Boden und Decke passte. Eckerd hatte es sogar ein Stückchen kürzen müssen. Durch Schwaden von Weihrauch sah er gütig auf Eckerd herab, der unter ihm kniete und betete.

      »Weise mir, oh Herr, den Weg, dass ich wandle in deiner Wahrheit. Erhalte mein Herz bei dem einen, dass ich deinen Namen fürchte.«

      Eckerd legte sich flach auf den Bauch und streckte die Arme weit von sich.

      »Richte über mich, oh Herr, ich gebe mich in deine Hände. Was immer du mir auferlegst, ich werde es annehmen. Was es auch sein mag.«

      Eckerd lag und lauschte eine Zeit lang.

      »Oh Herr, ich habe Schreckliches getan. Ich habe ein Leben genommen. Ich weiß, dass es falsch war. Aber auch wenn es furchtbar vermessen ist … Ich hatte noch nie so sehr das Gefühl, das Richtige zu tun. Vernichte mich, wenn ich irre, denn dann bin ich nur ein tollwütiger Hund. Ich flehe dich an, gib mir ein Zeichen!«

      Eine Stunde später, es war halb fünf, klingelte Eckerds Wecker. Eckerd stöhnte, als er sich aufrappelte.

      Für gewöhnlich zwängte er sich Punkt fünf hinter den Lenker seines dreirädrigen Minilasters, um zum Großmarkt zu fahren. Allerdings nicht heute.

      DAMALS : JESUS

      Eckerd schaute zu Jesus auf.

      Schmerz und Sanftmut waren ihm gleichermaßen ins Gesicht modelliert, Tag für Tag litt er stumm an seinem überdimensionalen Kreuz an der Stubenwand gegenüber der Tür.

      Früher war es das heilige Zentrum eines Kirchenaltars gewesen, weswegen es groß, pompös und mit Blattgold plattiert war. An manchen Stellen war Gips abgeplatzt, und eine Seite war teilweise geschwärzt von dem Brand, der die Kirche zerstört hatte, aus der es stammte, aber das alles verstärkte nur Jesus’ elegische Heldenhaftigkeit und


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