Von Herzen. Peter Spans

Von Herzen - Peter Spans


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versuchte, groß auszusehen. »An deiner Stelle wäre ich vorsichtig. Ich könnte gefährlich sein!«

      Klara musterte Paul, bis er sich nackt fühlte. »Du siehst aber nicht gefährlich aus, Herr Polizist.«

      Paul stieg aus der Wanne und wankte auf Klara zu. »Aber ich bin kein Polizist.« Paul stand mit aufgerissenen Augen vor ihr. »Das sollte dir Angst machen!«

      Als daraufhin nichts weiter passierte, zuckte Klara mit den Schultern und ging aus dem Waschraum, zur Vorderseite des breiten Spindschranks, der den Waschraum von der Werkstatt trennte. Paul konzentrierte sich, seine Stimme so tief herunterzuschrauben, dass sie Respekt einflößend klang.

      »Also hast du dich gestern auch hier rumgetrieben.«

      »Du meinst, als du dich umbringen wolltest?«

      »Wer sagt, dass ich mich umbringen wollte? Ich habe nur gebadet«

      »Das Wasser ist rot.«

      »Und da wolltest du mal zusehen, wie einer verreckt.«

      »Gerade hast du gesagt, du hast nur gebadet.«

      Ein ohrenbetäubender Knall.

      Pauls Kopf wollte explodieren. Ihm wurde schlecht. Er krallte sich an die Kante des Durchgangs.

      Ein ohrenbetäubender Knall.

      Paul schob seinen heftig pochenden Kopf um die Ecke. Klara stand stabil, holte mit einem schweren Hammer aus, während sie die Spitze eines ellenlangen Dachbalkennagels auf eine der Spindtüren drückte.

      Ein ohrenbetäubender Knall.

      Der Schlag trieb den Nagel in die Spindtür. Für Paul fühlte es sich an, als ob Klara ihn direkt in seine Stirn geschlagen hätte.

      »Verdammt! Was soll das?!«

      Ein ohrenbetäubender Knall.

      »Scheiße! Lass das!«

      Als der peitschende Schmerz in seinem Kopf nachließ, sah Paul das säuberliche Raster von kleinen Kreuzen auf den Spindtüren, auf denen Klara die Nägel jeweils einschlug.

      Ein ohrenbetäubender Knall.

      Paul musste vor Schmerz würgen, dann nahm er erschrocken zur Kenntnis, dass die meisten der angezeichneten Kreuzungspunkte noch keine Nägel trugen.

      »Das ist Sachbeschädigung!«

      »Das ist nicht deine Werkstatt.«

      »Natürlich ist es meine! Raus hier! Ich bin…«

      Ein ohrenbetäubender Knall.

      »… zuerst hier gewesen.«

      Ein ohrenbetäubender Knall.

      Paul stapfte tropfend auf Klara zu und schaffte es irgendwie, ihr den Hammer abzunehmen.

      »Was soll das hier?!«

      »Das wird mein Lager. Ich deale.«

      Paul ruderte wild mit den Armen. »Auf keinen Fall! Und mit was überhaupt? Mit Drogen?«

      Klara verdrehte die Augen. Aus einem großen Sack lud sie sich einen Schwung knallbunter Flip-Flops auf den Arm und begann, sie geordnet nach Größen und Farben an die Nägel zu hängen. Paul beobachtete sie dumpf, aber als sie sich die nächste Charge auf den Arm laden wollte, stellte er sich ihr in den Weg.

      »Wo hast du die geklaut?!«

      Klara hielt Paul das gesprungene Display eines großen Smartphones so dicht vor die Nase, dass es ihn blendete. Er zog den Kopf zurück, bis er zwölfdreiundfünfzig lesen konnte, das Logo einer Kleinanzeigenseite erkannte und schließlich ein Foto von dem riesigen Sack, vor dem er gerade stand. Klara nutzte den Moment und entwand ihm den Hammer.

      Paul gackerte. »Und du meinst, dass jemand so billige Plastiklatschen kauft.«

      Ein ohrenbetäubender Knall.

      Paul stolperte in den Waschraum und übergab sich in die Wanne. Klara hatte mindestens zehn Nägel in die Schrankwand geschlagen, bevor er wieder herauskam. Nass, wie er war, warf er sich auf die nasse Matratze und zog sich ein vollgesogenes Kissen über den Kopf. Es roch widerlich, aber die Nässe machte es so schwer, dass es den Lärm einigermaßen fernhielt. Nach fünf weiteren Nägeln war Paul tatsächlich weggetreten.

      FLEISCH

      Schweigend warteten sie im Dunkel der Küche, hörten dem Sirren der mannshohen Kühlschränke zu, dem Kanon ihrer Kompressoren, die ab einer bestimmten Kälte scheppernd erstarben, um bald darauf gequält wieder anzuspringen.

      Lolita lehnte an dem Regal, das die Küche vor Blicken durch die Bullaugen der Doppelschwingtür schützte. Marthe kauerte auf der Anrichte neben der offenen Durchreiche, durch die sich auf Umwegen ein kleines bisschen Mittagssonne verirrte, und Raphael saß auf einem Servierwagen im Schatten. Alle starrten auf den Toten in ihrer Mitte, der immer noch selig lächelte, als ob ihm ihre Gesellschaft gefiel.

      Marthe stand auf und umkreiste Frank, dann schob sie ihre Hände unter seinen Kopf. Unter der Kopfhaut ließen sich Stücke der Schädeldecke unter leisem Schaben gegeneinander verschieben. Raphael würgte leise. Marthe kehrte zu ihrem Platz zurück.

      Nach endlosen, schalen Minuten hob sich ein Pfeifen aus dem Gemenge der hereindringenden Straßengeräusche. Es gewann an Kontur, nachdem die Eingangstür lautstark aufgestoßen wurde, und wurde penetrant, als es hinter der Küchenschwingtür vorbeizog. Kurz darauf trat es wieder in den Hintergrund und brach ab.

      »Hallo?! Jemand da?«

      Niemand hatte Lust zu antworten. Eckerds Kopf erschien hinter Marthe in der Durchreiche.

      »Da seid ihr ja.«

      Das Pfeifen wanderte den Weg zurück, bis die Küchentüren aufgestoßen wurden und Eckerd eintrat, als ob eine frohe Botschaft zu verkünden wäre. Er schaltete das fahle Deckenlicht ein und schaute gut gelaunt in die düstere Runde. Niemand grüßte. Nur Frank sah aus, als ob er sich freute.

      »Ah. Genau darüber wollte ich mit euch reden.«

      Lolita stellte einen Pumps an das Regal hinter sich und verschränkte die Arme, Marthe hatte die Augen zu wütenden Schlitzen zusammengekniffen. Raphael beugte sich auf dem Servierwagen weit nach vorn.

      »Wie kommst du dazu, mir eine Leiche ans Bett zu legen?! Ich hätte einen Herzinfarkt bekommen können! Seine ganze Pisse ist in meinem Bett!«

      »Auf der Tanzfläche hätte Frank zu Missverständnissen führen können. Jedenfalls dachte ich das. Jetzt weiß ich, dass es egal ist.«

      »Egal? Gott, der Typ ist tot! Wie kann das egal sein?!«

      »Es ist nicht egal, dass er tot ist. Wo er liegt, ist egal.«

      »Es ist egal, also landet die Leiche an meinem Bett?!«

      »Frank in die Küche zu legen, machte am meisten Sinn, ja. Wie kam es, dass er dir ins Bett gemacht hat?«

      »Es ist aus ihm herausgelaufen!«

      »Ah.«

      Lolita zündete eine Zigarette an und inhalierte tief, nach einer langen Pause atmete sie aus.

      »Warum musste er sterben?«

      »Sehr gute Frage! Frank hat sich nichts sehnlicher gewünscht, als ein großer Violinist zu sein. Aber er wäre unter gar keinen Umständen zu einem Punkt gekommen, an dem sein Spiel irgendjemandem Freude gemacht hätte, geschweige denn, dass er ein großer Solist geworden wäre. Es war ihm einfach nicht gegeben. Könnt ihr euch vorstellen, wie wahnsinnig traurig das ist, einen Lebenstraum zu haben, der absolut unerreichbar ist?«

      Raphael hob ein unsichtbares Glas. »Willkommen im Club, Frank. Einem sehr großen Club. Aber wie schlägt man jemandem bitte derart den Schädel ein?«

      »Mit der Keule meines Großvaters.


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