Von Herzen. Peter Spans

Von Herzen - Peter Spans


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mal irgendwo gesehen, Dennis?«

      Paul senkte den Kopf. »Ich glaube kaum. Nein.«

      Der schwarze Adjutant bog in den Gang ein.

      »Die Dame, dürfte ich einen kurzen Blick in Ihre Tasche werfen, bitte?«

      Die Frau zeigte mit spitzem Finger auf Paul.

      »Wissen Sie, wer das ist?!«

      Der Ladendetektiv schaute Paul müde an.

      »Nein, aber er kommt öfters mal her.«

      »Das ist der Typ aus den Nachrichten!«

      Paul hob abwehrend die Hände. Sie baute sich auf.

      »Das ist der Perverse! Der perverse Polizist!« Sie wurde schrill. »Dass Sie so einen hier reinlassen! Hier sind Kinder!«

      Es war kaum zu merken, aber sie blinzelte dem Mädchen zu. Es begann zu schreien.

      Die Frau schrie auch wieder, bis ihre Stimme kippte. »Meine Tochter musste mit ansehen, wie er mich bedroht!«

      Der Ladendetektiv drehte Paul nur halbherzig einen Arm auf den Rücken. Pauls steifen Knochen tat es trotzdem weh, er ließ seinen Oberkörper bereitwillig nach unten klappen. Der Adjutant stützte sich auf Paul wie auf einen Tisch.

      »Keine Sorge, der tut Ihnen nichts. Darf ich jetzt bitte einen Blick in Ihre Tasche werfen?«

      Die Frau blinzelte. Das Kind schrie.

      »Verhaften Sie ihn! Sehen Sie nicht, dass meine Tochter einen Schock hat?! Der ist gefährlich! Schauen Sie keine Nachrichten?!«

      Der Ladendetektiv drehte Pauls Arm in die entgegengesetzte Richtung, was seinen Oberkörper nach oben klappen ließ. Er musterte ihn.

      Die Frau setzte nach. »Stellen Sie ihn sich ohne Bart vor.«

      Die Augen des Ladendetektivs weiteten sich. Diesmal drehte er Paul den Ellenbogen mit erbarmungsloser Härte ins Kreuz. Paul klappte ab.

      »Entschuldigen Sie bitte. Ich kümmere mich um ihn.« Er stieß Paul unnötig brutal zum Hinterausgang.

      Verdreht, wie er war, konnte Paul sehen, wie die Frau noch mehrere Tüten Lakritz mitgehen ließ, während sie ihnen folgte.

      »Wegsperren müssen Sie das Schwein! Wegsperren!«

      Der Ladendetektiv stieß die Tür des Hinterausgangs auf. Die Frau rauschte mit ihrer Tochter an ihnen vorbei nach draußen.

      Der Ladendetektiv stieß Paul hart aus der Tür, sodass er über seine eigenen Beine stolperte. In Zeitlupe sah er den Asphalt auf sein Gesicht zukommen. Dann kam der Schmerz. Und die Schokoriegel, die der Aufprall aus seiner Tasche schleuderte. Der schwarze Adjutant trat hart zu.

      Paul hatte ihn zu oft freundlich gegrüßt.

      DREIZEHN TEUFEL

       Bestimmt stinkt es widerwärtig.

       Wahrscheinlich schrumpft es.

       Es wird zäh.

       Wahrscheinlich beides.

      Raphael starrte das große tiefrote Stück Fleisch an.

       Gleich kommt ein Lebensmittelkontrolleur unangemeldet rein und fragt, was das ist. Und woher das ist. Dann lüge ich, er merkt es und nimmt es mit. Und dann bin ich für immer am Arsch. Wir sind alle am Arsch.

      Seine Hand zitterte.

       Gleich fliegen alle Kühlschranktüren auf.

       Dreizehn Teufel springen heraus und reißen mich in die Hölle.

      Raphael ließ das Fleisch in die Pfanne gleiten.

       Feine Marmorierung, immerhin.

      Er wartete angespannt.

      Nach einer Minute duftete es nach feinem Filet, ein wenig nach Lamm, ein wenig nach Schwein. Und leckeren Röstaromen. Es schrumpfte kein bisschen.

       Wüsste ich nicht, was es ist, wäre ich begeistert.

      Raphael nahm das Steak aus der Pfanne und legte es in den Warmhalte-Garer, in dem er Fleisch für gewöhnlich bei fünfundsechzig Grad ruhen ließ. Nach acht Minuten nahm er es heraus.

      Kein Lebensmittelkontrolleur war gekommen. Keine Kühlschranktür war aufgeflogen. Kein Teufel war herausgesprungen, um ihn in die Hölle zu reißen.

      Bisher jedenfalls nicht.

      Raphael prüfte das Fleisch mit einem geübten Druck seines Daumens.

      Frank war sehr zart.

      HUBERTINE

      Nachdem der Adjutant der Spinne alle Aggression an ihm ausgelassen hatte, war Paul auf dem Asphalt liegen geblieben, um eine Art Systemcheck durchzuführen. Alles tat weh, aber offensichtlich waren keine vitalen Systeme beschädigt.

       Steh auf! Du fühlst dich nur so scheiße wie sonst auch.

      Er machte sich auf Richtung Werkstatt. Seine Rippen schmerzten von den Tritten, sein Gesicht war um den linken Wangenknochen herum geschwollen, und der trocknende Schorf spannte unangenehm auf den Schürfwunden, aber insgesamt tat ihm das Gehen gut.

      Es war völlig anders, wenn man verprügelt wurde, als wenn man es selbst tat. Vielleicht, weil die Geringschätzung in den Schlägen des anderen mehr schmerzte als die Schläge selbst. Wenn man sich selbst schlug, tat es weh, aber es ließ sich besser aushalten. Man wusste ja ungefähr, wann man aufhören würde.

      Paul konnte sich erinnern, dass er vor einiger Zeit über eine Morgenerektion so wütend geworden war, dass er sich selbst in die Hoden geboxt hatte. Da es nichts in seinem Leben gab, das eine Erektion verdiente, fühlte er sich von seinem Penis verhöhnt und hatte seine Hoden dafür bestraft. Nachdem er sich wimmernd auf der stinkenden Matratze gewälzt hatte, stellte er fest, dass die Hoden um das Vierfache angeschwollen waren. Er hatte gehofft, daran zu sterben, aber zu seiner Enttäuschung war die Schwellung nach drei Tagen abgeklungen. Immerhin hatte er eine Weile lang richtig Eier in der Hose gehabt.

      Paul hatte das Hodenboxen noch einige Male praktiziert, es aber aufgegeben, als seine Morgenerektionen tatsächlich ausblieben. Das hatte ihm Sorgen gemacht, und noch mehr Sorgen zu haben, hatte ihn so wütend gemacht, dass er begonnen hatte, den Kopf gegen die Wand zu schlagen. Da, wo all die Probleme saßen. Er hatte sie sich aus dem Schädel rammen wollen.

      Als Nächstes hatte er versucht zu verhungern, aber es erwies sich als so langwierig, dass es ihn irgendwann doch vor die Tür trieb. Da er keine Mütze hatte, unter der er die Beulen und blauen Flecken verstecken konnte, knotete er Hubertine zu einen Turban.

      Hubertine war ein metallicblaues Satinnachthemd, dessen ursprüngliche Trägerin eine schwarz bebrillte, anorektische Ökologiestudentin Mitte dreißig gewesen war, die neben Hubertine Leggins mit bunten Katzenpfoten, schlabbrige, selbst gehäkelte Pullover aus Wollresten und ausgeleierte türkise Frotteeunterhosen im Korb hatte.

      Paul machte die Erfahrung, dass ein Mann mit einem metallicblauen Satinnachthemd um den Kopf deutlich mehr Unbehagen auslöste als ein Mann mit Beulen und blauen Flecken am Kopf. Mit Beulen und blauen Flecken sah man zwar aus, als ob man eine Schlägerei verloren hatte, aber nicht, als ob man eine anzetteln würde. Trug man hingegen ein metallicblaues Nachthemd um den Kopf, wechselten die Leute die Straßenseite, denn so jemand war zu allem fähig.

      Auf diese Weise hatte Paul mit Hubertine samstagmorgens eine völlig überlaufene Einkaufsstraße durchschritten wie Moses, der das Meer teilt. Leider war er bald von der Polizei aufgegriffen worden, musste in einer Ausnüchterungszelle schlafen und am nächsten Tag lange mit Psychologen reden. Das war der Tag gewesen, an dem Paul zum Dieb geworden war, indem er in einem Souvenirladen eine Baseballkappe hatte mitgehen lassen.

      Diebstahl.


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