Gehalten. Elisabeth Bührer-Astfalk

Gehalten - Elisabeth Bührer-Astfalk


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mich ab.« Natürlich muss sie trotzdem gehen. Ich rede mit der Lehrerin, doch das hilft nichts. Im Gegenteil. Meine Tochter klagt nun mehr und mehr über Bauch- und Kopfweh, und ich sehe, wie sie zunehmend leidet. »Wieso ist alles nur so kompliziert«, denke ich trübe.

      Schließlich melde ich sie beim »Kinder- und Jugendpsychologischen Dienst« an. Dort sitze ich nun im Wartezimmer und hadere damit, dass ich meine Tochter zum Zwecke endloser Tests abgegeben habe. Das heißt, eigentlich sitze ich nicht, sondern ich versuche, meine beiden jüngeren Jungs irgendwie in Schach zu halten. Die beiden können leider selten friedlich zusammen spielen. Schon gar nicht auswärts. Doch eine Art Kugelbahn, die glücklicherweise mit kleinen Autos funktioniert, fasziniert dann die beiden. Jetzt habe ich Zeit, meinen Gedanken nachzuhängen, und denke so vor mich hin: »Es ist alles so anstrengend geworden, es gibt auch dauernd irgendetwas zu schimpfen. Ich brauche mehr Gelassenheit, mehr Frieden in meiner Familie. Mehr Frieden in mir.« Dann, auf einmal, fällt mein Blick auf die Pinnwand schräg gegenüber. Dort hängt ein schlichtes weißes Blatt Papier, das die große Aufschrift trägt: »Es ist, wie es ist.« Sonst steht da nichts. »Hm – eine simple Erkenntnis«, denke ich. Doch dann »inhaliere« ich diesen Satz förmlich und verstehe dessen tiefen Sinn, je länger ich ihn anschaue. Ich spüre, welche Entlastung eine solche Haltung mit sich bringen könnte. Es geht um das Annehmen dieser ach so vielen kleinen und großen Dinge, die ich nicht ändern kann. Dieses Annehmen könnte Frieden und Ruhe für die Seele bringen.

      Auch schon die Menschen in der Bibel hatten oft Schwierigkeiten, die Ruhe zu bewahren. Im Brief von Paulus an die Philipper lese ich in Kapitel 4,6-7: »Sorgt euch um nichts, sondern betet um alles. Sagt Gott, was ihr braucht, und dankt ihm. Ihr werdet Gottes Frieden erfahren, der größer ist, als unser menschlicher Verstand es je begreifen kann. Sein Friede wird eure Herzen und Gedanken im Glauben an Jesus Christus bewahren.«

      Der Friede Gottes ist unabhängig von äußeren Umständen, er will vielmehr in unserem Kopf und in unserem Herzen wirken. Doch dazu ist es zuerst einmal nötig, alle Sorgen vertrauensvoll an Gott abzugeben. Alle Sorgen, aber auch alles Grübeln über die Vergangenheit. Alles »Hätte ich doch« oder »wäre ich nicht« oder alles »Warum nur« ist in seiner Hand. Er hat alles gesehen und zugelassen. Er weiß darum. Doch er trägt auch alle Lasten und Sorgen der Zukunft, alles Fragen: »Wie soll das nur werden« oder »Wie soll ich das bloß schaffen?« Er sagt: »Sorge dich um nichts. Deine Vergangenheit und deine Zukunft sind bei mir gut aufgehoben.« Er will, dass seine Kinder im Hier und Jetzt leben, es auch annehmen und nicht ständig dagegen ankämpfen.

      Doch manchmal ist dieses Hier und Jetzt im Zusammenleben mit Kindern einfach furchtbar chaotisch und nervenaufreibend. Da geht etwas zum wiederholten Male schief. Die Situation eskaliert. Der Familienfrieden ist dahin. Dann beginnt die Suche nach dem Schuldigen: das schwierige Kind; der unverständige Lehrer; der Ehemann, der gegangen ist; die Mitmenschen, die nicht genug unterstützen. Vielleicht bin ich auch selbst die Schuldige, die wieder einmal versagt hat. Und so geht schließlich nicht nur der Familienfrieden, sondern auch der innere Frieden verloren.

      Kennst du das auch?

      Hier kann der Satz von der Pinnwand in der Praxis helfen: »Es ist, wie es ist.« Nicht als leere Floskel, sondern als ein Satz, der akzeptiert, dass es im Familienalltag einfach ein gewisses Maß an Chaos gibt, dass Gläser umfallen oder Schulprobleme auftauchen können. Ein Satz, der keinen Schuldigen sucht. Ein Satz, der den Weg nach vorne öffnet und hilft, das anzupacken, was es nun anzupacken gilt. Ein Satz, der im Wissen gesagt werden darf, dass Gott deine Vergangenheit kennt, dass er um deine jetzige Familiensituation weiß und dass er deine Zukunft kennt.

      Damit der Frieden in der Familie bewahrt werden kann, ist es wichtig, für den eigenen inneren Frieden Verantwortung zu übernehmen. Diesen darfst du dir immer wieder bei Gott abholen (Johannes 14,27). Denn nur so kann es auch in der Familie Frieden geben.

      Meine beiden Jungs haben im Wartezimmer auch schon bald wieder aufgehört, friedlich zusammen zu spielen. Richtig laut sind sie nun. Sogar die Frau vom Sekretariat wirft einen Blick zu uns herein. Doch – warum nicht einfach sagen: »Es ist, wie es ist.«

      Mutmach-Tipp:

      Nimm deine Familiensituation an. Vielleicht hilft dir dabei der Satz: »Es ist, wie es ist.«

      Zum Nachlesen:

      Philipper 4,6-7; Johannes 14,27

       [ Zum Inhaltsverzeichnis ]

      3. Wohin mit der Wut?

      Ich empfinde häufig Wut. Wut auf meinen Mann, der mich allein zurückgelassen hat, Wut auf Gott, der seinen Tod zuließ, Wut auf mein Umfeld, das wieder zur Tagesordnung übergeht. Am schwierigsten auszuhalten ist für mich die Wut, wenn ich mich ohnmächtig fühle. Zum Beispiel gegenüber unflexiblen bürokratischen Abläufen. Nach dem Tod meines Mannes will ich schnellstmöglich Rente beantragen. Dazu brauche ich seinen Ausweis der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV). Doch da fällt mir ein, dass sich dieser in unserem Bankschließfach befindet. Also fahre ich zur Bank. Ich bin mir sicher, dass ich den Ausweis bekomme, denn schließlich haben wir dieses Schließfach gemeinsam eröffnet. Dort angekommen erklärt mir jedoch eine junge Angestellte, dass ich nun auf sämtliche Dokumente des Schließfaches keinen Zugriff mehr habe, erst wieder nach dem Vorweisen des Erbscheins. Doch bis ich diesen habe, wird es mindestens noch zwei Monate dauern. Alle Erklärungen und Bitten meinerseits werden schroff zurückgewiesen. Einige Tage später darf ich dann doch, unter Aufsicht der örtlichen Vormundschaftsbehörde und jener Bankangestellten, den AHV-Ausweis meines Mannes aus dem Schließfach entnehmen. Die restlichen Dokumente werden wieder unter Verschluss genommen. Langsam dämmert es mir: Es geht um den Schutz der Erben, meine minderjährigen Kinder. Ich könnte ihnen etwas wegnehmen. So ist das also. Allerdings wären etwas weniger kontrollierende Blicke seitens der Bankangestellten beim Durchsehen des Schließfachinhaltes trotzdem nett gewesen. Das verletzt mich.

      Am Nachmittag gehe ich einkaufen. Den Wagen randvoll gefüllt mit Lebensmitteln für die große Familie, den quengelnden Jüngsten neben mir, eine Schlange wartender Kunden hinter mir, stecke ich die Bankkarte ins EC-Gerät. Oh, diese geht nicht mehr, ist gesperrt. Ich überlege fieberhaft – vielleicht funktioniert die Kreditkarte noch? Ich habe Glück. Sie geht noch und ich kann bezahlen. Zu Hause angekommen telefoniere ich mit meiner Hausbank. Ja, alle Konten und Karten sind gesperrt worden. Das sind ganz normale Abläufe, wird mir erklärt, auch bei Gemeinschaftskonten. »Ich werde Ihnen jedoch umgehend eine neue Karte für Ihr Konto zukommen lassen«, versichert mir der Bankberater. Sehr witzig, denke ich nur. Mit meinem Lohnkonto kommen wir nicht weit. Ich lege den Telefonhörer auf. Am Abend bringe ich die Kinder zu Bett, setze mich schließlich auf unser Sofa im Wohnzimmer und denke nach. Und dann, auf einmal, erinnere ich mich an einen Vers aus der Bibel, der ungefähr so lautet: »Sei beruhigt! Der Herr selbst wird für dich kämpfen.« Das ist es, denke ich. Dann sage ich mir: »Gott wird für mich kämpfen, er muss es nun tun, ich habe hier allein keine Chance.« Einen Tag später bekomme ich einen Anruf vom früheren Arbeitgeber meines Mannes und erfahre etwas vom »Lohnnachgenuss«. Drei volle Monatslöhne soll ich noch einmal bekommen. Davon hatte ich nichts gewusst. »Ja – und in diesem Fall«, so der Arbeitgeber weiter, »wird veranlasst werden, dass das Geld direkt auf Ihr Konto kommt. Umgehend«, versichert er mir. Ich kann aufatmen. Diese Summe ist nun groß genug, sodass wir für die nächsten Wochen genug zum Leben haben.

      Der Vers, der mir hier urplötzlich eingefallen ist, entstammt einer Geschichte aus 2. Mose 14. Das Volk Israel steckt nach der Befreiung aus der ägyptischen Gefangenschaft in einer menschlich gesehen aussichtslosen Lage. Hinter ihnen ein riesiges feindliches Heer ägyptischer Soldaten und vor ihnen das Meer, das eine Flucht unmöglich macht. Wie reagieren sie? Sie bekommen Angst, was verständlich ist. Dann


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