Falsches Spiel in Brodersby. Stefanie Ross
zu vermitteln.
Während er weiter den Puls und die Atmung überwachte, blickte er übers Meer und wünschte sich, der Hubschrauber wäre bereits hier. Wenn sich der Zustand doch noch verschlimmerte, konnte er so gut wie nichts tun. Er stutzte, als er ein Boot bemerkte, das ihm zuvor nicht aufgefallen war. Bei den Temperaturen waren kaum Schiffe auf der Ostsee unterwegs. Selbst die Touristendampfer lagen irgendwo an einer Mole. Er konnte es nicht benennen, doch irgendetwas störte ihn an dem Anblick.
Als er Jörg bemerkte, der neben ihm stand, deutete er mit dem Kopf in die Richtung. »Mach mal ein Foto von dem Kahn.«
Ohne Fragen zu stellen, nutzte sein Freund sein Handy als Kamera. »Erledigt. Die Jungs landen jeden Moment. Sie kommen aus Eckernförde und fliegen mit der Kleinen weiter in die Kieler Uniklinik. Sie wissen Bescheid, dass es um eine Phosphorvergiftung geht.«
»Sehr gut. Danke.«
Endlich hörte er das Geräusch der Rotoren und wenig später lag das Kind auf der Trage.
»Es kann einer mit«, sagte der Notarzt.
»Flieg du mit. Aber behalte die Nerven! Du hilfst niemandem, wenn du hysterisch wirst. Ich nehme den Wagen und bin auch bald da«, entschied der Vater.
Stumm nickte die Mutter und achtete sogar darauf, dass sie die Sanitäter und den Arzt nicht behinderte, während sie die Nähe ihres Kindes suchte.
Über den Strand kamen nun auch zwei Polizisten in Uniform auf sie zu.
Jan wartete, bis der Hubschrauber gestartet war. Dann kraulte er Tarzan ausgiebig. »Das hast du gut gemacht, Großer.«
Tarzan gähnte nur, Ginger bellte.
Da Jörg und Jan die Polizisten kannten, gingen die Erklärungen schnell und formlos.
»Phosphor? Hier? Wat’n Schiet. Darauf könnte ich einen Korn vertragen«, sagte der ältere Beamte mehr zu sich selbst.
Der Jüngere nickte. »Das gibt einen Wirbel. Hauptsache, die Lütte ist schnell wieder auf den Beinen, wir müssen Warntafeln aufstellen und …« Er zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung, was noch. Da müssen sich die schlauen Köpfe in Kiel was überlegen.«
Jan sah unwillkürlich wieder über die Wasseroberfläche zu dem Boot hinüber, das ein paar Meter näher gekommen war. Vielleicht hatten der Hubschrauber und die Blaulichter die Besatzung neugierig gemacht. Jörg brauchte keine Aufforderung, sondern schoss bereits weitere Fotos.
Nachdenklich rieb sich der jüngere Beamte übers Kinn. »Ich verstehe das nicht. In der Kieler Förde liegt ja genug von dem Scheiß, aber hier doch nicht. Und viel Wind hatten wir auch nicht.«
Jan hatte den Vater des Mädchens fast vergessen. Nun drängte er sich zwischen ihn und die Polizisten. »Entschuldigen Sie bitte. Ich möchte mich nur rasch bedanken. Ich laufe dann jetzt nach Schönhagen und hole meinen Wagen. Vielen, vielen Dank. Sie und …« Er deutete auf Tarzan. »Danke. Und das, obwohl meine Frau … Sie ist mal gebissen worden und …« Er drückte Jan eine Visitenkarte in die Hand. »Ich melde mich später. Danke.«
»Ganz langsam«, mischte sich der ältere Polizist ein. »Wir bringen Sie mit dem Streifenwagen zu Ihrem Fahrzeug. Nun kommen Sie mal mit.«
Als Jan und Jörg mit den Hunden wieder alleine am Strand waren, atmete Jan auf. »Mann, was für ein Drama.«
Jörg sah aufs Meer hinaus. »Irgendetwas sagt mir, dass Gerdas Wunsch in Erfüllung gegangen ist. Lass uns mal ein wenig weitergehen. Vielleicht finden wir noch mehr von dem Mist.« Er hielt bereits einen Hundekotbeutel in der Hand. »Da drin kann nichts passieren, oder?«
Jan überlegte, was er aus seiner Bundeswehrzeit über das Zeug wusste. »Es entzündet sich ab zwanzig Grad, also zum Beispiel, wenn du es in der geschlossenen Hand hältst oder in eine Jackentasche steckst, ansonsten eigentlich nicht.«
»Hätte ich ihr den Mist bloß aus der Hand geschlagen«, murmelte Jörg.
Jan legte ihm einen Arm um die Schultern. »Das habe ich auch schon gedacht, aber ganz ehrlich, damit rechnest du doch nicht. Hätte ich das ernster genommen, hätte ich der Mutter einen Tritt versetzt, dass sie in die Ostsee gesegelt wäre und …«
Das Lachen kehrte in Jörgs Augen zurück. »Himmel, hat die sich erst aufgeführt.« Er wurde wieder ernst. »Ich will ihr ja keine Schuld geben, aber ohne ihre Einmischung wäre das Kind jetzt nicht auf dem Weg ins Krankenhaus.«
»Tja …« Jan rieb sich übers Kinn. »Na komm, lass uns noch ein paar Meter gehen und nach dem Zeug Ausschau halten. Danach spendiere ich dir bei mir zu Hause einen ordentlichen Grog.«
»Klingt gut.« Jörg blickte wieder zu dem Boot. »Ich denke, das da könnte unser nächster Fall sein.«
Jan sah ebenfalls zu dem Boot und schüttelte den Kopf. »Daran habe ich auch kurz gedacht, aber besonders logisch ist das nicht.«
»Stimmt. Mein Gefühl sagt mir aber was anderes.«
Kapitel 2
Jörg hatte seinen Passat kaum vor Jans Haus gestoppt, da näherte sich ein weiteres Fahrzeug. Jo Karge, ein guter Freund von Jan, kam hinter ihnen zum Stehen. Der ehemalige Kampfschwimmer war über siebzig, wirkte durch seinen muskulösen Körperbau und seine aufrechte Haltung jedoch wesentlich jünger.
Jo und seine Frau Helga waren für Jörg zu Ersatzeltern geworden, nachdem sie ihn als Teenager aufgenommen hatten. Beide bedauerten es ein wenig, dass Jörg mittlerweile mit Andrea und Ida zusammenlebte und seine Wohnung in ihrem Haus seitdem leer stand.
Hundertprozentig glücklich waren weder Jörg noch seine Ersatzeltern mit der gegenwärtigen Situation. Leider sprachen sie nicht offen über das Thema. Jan hatte deswegen schon einige Male gedanklich mit den Augen gerollt. Die Lösung lag doch auf der Hand! Der Resthof von Jo war so groß, dass eine weitere Familie dort wohnen konnte, ohne dass man sich gegenseitig auf die Nerven ging.
Jan lächelte Jo zur Begrüßung an. »Dein Timing ist perfekt, wir brauchen jemanden, der uns Nachhilfe in Phosphor gibt.«
Jo blinzelte. »Aha. Aber erst einmal schaffen wir die Wiege rein.«
Jörg hatte bereits in den Kofferraum gespäht und hob die Schultern, als würde er frieren. »Das Ding ist massiv und garantiert so schwer, wie es aussieht.«
Für die Schlussfolgerung erntete er einen Klaps auf den Rücken, der ihn ins Wanken brachte.
»Richtig, mein Sohn. Deshalb habe ich mir auch überlegt, wie wir das Teil die Treppe hochbekommen: Ihr beide schleppt und ich sage euch, wie ihr rangieren müsst.«
Tolle Arbeitsteilung. Da Jan wusste, wie sehr sich Lena darüber freute, dass sie das alte Familienerbstück ausleihen durften, seufzte er nur. »Waren wir verabredet und ich habe das vergessen?«
»Nö. Helgas Stricktanten sind bei uns eingefallen. Du glaubst gar nicht, was die schnattern. Da meine Frau immer leicht stinkig reagiert, wenn ich mich grundlos zurückziehe, habe ich mal die Auslieferung der Wiege vorgeschoben.«
»Na, da hast du ja Glück, dass wir da sind«, kommentierte Jan die Erklärung.
»Tja, gute Taten werden eben vom Karma entsprechend belohnt. Was hat es denn mit dem Phosphor auf sich?«
»Erzählen wir dir drinnen. Also, nachdem wir das gute Stück die Stufen hochgewuchtet haben. Wäre das Teil nicht ein Grund, das Kinderzimmer im Erdgeschoss einzurichten?«, schlug Jörg vor.
Jan grinste nur.
Das alte Bauernhaus war für ein Paar perfekt gewesen, stieß mit dem Kinderzimmer und dem Wunsch von Lena nach einem Atelier jedoch an seine Grenzen, sodass für das Frühjahr bereits ein Anbau geplant war.
Die Stufen, die in den ersten Stock führten, waren nicht übermäßig breit und dazu recht steil. Es dauerte eine Zeit, bis Jan und Jörg die Wiege am Bestimmungsort hatten. Jo war vorausschauend gewesen und hatte drei Flaschen Bier mit nach