Falsches Spiel in Brodersby. Stefanie Ross
Ort sein konnte. Er sprintete los und griff nach seinem Rucksack mit der Notfallausrüstung, der immer im Flur bereitlag. Jörg war dicht hinter ihm.
»Ich fahre dich«, bot er an.
»Und ich passe aufs Haus auf«, schickte ihnen Jo hinterher.
Da Jörg sämtliche Verkehrsregeln ignorierte, erreichten sie den Ort in wenigen Minuten.
Jan sprang aus dem Wagen und lief zu Heiner, der vor der Feuerwehr neben einem Mann hockte.
»Ich weiß echt nicht weiter«, rief er Jan zu.
Heiners Frau Irene stand mit einem Mobiltelefon in der Hand wenige Meter entfernt. »Die haben noch einen anderen Einsatz, es dauert, bis der Notarzt kommt.«
Der Mann sah aus wie Anfang zwanzig und hatte hellblondes Haar. Die weiß gräuliche Gesichtsfarbe war ebenso besorgniserregend wie die kaum spürbare Atmung und der schwache Puls. Jan beugte sich über den Mann und runzelte die Stirn. Zum zweiten Mal an diesem Tag roch er Knoblauch. Vergiftungen durch weißen Phosphor hatten häufig diese Begleiterscheinung, das ergab allerdings keinen Sinn.
Der Mann murmelte etwas in einer fremden Sprache. Jan verstand nur das Wort »Nadescha«. Vielleicht der Name seiner Frau.
Vorsichtig öffnete Jan den Kiefer des Unbekannten. »Leuchte mal«, bat er niemand Bestimmten, aber Heiner kam der Aufforderung sofort nach, indem er die Taschenlampenfunktion seines Handys nutzte. Mundhöhle und Hals wiesen Wunden auf, wie sie für Verätzungen typisch waren.
Jan war kein Experte für solche Fälle, tippte jedoch darauf, dass der Mann Phosphorgas eingeatmet hatte. Er hatte die Grenzwerte nicht im Kopf, wusste nur, dass schon geringe Mengen tödliche Folgen hatten und die Schäden so gut wie unumkehrbar waren.
Langsam schüttelte er den Kopf. »Er gehört auf eine Intensivstation.«
Nie würde er sich an die Hilflosigkeit gewöhnen, die manchmal Teil seines Jobs war.
Unerwartet flatterten die Lider des Mannes und sein Blick fokussierte sich. Jan tastete nach seiner Hand und drückte sie fest. »Hilfe ist unterwegs. Bleiben Sie ganz ruhig.«
»Das Geld soll Nadescha bekommen«, flüsterte der Unbekannte kaum verständlich und hustete schwach.
Jan wollte ihn stützen, doch plötzlich floss ein dünnes Rinnsal Blut aus dem Mundwinkel des Mannes. Ein letzter keuchender Atemzug und die hellblauen Augen starrten in den Himmel.
»Verdammt«, flüsterte Jan und spürte im nächsten Moment die Hand von Jörg auf seiner Schulter.
»Wenn du nichts tun konntest, ist es so«, sagte sein Freund.
Schwerfällig stand Jan auf. »Ich vermute, er ist an inneren Blutungen im Lungenbereich gestorben. Genaueres wird die Obduktion zeigen.«
Es dauerte weitere zehn Minuten, bis sie das Geräusch von Martinshörnern hörten. Irene hatte sich in die Umarmung ihres Mannes geflüchtet und vermied jeden Blick auf die Leiche. Jörg hatte eine Rettungsdecke aus dem Wagen geholt und den Mann zugedeckt. Die goldene Folie knisterte im leichten Wind.
»Hast du eine Idee, was ihn umgebracht hat?«, erkundigte sich Jörg leise.
»Auch wenn es verrückt klingt, ich tippe auf eine Vergiftung durch Phosphorgas. Dazu würden die Symptome und der Geruch nach Knoblauch passen.«
»Wenn ich an das Mädchen denke, ist das vielleicht gar nicht so abwegig«, erwiderte Jörg und eilte zu dem Streifenwagen, der in diesem Moment dicht vor ihnen hielt. Jan notierte sich innerlich, dass es eigentlich nicht sein konnte, dass der Notarzt immer noch nicht eingetroffen war.
Er rieb sich über die Stirn und war froh, dass sein Freund die nötigen Erklärungen übernahm. Nachdem er Heiners fragende Miene bemerkt hatte, ging er zu dem Ehepaar.
»Danke, dass du angerufen hast. Leider konnte ich nichts mehr für ihn tun.«
Der ehemalige Polizist schielte über die Schulter seiner Frau zu der Leiche. »Der war höchstens zwanzig. Was für ein Jammer. Hast du eine Idee, was ihn umgebracht hat?«
»Ich bin nicht sicher. Mein Tipp wäre eine Vergiftung durch Phosphor.«
Irene fuhr so schnell herum, dass ihr Mann zurückstolperte. »Das Zeug, das schon das Mädchen verbrannt hat? Das gibt’s doch gar nicht!«
Jan nickte langsam. »Die Kleine hatte üble Verbrennungen an der Hand und etwas von dem Gift eingeatmet. Das hier sah nach intensiverem Kontakt aus. Mundbereich und vor allem der Hals des Mannes waren böse verätzt und letztlich ist wohl die Lunge kollabiert. Aber frag mich nicht, wie das zusammenhängt …«
Irene zielte mit ihrem Zeigefinger auf Jan. »Wenn sich die Polizei nicht darum kümmert, dann übernehmt ihr das! So etwas darf es in Brodersby nicht geben. Wie gut, dass keine Saison ist, sonst bleiben uns noch die Touristen weg. Heiner hat sich sowieso schon gelangweilt, also seht zu, dass ihr das klärt!«
Jan öffnete den Mund und schloss ihn wieder, ohne dass er etwas gesagt hatte. Anscheinend galt er im Dorf nicht nur als Arzt, sondern auch als Sherlock-Holmes-Ersatz.
Heiner grinste schief. »Streite lieber gar nicht erst ab, dass dich der Fall reizt, Jan.«
»Mache ich nicht. Ich habe nur überhaupt keine Idee, was hier eigentlich los ist oder wo wir ansetzen sollen.«
»Das kommt noch«, verkündete Irene und nickte jemandem hinter Jans Rücken zu. »Die Herren warten offensichtlich auf dich.«
Jan drehte sich um und entdeckte die beiden Streifenbeamten, die in seine Richtung blickten.
Er wiederholte seine Einschätzung und erntete ein zweistimmiges Brummen.
Der jüngere Beamte hielt einen Ausweis in der Hand. »Das Opfer ist Russe. Also einen Sinn erkenne ich gerade so gar nicht und würde sagen, wir überlassen das alles den Kollegen von der Kripo.«
Sein älterer Kollege neigte den Kopf zur Seite. »Nee. Rechne mal mit dem LKA. Bei Kampfmitteln sind die zuständig. Aber warten wir erst mal ab, ob die Rechtsmediziner die Einschätzung unseres Docs bestätigen. Danke für deinen Einsatz, Jan. Komm morgen mal bitte in Kappeln vorbei, damit du ein Protokoll unterschreiben kannst. Ich bereite das vor, damit du nur noch deinen Namen drunterkritzeln musst.«
»Mach ich. Danke.« Jan sah Jörg auffordernd an. »Lass uns nach Hause fahren, ich brauche nun wirklich was Starkes. Wat’n Schiet.«
Kapitel 3
Elisabeth Schönfeld, die von allen »Liz« genannt wurde, überflog die E-Mail ein zweites Mal und hatte nach wie vor keine Idee, wie sie mit der Bitte von Jo umgehen sollte. Manchmal könnte sie alle Männer erschießen. Und mit Jan und Jo würde sie beginnen. Erst glaubte der Bengel, sie würde nicht bemerken, dass er heimlich seine Lena geheiratet hatte, und nun zog Jo sie noch in seinen ureigenen Familienkonflikt rein. Hatte der Dösbaddel denn vergessen, dass Andrea für sie arbeitete? Er hätte es verdient, dass sie die Mail einfach an Andrea weiterleitete und auf das drohende Gewitter wartete!
Als hätte sie Andrea herbeigerufen, stürmte ihre einzige Mitarbeiterin in Liz’ Büro und hielt triumphierend einen Vertrag hoch. »Unterschrieben! Ohne zu handeln!«
Liz vergaß für einen Moment Jos Anfrage und starrte Andrea an. Der Resthof direkt an der Ostsee war in jeder Hinsicht renovierungsbedürftig und dennoch hatte der Hamburger Besitzer einen siebenstelligen Betrag gefordert – und anscheinend bekommen. Damit hatte sie nicht gerechnet und deswegen Andrea den Besichtigungstermin überlassen.
»Nicht im Ernst! Was hast du mit dem Kerl gemacht? Der ist doch nicht normal …«
»Finde ich auch, aber wollen wir uns deswegen wirklich beschweren? Unsere Courtage kann sich ja sehen lassen.« Andrea runzelte die Stirn und hockte sich auf die Schreibtischkante. »Andererseits gebe ich dir recht. Mir war der Typ total unsympathisch und ich verstehe nicht, dass er nicht versucht hat, den Preis zu drücken. Es war so, als wäre der Hof sein größter Herzenswunsch