Target on our backs - Im Fadenkreuz. J.M. Darhower
deren Antworten ich nicht umgehen kann, denn er lügt mich nicht an, egal um was es geht. Unwissenheit, sagt er, ist ein echter Segen. Aber wenn ich etwas wissen will, sagt er es mir. Man könnte es einen Vorzug der Ehe nennen. Doch das ist für mich schon zum Bumerang geworden, besonders wenn es um seine Offenheit geht.
Beispielsweise als ich ihn nach Professor Santino fragte und er mir unverblümt sagte, dass der Zeigestock in den Rippen des Mannes abbrach.
Wenn er mir also sagt, dass er kein weiteres Mal angehalten hat, dann beschließe ich, ihm zu glauben.
Wahrscheinlich tue ich das, weil ich fürchte, dass er sich weiterhin für Vergeltung entscheidet.
Kapitel 2
Ignazio
Karissa träumt. Oder hat eher einen Albtraum. Sie liegt neben mir, und ich höre sie im Schlaf wimmern. Ihr Körper ist so angespannt wie ein Draht, der unter Strom steht. Ich glaube, wenn ich jetzt versuchen würde, sie zu wecken, würde sie mir einen elektrischen Schlag versetzen.
Ich frage mich manchmal, ob es in ihren Träumen um uns geht. Und sind sie jemals von der Art ‚Und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende‘? Oder geht es immer um das, was ich getan habe? Die Schmerzen, die ich verursacht habe, die Qual, die sie durchlitten hat, das Entsetzen darüber, sich in einen Mann wie mich verliebt zu haben. Das würde ich gerne wissen, aber ich frage sie nicht, denn es ist wahrscheinlich nicht von Bedeutung.
Ich bin nicht einmal sicher, ob sie sich an ihre Träume erinnert. Mir gegenüber erwähnt sie sie jedenfalls nicht. Außerdem bedeuten Träume im Vergleich mit der Realität nichts. Das Leben ist, was es ist. Man kann ihm nicht entkommen.
Der Deckenventilator dreht sich langsam und wirbelt ihr Haar auf. Ich strecke den Arm aus und streiche ihr das widerspenstige Haar behutsam aus dem Gesicht, betrachte sie eine Weile und beuge mich dann vor, um ihr einen kleinen Kuss auf die Wange zu geben. Sie schläft weiter, tief gefangen in ihrem Traum und ist sich meiner Anwesenheit nicht bewusst – und wird hoffentlich auch meine kommende Abwesenheit nicht bemerken. Ich will nicht, dass sie sich deswegen Sorgen macht.
So vorsichtig wie möglich gleite ich aus dem Bett, um sie nicht zu stören. Auf dem Weg zur Tür schnappe ich eine schwarze Jogginghose und ziehe sie im dunklen Flur an, bevor ich nach unten gehe.
Ich bin dankbar, dass ich es am Köter vorbeischaffe. Er mag mich immer noch nicht – was ich ihm nicht verdenken kann. Ich habe seine Besitzerin direkt vor seiner Nase erschossen. Aber manchmal macht er es mir schwer, mich wegzuschleichen. Dadurch ist es schwierig, Frieden im Haus zu bewahren.
Es ist eine warme Herbstnacht, kurz vor Mitternacht, doch der Marmorboden der Küche fühlt sich kalt unter meinen nackten Füßen an. Ich zögere, als ich mich dem Spülbecken nähere, strecke dann die Hand aus und ziehe das Ausbeinmesser aus dem Holzblock auf der Arbeitsplatte. Der Griff ist schwarz, die schmale Klinge gut zwanzig Zentimeter lang und die Spitze scharf genug, um Fleisch vom Knochen zu trennen. Und dafür ist es ja auch gedacht.
Ich nehme meine Schlüssel von einem Haken neben der Seitentür, gehe in die Garage und achte darauf, die Tür hinter mir wieder zu schließen. Offene Türen sind Einladungen, die ich im Moment niemandem aussprechen will, besonders nicht Karissa. Ich will, dass sie dort bleibt, wo sie ist und weiterhin fest schläft.
Nichtsahnend.
Bevor ich den Schlüssel meines Mercedes in die Hosentasche schiebe, klopfe ich auf die Kofferraumhaube. Sofort ertönt ein Wimmern und etwas bewegt sich im Inneren des Autos. Ich öffne die Klappe und sehe auf die Gestalt im Dunkeln herab, die nur vom schwachen Licht des Kofferraums beleuchtet wird.
Schweiß bedeckt ihn vom Scheitel seines kahlen Schädels bis zu seinen nackten Zehenspitzen. Sein Gesicht ist klatschnass, Schweißtropfen fallen herab und sein schmutziges weißes T-Shirt klebt an ihm. Und es stinkt … Himmel, was für ein Gestank. Ich werde einen Monat brauchen, um den Geruch nach Pisse wieder aus meinem Kofferraum zu bekommen. Wut wallt bei dem Gedanken, dass er sich voll gepinkelt hat, in mir auf. Dieser rückgratlose Feigling. Er hat Glück, dass ich ihm nicht hier und jetzt das Messer in den Hals ramme. Und er hat wirklich Glück, wenn er noch den nächsten Tag erlebt. Um seinetwillen hoffe ich, dass es so sein wird. Er sieht aus, als wollte er überleben.
Er starrt mich mit panisch aufgerissenen Augen an. Als er das Messer entdeckt, bricht er in Tränen aus. Er hyperventiliert und saugt Luft durch die Nase ein. Er versucht zu atmen, doch das Klebeband, das seinen Mund bedeckt und um seinen Kopf gewickelt ist, lässt ihn fast ersticken. Seine Hand- und Fußgelenke sind ebenfalls damit umwickelt, was ihn nicht davon abhält, sich im Kofferraum wild zu winden und Krawall zu machen.
„Was habe ich dir gesagt, Armando?“ Ich halte das Messer an seine Kehle, woraufhin er sich anspannt und still liegt, damit er sich nicht schneidet. „Wenn meine Frau dich hört, habe ich keine andere Wahl, dann muss ich dir die Kehle durchschneiden.“
Er versucht, seine Schreie zu unterdrücken und ist fast vollkommen ruhig, aber die Tränen laufen ihm weiter übers Gesicht. Ich hasse es, jemanden weinen zu sehen, egal ob Frau oder Mann, aber ganz besonders, wenn es jemand ist, der angeblich zur Familie gehört. Männer, die von Waffengewalt leben, sollten nicht in dem Moment zusammenbrechen, wenn sie erfahren, dass sie selbst dadurch sterben könnten. Oder in diesem Fall durch ein Messer, das, wenn ich es führe, wesentlich mehr Schmerzen zufügen kann.
Armando Donati war einer von Rays Straßenkämpfern, die die schmutzige Arbeit für ihn erledigten, in den Schützengräben patrouillierten und nicht abgeneigt waren, Regeln zu brechen, um Kriege zu gewinnen. Kidnapping, Erpressung und Überfälle waren seine Spezialitäten, ebenso wie routinierte Schüsse aus einem fahrenden Auto. Also die unehrenhaften Teile des Lebens. Die Teile des Lebens, über die niemand von ihnen sprach. Armando hatte ein Händchen dafür, einen Anschlag willkürlich erscheinen zu lassen. Ray hatte überall auf den Straßen Spione, und der Großteil seiner Informationen kam direkt von Armando und seiner Bande verfluchter Diebe.
Also hatte ich natürlich in der Sekunde, als das Feuer auf das Geschäft meines Vaters eröffnet wurde, an ihn gedacht.
„Nicht schreien“, sage ich zu ihm. „Wenn du eine Chance willst, hier rauszukommen, hörst du mir jetzt zu. Verstanden?“
Er nickt verzweifelt.
„Gut.“
Ich durchschneide mit dem Messer das Klebeband über seinem Mund und beobachte, wie Blut aus der Öffnung rinnt, weil ich ihm in die Lippe geschnitten habe. Er grunzt und stöhnt unterdrückt, weitere Tränen fließen ihm übers Gesicht, aber er schreit nicht. Er atmet ganz tief durch den Mund ein und fängt in der Sekunde, in der er ausatmet zu betteln an.
„Bitte, Vitale, ich war es nicht! Ich schwöre bei Gott! Ich schwöre bei meiner Frau und meinen Kindern! Ich schwöre bei der Familie! Ich habe es nicht getan.“
Ich will das Messer in seine Kehle rammen, damit er die Klappe hält, stattdessen lege ich die freie Hand auf seinen Mund und seine Nase und drücke zu. Er beginnt sich zu winden, liegt aber sofort wieder still, als ich sage: „Hör auf.“
Er kann jetzt nicht mehr atmen. Ich weiß das. Sein Gesicht wird rot, die Augen treten hervor.
„Ich weiß, dass du es nicht warst“, sage ich. „Also verschwende nicht deinen Atem bei Erklärungsversuchen, sonst nehme ich dir das nächste Mal für immer die Luft.“
Ich lasse los, und er schnappt nach Luft. Ich habe Blut von ihm an meiner Hand, reibe sie geistesabwesend an der Hose ab und merke zu spät, was ich getan habe. Mist. Jetzt muss ich sie verbrennen, um die Beweise loszuwerden.
Dieses Mal ist er still. Okay, er hyperventiliert und schluchzt, aber zumindest bettelt er nicht mehr.
Armando lebt in Hell’s Kitchen, nicht weit vom Feinkostladen meines Vaters entfernt, in einem Apartment über einem Gemischtwarenladen, der einst Ray gehörte. Es ist derselbe Laden, in dem ich mit sechzehn etwas gestohlen habe. Dort habe ich auf dem Heimweg angehalten, um eine Zeitung zu kaufen. Und ganz