Hochzeit machen ist nicht schwer .... Hanna Berghoff
»aber wenn ich Sie so anschaue, merke ich doch, wie groß der Unterschied ist.«
»Ist alles relativ«, behauptete Marina. »Ich komme mir manchmal uralt vor. Und ich finde, Sie wirken ziemlich jung.«
»Oh danke.« Ronja verneigte sich leicht spöttisch lächelnd. »Das ist sehr nett von Ihnen.«
»Können wir nicht Du sagen?« Marina hob auffordernd ihr Glas. »Wir könnten darauf anstoßen.« Glockenhell lachte sie auf. »Ich kenne kaum Leute, die ich sieze, das ist ganz ungewohnt für mich.«
»Kann ich mir vorstellen«, sagte Ronja. »Wenn Sie wollen . . . Ich habe nichts dagegen.« Sie lächelte freundlich. »Unsere Vornamen kennen wir ja schon.«
»Ja, aber so über den Tisch hinweg geht das nicht«, behauptete Marina, sprang mit entschlossener Miene von der Couch auf und kam zu Ronja herüber. »Da gehört ja auch noch ein Kuss dazu.« Sie beugte sich über Ronja und schaute ihr tief in die Augen.
Ronja spürte, wie Panik sie ergriff. Sie wäre am liebsten geflohen. Diese junge Frau kam ihr zu nah. Viel zu nah.
»Nun komm schon«, sagte Marina, stieß mit ihr an, und ihre Lippen näherten sich Ronjas unaufhaltsam.
Ronjas Rücken wurde steif. Sie wusste nicht, was sie tun sollte, und wenn sie es gewusst hätte, wäre sie zu sehr zur Salzsäule erstarrt gewesen, um handeln zu können.
So trafen Marinas Lippen auf ihre – und nicht nur ihre Lippen. Marina war offenbar darauf aus, keinen harmlosen Schwesternschaftskuss auszutauschen, sondern einen richtigen.
Ronja presste ihre Lippen zusammen, als sie Marinas Zungenspitze spürte, und Marina zog sich sofort zurück.
»Oh, entschuldige«, sagte sie. »Da bin ich wohl zu weit gegangen.« Ihre wunderschönen blauen, fast fliederfarbenen Augen – noch nie hatte Ronja so eine Farbe gesehen – nahmen Ronjas Bild beinah zärtlich in sich auf. »Ich mag dich nämlich, weißt du?«
»Wolltest du nicht vor gut einer Stunde noch einen Mann heiraten?« Ronja fühlte, dass ihre Stimme etwas krächzend klang.
»Ach, ich bin da nicht so festgelegt. Ich mag alle Menschen – irgendwie«, meinte Marina wegwerfend. »Kommt nicht drauf an, ob Mann oder Frau.«
»Ah, bi.« Ronjas Mundwinkel verzogen sich etwas nach unten.
»Nicht dein Ding?«, fragte Marina.
»Nein.« Ronja schüttelte den Kopf.
»Aber du magst Frauen.« Das war keine Frage, das war eine Feststellung.
Ronja hob die Augenbrauen. »Ich glaube nicht, dass dich das irgendetwas angeht.«
»Du brauchst gar nichts zu sagen.« Marina schmunzelte leicht. »Ich habe es gespürt. Du magst Frauen.«
»Es wäre mir ganz lieb«, erwiderte Ronja und stand auf, »wenn du jetzt irgendjemanden anrufen würdest, der dich hier abholen kann. Ich . . . Ich war gerade dabei, aufs Land zu fahren.«
»Und diese coole Wohnung hier ganz leer und allein zurückzulassen?« Marina ließ ihren Blick schweifen.
»Nein«, sagte Ronja und schüttelte ziemlich heftig den Kopf. »Du kannst nicht hierbleiben. Wenn ich fahre, informiere ich den Sicherheitsdienst, dass ich nicht da bin und dass niemand in der Wohnung sein darf.«
Ein feines Lächeln schlich sich auf Marinas Lippen. »Dann nimm mich doch einfach mit.«
Mit vor Überraschung weit geöffneten Augen starrte Ronja sie an. »Das kann ja wohl nicht dein Ernst sein!«
»Warum nicht?« Marina schien völlig entspannt. Sie lächelte erneut und legte leicht den Kopf schief. »Wo sollte ich denn sonst hin?«
Das ist dein Problem, hätte Ronja am liebsten gesagt, aber das konnte sie nicht. Jemanden einfach so im Stich zu lassen lag nicht in ihrer Natur, selbst wenn es gegen ihre eigenen Interessen verstieß. »Hast du denn wirklich«, sie räusperte sich, »niemanden?«
Marina zuckte die Schultern. »Sagte ich doch schon. Sobald ich irgendwo auftauche, wo man mich kennt . . .« Sie ließ den Rest offen.
Also konnte Ronja sich jetzt im Geist ausmalen, was dann passieren würde, auch wenn sie nicht genau wusste, worum es ging. »Er wird sich schon wieder beruhigen«, behauptete sie etwas lahm.
»Dann können ein paar Tage auf dem Land«, Marinas Lächeln hatte einen so berauschenden Effekt auf Ronja, dass sie wegschauen musste, »ja nicht schaden.«
Innerlich atmete Ronja tief durch, obwohl sie es sich äußerlich nicht erlaubte. »Ein paar Tage«, erwiderte sie, »aber nicht mehr.« Sie musterte Marina prüfend. »Du hast doch sicherlich auch noch etwas anderes hier in der Stadt zu tun als . . .«, ihre Mundwinkel zuckten, »zu heiraten. Oder auch nicht. Musst du nicht arbeiten?«
»Oh, erst einmal habe ich Urlaub.« Marina lachte leicht. »Flitterwochen, du verstehst? Das war ja schließlich«, sie seufzte entsagungsvoll, »eingeplant.«
Ronja ergriff den Strohhalm sofort. »Da ist doch bestimmt schon alles gebucht. Könntest du da nicht –?«
Mit einer hilflosen Geste öffnete Marina ihre Arme. »Ich habe weder Geld noch die Tickets. Hat alles er.« Sie hob die Augenbrauen. »Ich kann ihn ja wohl kaum danach fragen.«
Ronja kam sich ziemlich in die Ecke gedrängt vor. Diese junge Frau hatte auf alles eine Antwort, die Ronja nur einen Ausweg ließ. »Na gut«, sagte sie. »Fahren wir aufs Land.«
2
»Frau Baronin! Das ist ja eine Überraschung. Wir hatten Sie erst am Wochenende erwartet.« Ein ehrwürdiger alter Diener in einer klassischen Livree begrüßte Ronja etwas konfus, als sie vor dem alten Gutshaus hielten. »Wenn Sie Bescheid gesagt hätten, hätten wir etwas vorbereitet.«
»Danke, Johann, ich brauche nichts«, entgegnete Ronja freundlich. »Aber diese junge Dame hier«, sie wies auf Marina, während sie ihre ledernen Autohandschuhe abstreifte, »benötigt ein Zimmer. Für ein paar Tage«, fügte sie fast etwas warnend hinzu.
»Aber natürlich.« Johann nickte ernsthaft. »Ich werde Annie gleich anweisen, dass sie es herrichtet.«
»Da haben wir uns auf der ganzen Fahrt unterhalten, und davon hast du mir gar nichts erzählt?« Marina lachte, als sie ausstieg und ihr Hochzeitskleid zusammenraffte.
Ronja hatte darauf bestanden, dass sie es mitnahm. Sie wollte nicht, dass Marina einen Grund hatte, in ihre Wohnung zurückzukehren, um es zu holen.
Statt des Jogginganzugs trug Marina nun eine Jeans und ein T-Shirt von Ronja. »Frau Baronin?«
»Das hat keine Bedeutung.« Ronja winkte ab. »Ich trage den Titel nicht. Aber Johann besteht darauf, mich so zu nennen. Ich kann es ihm nicht abgewöhnen.«
»Und das ist dein Gut hier?«, wunderte Marina sich weiter. Sie schaute sich überwältigt um. »Wie groß ist das?«
»Die Größe hat ebenfalls keine Bedeutung«, erwiderte Ronja schon etwas genervt. »Es ist unser Familiensitz. Meine Großmutter lebt noch hier, sonst hätte ich es längst verkauft.«
»Verkauft?« Marina sah sie staunend an. »So etwas Schönes?«
»Ja«, erwiderte Ronja knapp und ging mit schnellen Schritten auf die große Eingangstür zu. »Es ist heutzutage nicht mehr rentabel.«
Marina folgte ihr mit dem bauschigen Kleid in den Armen. »So etwas habe ich noch nie gesehen«, sagte sie. »Ich meine, dass so etwas einer einzigen Familie gehört.«
»Alter Adel hat eine Menge Nachteile«, erklärte Ronja mit zusammengezogenen Augenbrauen.
Johann kehrte zurück und blieb ruckartig stehen, als er das Kleid in Marinas Armen sah. »Aber . . .« Seine Gesichtszüge erhellten sich, als ginge gerade die Sonne auf. »Frau Baronin . . .« Er strahlte Ronja an. »Warum haben Sie nichts davon gesagt? Dann hätten wir