Hochzeit machen ist nicht schwer .... Hanna Berghoff
»Entschuldige.« Marina verzog das Gesicht. »Johann hat mir das rausgelegt. Er meinte, es würde passen. Und das tut es auch.«
Ronja schluckte. »Das Kleid gehört meiner Mutter.«
»Sie wohnt normalerweise in diesem Zimmer?«, fragte Marina verwirrt.
»Sie ist . . .«, Ronja zögerte, »nicht mehr hier.«
»Ich ziehe es sofort aus«, bot Marina an. »Wenn du nicht willst, dass ich es trage.«
Einige Sekunden lang blieb Ronja stumm, dann rang sie sich zu einer Antwort durch. »Nein, behalt es ruhig an. Meine Großmutter möchte, dass wir mit ihr zusammen zu Abend essen, und da kannst du nicht in Jeans und T-Shirt am Tisch sitzen. Das mag sie gar nicht.«
»Sonst habe ich nur mein Hochzeitskleid.« Marina lachte verlegen. »Tut mir furchtbar leid, dass ich mich nicht besser auf meine Flucht vorbereitet habe.«
»Das konntest du ja nicht wissen«, erwiderte Ronja versöhnlich. Sie lächelte. »Das Kleid steht dir übrigens besser als meiner Mutter.«
»Danke.« Marina sah fast etwas erstaunt aus. »Es ist so Retrostil. Ich mag das.«
»Als meine Mutter es kaufte, war es nicht retro. Damals war das modern«, bemerkte Ronja schmunzelnd.
Marina lachte. »Natürlich. Ist alles etwas ungewohnt für mich.«
»Für mich auch.« Ronja seufzte. »Was das Abendessen betrifft . . .« Sie atmete tief durch und räusperte sich. »Meine Großmutter denkt, wir sind verheiratet.«
»Was?« Nun starrte Marina sie genauso an wie Ronja sie, als sie hereingekommen war.
»Tja.« Resigniert zuckte Ronja die Schultern. »Johann hat es ihr brühwarm erzählt. Er dachte offenbar, das wäre die Wahrheit. Und sie hat fast einen Herzanfall bekommen. Sie hat ein sehr schwaches Herz, und eigentlich muss man alle Aufregung von ihr fernhalten.«
»Oh, das tut mir leid«, entschuldigte Marina sich hastig. Ihr Gesichtsausdruck wirkte so betroffen, als ob sie selbst gerade eine Nachricht erhalten hätte, die eine ihrer Verwandten betraf. »Das habe ich nicht gewollt. Er war so«, sie lachte überrumpelt, »davon überzeugt, dass ich gar nichts sagen konnte. Ich dachte, wir erklären das später.«
»Das dachte ich auch.« Ronja atmete erneut tief durch. »Aber das geht im Moment nicht. Meine Großmutter . . .«, sie verzog besorgt das Gesicht, »würde das wahrscheinlich nicht überleben. Ich wollte es ihr vorhin schon sagen, aber der Arzt war bei ihr, und er meinte, er übernimmt keinerlei Verantwortung für eine weitere Aufregung dieser Art. Die Freude hat sie glücklicherweise nicht umgebracht, aber die Enttäuschung, dass es nicht so ist, wie sie jetzt denkt, würde es vielleicht tun.«
»Ach du liebe Güte.« Marina starrte sie entgeistert an. »Das . . . Das ist allerdings . . .«
»Ja.« Ronja ließ sich auf einen zierlichen Sessel sinken. »Das ist allerdings. Wir müssen diese Komödie wohl weiterspielen, solange wir hier sind. Ich werde unseren Aufenthalt so kurz wie möglich halten. Aber ein paar Tage habe ich versprochen.« Sie legte ihre Stirn in bekümmerte Dackelfalten.
»Na, das wird schon gehen«, bemerkte Marina entschlossen und kam zu ihr herüber. »Oder?«
Ronja blickte zu ihr hoch. »Es muss. Meine Großmutter ist alles, was ich noch habe, und ich möchte sie nicht vorzeitig ins Grab bringen.«
»Ich auch nicht. Auch wenn ich sie noch nicht einmal kenne.« Marina lächelte sie an. »Aber wenn sie deine Großmutter ist, ist sie bestimmt genauso nett wie du.«
Marinas Lächeln hätte Ronja vielleicht umgeworfen, wenn sie nicht schon gesessen hätte. Es war unglaublich, was dieses Lächeln in ihr auslöste. Dinge, von denen sie nichts wissen wollte.
Sie stand etwas abrupt auf. »Ich gehe nach draußen. Frische Luft schnappen. Immer wenn ich aus der Stadt komme, habe ich das Bedürfnis nach einem langen Spaziergang, um all diesen Smog loszuwerden und wieder richtig durchatmen zu können.«
»Ich hätte nichts gegen einen Spaziergang«, sagte Marina. Sie musterte Ronja fragend. »Oder willst du lieber allein sein?« Als Ronja nicht antwortete, fuhr sie nach einer kurzen Weile fort: »Schon gut. Ich sehe schon. Dann lass dich nicht aufhalten.«
»Tut mir leid, ich –« Ronja hob etwas ratlos die Hände. »Ich muss über einiges nachdenken.«
Ein sanftes Lächeln huschte über Marinas Lippen. »Gehöre ich auch dazu?«
»Ehrlich gesagt . . .«, erwiderte Ronja zögernd, »ja. Das alles hier war nicht geplant, und ich hasse ungeplante Ereignisse.«
Immer noch lächelte Marina. »Ich habe mir fast schon gedacht, dass du kein Typ für Überraschungen bist.« Sie runzelte entschuldigend die Stirn. »Dass ich so in dein Leben reingeschneit bin, hat dich nicht gefreut. Ich werde versuchen, die«, wieder verzog sie das Gesicht, »Unannehmlichkeiten so klein wie möglich zu halten. Es wird mir bestimmt eine Lösung einfallen, sodass ich meinen Aufenthalt hier nicht unnötig ausdehnen muss.«
Auf einmal fühlte Ronja sich miserabel. »Ist schon in Ordnung«, sagte sie schnell. »Du kannst so lange bleiben, wie du willst. Nur ich werde nicht lange bleiben.« Sie nickte Marina zu und ging hinaus.
Nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, musste sie auf dem Gang erst einmal verschnaufen. Das war eine Anstrengung, mit der sie nicht gerechnet hatte. Normalerweise fuhr sie auf das Gut hinaus, um ihre Großmutter zu besuchen und sich zu erholen. Es war meistens eine angenehme Erfahrung, eine Art Zurücktauchen in ihre Kindheit, in die Zeit, in der sie hier aufgewachsen und glücklich gewesen war.
Eine dunkle Wolke zog über ihr Gesicht. Nicht nur glücklich. Aber daran wollte sie jetzt nicht denken.
Sie straffte ihre Schultern und stellte wieder die unerschütterliche Gutsherrin dar, als sie den Gang durchschritt und sich dann die Treppe hinunter in die Halle begab, um das Haus zu verlassen.
»Na, du bist ja vielleicht eine Schwerenöterin!« Ein gutaussehender Mann in Ronjas Alter kam mit ausgebreiteten Armen zum Haupteingang herein. »Einfach so zu heiraten und uns nichts zu sagen!« Mit seinen langen Schritten hatte er sie in Nullkommanichts erreicht, riss sie in seine Arme und drückte sie heftig.
Ronja war zu verdutzt gewesen, um zu reagieren, aber jetzt schob sie ihn von sich. »Muss ich euch denn über alles informieren?«
»Musst du nicht.« Eine Frauenstimme mischte sich ein. »Aber es wäre nett gewesen.«
Lächelnd schaute Ronja über die Schulter des Mannes, die ihr noch immer halb die Sicht verdeckte. »Hallo Sissy. Lange nicht gesehen.«
»Tja.« Sissy zuckte die Schultern. »Du bist ja so selten da. Anscheinend hast du uns schon ganz vergessen.«
»Wie könnte ich das?« Ronja ging mit einem warmen Blick auf sie zu. »Schön, dich wiederzusehen.«
»Justus«, Sissy zeigte auf ihren Bruder, der Ronja so heftig umarmt hatte, »erzählte, du hättest deine . . . Frau mitgebracht. Das konnten wir doch nicht verpassen.«
»Wenn ich euch nicht hätte . . .« Ronja schaute sich um und behielt beide Geschwister lächelnd im Blick. »Aber es ist . . .«, sie räusperte sich, »nicht ganz so, wie ihr denkt.«
In diesem Moment wandte Sissys Aufmerksamkeit sich von ihr ab und wanderte die Treppe hinauf.
»Oh, ich dachte, du wärst schon weg«, sagte Marina, die – ganz untypisch für sie – langsam herunterkam. »Ich wollte mir nur ein wenig das Gut anschauen.«
»Ist das nicht ein Kleid deiner Mutter?«, fragte Sissy. Es schien fast, als zögen sich ihre Augenbrauen zusammen.
»Ja«, antwortete Ronja. »Es gab ein paar . . .«, sie räusperte sich, »unvorhergesehene Zwischenfälle, und Marina«, auf einmal lächelte sie unwillkürlich, als ob die Erwähnung dieses Namens allein ein Lächeln auf ihr Gesicht zauberte, »muss noch auf ihr Gepäck warten.«