Hochzeit machen ist nicht schwer .... Hanna Berghoff
und stand auf.
Ronja wusste nicht, wo sie hinschauen sollte. Sie fühlte Sissys und Justus’ Blicke wie brennende Strahlen auf sich. Ihre Großmutter hielt sich zwar vornehm zurück, aber es reichte, dass Ronja spürte, dass auch sie dasselbe von ihr erwartete wie die Geschwister. Und sich alle darüber freuten, während in Ronjas Kopf die Gedanken rasten und ihr abwechselnd heiß und kalt wurde.
»Gib mir eine halbe Stunde«, fuhr Marina recht süffisant fort, während sie Ronjas Zustand offensichtlich genoss. Sie lächelte sie jedoch harmlos an, als wäre das nicht so. »Dann kannst du nachkommen.« Zögernd machte sie eine bedeutungsvolle Pause. »Ich warte auf dich.« Daraufhin entfernte sie sich mit einem bühnenreifen Abgang aus dem großen Speisesaal, während Johann ihr zuvorkommend die Tür aufhielt.
Es musste das Kleid ihrer Mutter sein, der Retrostil mit dem ausgestellten Rock, der Marina so einen verführerischen Hüftschwung verlieh, dachte Ronja. Oder tat sie das mit Absicht?
Warum? Sie wusste, dass nichts passieren würde. Das alles hier war nur eine Komödie. Sie waren nicht verheiratet, es hatte keine Hochzeit gegeben, und demzufolge gab es auch keine Hochzeitsnacht. Das schon mal gar nicht.
Marina würde im Herrschaftszimmer schlafen, und Ronja würde in ihr eigenes Zimmer gehen, wie immer. Sie würden sich heute Nacht nicht einmal mehr sehen.
Vielleicht wollte Marina das Ganze aber auch einfach nur überzeugend gestalten, damit ihre Großmutter keinen Verdacht schöpfte. Damit sie sich nicht aufregte.
Das wiederum wäre ausgesprochen nett von Marina gewesen. Ronja atmete innerlich auf. Nach den ganzen Aufregungen heute war Marina sicherlich rechtschaffen müde und wollte einfach nur früh schlafengehen. Damit das alles glaubwürdig erschien, hatte sie ihren Abgang so gestaltet, wie es die kleine improvisierte Hochzeitsgesellschaft hier von ihr erwartete, wofür Ronja nur dankbar sein konnte.
»Tatsächlich? Heute erst?«, hörte sie Sissys Stimme wie durch eine Wand aus Watte.
»Ja.« Ronja räusperte sich, weil dieses kleine Wort doch sehr kratzig geklungen hatte. »Heute.« Sie versuchte ein Lächeln in ihre Mundwinkel zu zwingen. »Marina wollte sofort herfahren und . . . alle überraschen. Deshalb –«
Justus lachte laut heraus. »Na, dass das nicht auf deinem Mist gewachsen ist, das hätte ich mir schon gedacht! Du hasst Überraschungen. Aber Marina . . .«, sein Gesicht nahm einen begeisterten Ausdruck an, »ist ganz offensichtlich anders. Völlig anders als du.«
»Gegensätze ziehen sich an«, fügte Sissy grimmig hinzu. »Bei euch trifft das wirklich zu.«
»Ja. Ja, könnte man so sagen.« Ronja runzelte die Stirn. Diese Komödie erforderte eine ganze Menge an Fantasie. Und das war nicht gerade ihre Stärke. Sie konnte nicht aus dem Stegreif Geschichten erfinden oder über eine Lüge nach der anderen den Überblick behalten. Deshalb blieb sie normalerweise am liebsten bei der Wahrheit. Und am liebsten allein. Da ergab sich dieses Problem nicht.
In was Marina sie da hineingedrängt hatte . . . Wenn sie so darüber nachdachte, konnte sie sich kaum vorstellen, wie das geschehen war. Heute Morgen hatte sie sie noch überhaupt nicht gekannt. Und nun . . .
»Und wie lange kanntet ihr euch schon?«, hakte Sissy nach. »Bevor ihr geheiratet habt?«
Oh Gott, warum ist Marina nicht mehr hier? Ronja brach der Schweiß aus. Anscheinend weiß sie immer, was man auf solche Fragen antwortet. Warum musste sie unbedingt gehen?
Justus rettete die Situation, indem er wieder sein lautes, herzliches Lachen von sich gab. »Aber Schwesterherz . . . Glaubst du, dass Ronja jetzt an der Vergangenheit interessiert ist? Ich glaube«, er zwinkerte heftig, »sie ist mit ihren Gedanken in der Zukunft. In der nahen Zukunft«, fügte er mit einem verständnisinnigen Blinzeln sehr betont hinzu.
»Wisst ihr was?« Ronja stand auf. »Unterhaltet ihr euch doch einfach noch ein bisschen über Vergangenheit oder Zukunft oder was ihr wollt. Ich gehe jetzt schlafen.« Sie beugte sich über ihre Großmutter und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. »Gute Nacht, Großmutter.«
Ihre Großmutter lächelte sie hintersinnig an. »Gute Nacht, mein Kind.«
Langsam hatte Ronja das Gefühl, sie musste ganz schnell diesen Raum verlassen, sonst würde sie einen Schreikrampf bekommen.
Kaum hatte sie jedoch ein paar Schritte zur Tür hin gemacht, hielt Justus’ Lachen sie noch einmal auf. »Also wenn du heute Nacht zum Schlafen kommst«, prustete er vergnügt, »dann ist Marina nicht die Frau, für die ich sie halte.« Er stand ebenfalls auf. »Und außerdem wirst du natürlich von der Hochzeitsgesellschaft«, er blickte ausgelassen in die Runde, »wie klein sie auch sein mag, in das Hochzeitsgemach begleitet.«
Abwehrend hob Ronja die Hände, während Panik sie erfasste. »Nein, nein, das ist nicht nötig«, keuchte sie beinah. »Ich weiß ja, wo es ist.«
»Wir wollen aber nicht, dass du dich vor lauter . . .«, Justus genoss die Situation sichtlich, »Aufregung verläufst. Und zudem ist das ja wohl das Mindeste, was wir als deine ältesten Freunde für dich tun können. Nicht wahr, Sissy?«
Seine Schwester war bei weitem nicht so begeistert wie er, aber nun stimmte sie auch zu. »Natürlich«, sagte sie. »Wir sind ja . . .«, sie dehnte die Pause bedeutungsvoll, »praktisch eine Familie.«
»Bitte, bleibt doch hier . . .« Ronja warf einen beschwörenden Blick auf ihre Großmutter. »Ihr könnt Großmutter doch nicht so allein zurücklassen.«
»Ach, für mich«, sagte ihre Großmutter und streckte eine Hand nach Johann aus, damit er ihr beim Aufstehen half, »ist es eigentlich schon viel zu spät. Ich werde mich auch zur Ruhe begeben.«
Nicht auch das noch! Auf einmal wünschte Ronja sich, sie wäre tot. Tot oder ganz weit weg. Aber auf jeden Fall nicht hier.
So, wie sich die Situation entwickelt hatte, konnte sie jedoch nichts dagegen tun. Langsam – damit sie auch jede Sekunde dieser Folterqual auskosten konnte – schritten sie gemeinsam die Treppe hinauf, bis sie den obersten Absatz erreicht hatten, ihre Großmutter sich ein wenig ausruhte und dann mit Johann, der sie stützte, nach rechts in den Ostflügel abbog, in dem sie ihre separaten Gemächer bewohnte.
»Gute Nacht, Kinder«, verabschiedete sie sich noch einmal lächelnd. »Schlaft gut.« Aber selbst sie konnte sich anscheinend nicht zurückhalten, ein wenig zu blinzeln.
Oder bildete Ronja sich das nur ein? Wahrscheinlich sah sie im Moment in jedem einen potenziellen Blinzler, weil die ganze Situation sie verrückt machte. »Schlaf auch gut, Großmutter«, brachte sie mühsam hervor und wünschte sich, sie könnte der alten Baronin in den Ostflügel folgen.
»So, und jetzt«, verkündete Justus in allerbester Laune, während er Ronja unterhakte, »begleiten wir dich noch in das Brautgemach.«
»Vielleicht öffnet Marina uns aber gar nicht die Tür«, warf Sissy nonchalant ein. »Anscheinend gab es doch Probleme mit ihrem Gepäck. Also hat sie wohl auch kein Nachthemd.«
Auf einmal überwältigte Ronja das Gefühl, ihre Knie gaben nach. Aber mit Justus am Arm fiel es hoffentlich nicht so auf. Sissys Bemerkung hatte sofort das Bild einer nackten Marina vor ihrem inneren Auge erstehen lassen, die dort im Herrschaftszimmer auf sie wartete.
Und es schien ihr, als hätte Sissy genau diesen Effekt beabsichtigt, denn sie beobachtete Ronja mit einem geradezu durchdringenden Blick, der sie nicht aus den Augen ließ.
Mit letzter Kraft riss Ronja sich zusammen und straffte ihre Schultern. »So, jetzt«, sagte sie, als sie vor der Tür des Zimmers angekommen waren, »könnt ihr aber gehen. Ihr habt eure Schuldigkeit als beste Freunde getan. Gute Nacht.«
Sie wandte sich zur Tür, aber wenn sie erwartet hatte, dass Sissy und Justus sich jetzt verabschieden würden, sodass sie sich in ihr Zimmer schleichen konnte, hatte sie sich geschnitten.
»Ich glaube, du musst anklopfen«, grinste Justus.
Ronja seufzte innerlich. Es blieb ihr