Lotte mischt mit. Klaus Heimann

Lotte mischt mit - Klaus Heimann


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was aus?

      Robert hatte sich lange aus dem Staub gemacht. In dem Moment, in dem sie ihm von ihrem gemeinsamen Kind erzählte, hatte er sie verstoßen. Beschimpft hatte er sie sogar. Sie hätte besser aufpassen müssen. Im Übrigen lege er keinen Wert mehr auf den Kontakt mit ihr. Mit einem Babybauch wäre sie für ihn sowieso nicht mehr attraktiv.

      Wie hätte sie aufpassen sollen? Die Pille hätten die Eltern ihr nie erlaubt. Danach zu fragen, wäre überflüssig gewesen. Außerdem war es aus dem Moment heraus geschehen. Zu viel getrunken hatte sie, unerfahren, wie sie im Umgang mit Alkohol war. Wenn sie es recht bedachte, hatte Robert ihren Zustand schamlos ausgenutzt. Zwei, dreimal danach war es wieder dazu gekommen. Das war alles. Dadurch war sie zur »Hure« geworden. Ein weiteres Zitat ihres Vaters.

      Wieder überfielen sie die Wehen. Heftiger als je zuvor. Sie schrie. Ein Laut des Schmerzes und der Wut auf alle Menschen, die sie in ihren schwersten Stunden allein gelassen hatten.

      Dann merkte sie, dass sich etwas von ihr löste. Der Schrei dieses Etwas vermischte sich mit ihrem.

      Sie blieb noch ein paar Tage in der Klinik. Die Schwestern waren nett zu ihr, auch wenn sie wussten, dass sie ihr Kind zur Adoption freigegeben hatte. Nach der Geburt hatte sie es nicht sehen dürfen. Gleich war es in einen Nebenraum gebracht worden. Nicht einmal die Frage aller Mütter, »Junge oder Mädchen«, hatte man ihr beantwortet. Ob es sich noch hier in der Klinik befand, sagte man ihr ebenso wenig. Sie hatte das Fragen aufgegeben. Kümmerte es sie überhaupt?

      Die Eltern hatten ihr eingeredet, mit der Geburt käme alles wieder in Ordnung. Sie hatten sie zur Adoption gedrängt, gleich als sie ihr Geheimnis vor ihnen gelüftet hatte. Für einen Schwangerschaftsabbruch war es da bereits zu spät gewesen. Sie hatte sich Zeit gelassen mit der unangenehmen Beichte. Ihre eigene Einstellung zum Kind war da noch ein trüber Tümpel aus Gedanken und diffusen Gefühlen gewesen. Trotzdem hatte sie bereits damals gespürt, dass daran etwas nicht richtig war. Ein Kind einfach weggeben? Was wäre aus ihr geworden, hätte sie die Mutter einfach weggegeben? Was hätte solch ein Schicksal mit ihr angestellt? Durfte man das, ein Kind weggeben?

      Die Mutter hatte sie zur Jugendhilfe begleitet. Die strenge Dame mit dem Knoten, zu der sie vorgelassen wurden, hatte sie über ihre Lesebrille hinweg wie Abschaum gemustert. Ihr war versichert worden, es gäbe viele Parteigetreue, die selbst keinen Nachwuchs bekommen konnten. Eine solche Familie würde man für ihr Kind aussuchen. Es sei das Beste, was man für den Wurm tun könne, so blutjung, wie seine Mutter noch sei. Unerfahren, noch gar nicht richtig im Leben angekommen. Das Kleine würde es bei den Adoptiveltern guthaben.

      »Darf ich mein Kind ab und zu besuchen?«, traute sie sich zu fragen.

      Sie wurde von der Matrone streng abgebügelt.

      »Es ist nicht an dir, Forderungen zu stellen. Schlimm genug, dass du dem Staat solche Umstände bereitest.«

      Es läge nicht im Interesse der Adoptiveltern und mit Sicherheit nicht im Interesse des Kindes, ohne klare Bezugsperson aufzuwachsen, führte sie aus. Unmittelbar nach der Geburt würde die Trennung vollzogen. Auf Dauer.

      Auf dem Heimweg von der Beratung hatten sie erste Gewissensbisse geplagt. Sie war schließlich die Mutter, nicht irgendeine linientreue Tussi. Womöglich so eine, wie diese Matrone. Igitt. So einer wollte sie ihr Kind nicht ausliefern.

      Ihre Mutter indes schien ganz zufrieden mit der aufgezeigten Lösung. »Ein sauberer Schnitt.« – so drückte sie sich später gegenüber dem Vater aus. Die beiden ahnten nicht, dass ihre Tochter das Gespräch an der angelehnten Wohnzimmertür belauschte. Angewidert zog sie sich zurück. Spielte sie denn hier überhaupt keine Rolle? Oder gar das Kind?

      Jetzt lag sie in diesem weißen Bett mit anderen Wöchnerinnen zusammen in einem Zimmer. Ihre Zimmergenossinnen besuchten ihre Kinder auf der Säuglingsstation. Die Gesichter der jungen Mütter strahlten, wenn sie von dort zurückkehrten. Ihr nach außen getragenes Glück klagte sie an. Es war falsch gewesen! Sie hätte auf keinen Fall einwilligen dürfen! Sie hätte sich zur Wehr setzen müssen!

      Vier Wochen nach der Geburt nahm sie ihr Training im Schießsportverein wieder auf. Sie traf sicher, besonders mit der Pistole. Verbissen arbeitete sie daran, den Trainingsrückstand durch die Schwangerschaft wieder aufzuholen. Dabei hätte sie auch während dieser Zeit weiterschießen können – hätten sie die Eltern gelassen. Aber die waren von Anfang an nur darauf bedacht gewesen, ihren »Fehltritt« – wieder so ein Wort des Vaters – vor der Welt zu verstecken.

      Sie verfolgte konsequent ihren großen Traum, die DDR bei den Olympischen Spielen zu vertreten. 1984 in Los Angeles. Das war noch sieben Jahre hin. Die neue Trainerin hatte ihr Hoffnungen darauf gemacht. Sie war gut, die Zweitbeste in ihrer Staffel. Ein wenig fehlte noch, dann stände sie auf Nummer eins.

      Ihre Familie genoss Vorteile durch ihr Talent. Kleine Vergünstigungen, die den Alltag erleichterten. So war das Regime. Hinterrücks, still und heimlich, wurden die Dinge geregelt, bis in den privaten Bereich hinein. Wer spurte, den lockte man mit hingeworfenen Brocken vom Tisch der Partei, wer sich versagte, bekam das zu spüren. Eine nette, große sozialistische Gemeinschaft. Ihre kritische Einstellung fand täglich neue Bestätigungen für diesen Eindruck.

      Ein Kind hätte dem allem im Wege gestanden. Es hätte ihr Zeit abgeknapst vom Training. Ihre Olympiateilnahme wäre in Gefahr geraten. Ihre Familie wäre auf Normalmaß zurückgefallen, auf den Lebensstandard vor der Entdeckung ihres Talents. Ihre Eltern, so schätzte sie, hätten schwer daran zu knapsen gehabt.

      Sie legte an und zielte. Ihre Hände hielten die Waffe ganz ruhig. Sie drückte ab. Der Knall erfüllte die Halle. Volltreffer. Ein anerkennender Blick von ihrer Trainerin. Stolz wallte in ihr auf. Sofort mischte sich Bitterkeit darunter, weil sie daran denken musste, wodurch sie sich diesen Blick erkauft hatte.

      Wo war ihr Kind?

      Ihre Schießleistung wurde immer besser. Längst war es ihr gelungen, die Nummer eins vom Thron zu stoßen.

      Robert mied ihre Nähe. Trotzdem war es unvermeidlich, dass sie sich im Verein über den Weg liefen. Verlegen lobte er ihre sportlichen Fortschritte. Dabei war alles Schmeicheln aus seiner Stimme verschwunden. Der sanfte Unterton, mit dem er sie damals rumbekommen hatte. Sie war sich sicher, dass er unter Beobachtung des Apparats geraten war. Einen neuen Fehltritt, wie mit ihr, durfte er sich wahrscheinlich nicht erlauben.

      Eines Tages, im Anschluss an ihre Trainingseinheit, kam Robert mit einem Mann zu ihr. In mittlerem Alter, recht formell gekleidet mit Hut und Mantel. Die beiden baten sie, mit ihnen zusammen in ein Hinterzimmer der Halle zu gehen. Ihr wurde mulmig zumute. Was wollten die beiden von ihr?

      Sie setzten sich an einem Tisch zusammen. Bald sah sie klar. Der Formelle war Mitarbeiter der Stasi. Man verdächtigte eine ihrer Kameradinnen, politisch gegen die Interessen der DDR zu agieren. Sie bereitete angeblich eine Demonstration vor. Subtil versuchte der Stasi-Mann, sie zum Aushorchen der Kameradin zu bewegen.

      »Es wäre dein Schaden nicht. Du willst doch sicher weiter gefördert werden. Man könnte mehr für dich tun, als dich hier in der Provinz in einer zweitrangigen Staffel trainieren zu lassen. Es gäbe da Möglichkeiten«, deutete der Mann einschmeichelnd an. Sie solle an Los Angeles denken, spann er sein Spinnennetz fort. Wenn sie bewiese, dass sie die Heimat vor konterrevolutionären Umtrieben schützte, würden ihre Chancen für die Reise ins Vorreiter-Land des Klassenfeindes steigen.

      Roberts Gesicht blieb während dieser Unterredung wie versteinert. Sie schaute oft zu ihm hinüber. Er machte ihr nichts vor. Sie saß hier, weil er damit etwas gegenüber dem Apparat gutmachen wollte. Wieder war sie sein Opfer. Diesmal nicht das seiner Triebe, sondern das seiner eigenen Verpflichtungen oder gar Verfehlungen gegenüber der Obrigkeit.

      In ihr kroch Wut auf Robert hoch. Seine Gleichgültigkeit ihrem gemeinsamen Kind gegenüber, hatte sie ihm zwar nie verziehen, aber es war ihr gelungen, sie tief in ihrem Inneren einzukapseln. Dass er sie angeblich nicht liebte, darüber war sie hinweg. Sie kannte die Teamkollegin, um die es hier ging, recht gut. Sie waren Freundinnen. Das wusste Robert genau. Es war für sie unvorstellbar, ihre Vertrautheit mit der jungen Frau zu missbrauchen. Für Robert nicht und für diesen


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