Lotte mischt mit. Klaus Heimann

Lotte mischt mit - Klaus Heimann


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erste Nacht im fremden Bett ist immer scheiße«, gab ich wahrheitsgemäß kund.

      »Hör nicht auf den. Kommt in die Jahre, mein Bester«, lachte Lotte.

      Dieser kleine Nadelstich war zu erwarten gewesen. Ich versuchte mich nicht zu ärgern und verbuchte die Bemerkung als Retourkutsche dafür, dass ich Lindemanns erlaubt hatte, meine Angetraute Lotte zu nennen.

      Frauke fuhr voraus. Sie lenkte ihr Fahrrad auf denselben Weg zum Bahnhof, den wir gestern genommen hatten. Es war im Prinzip ganz einfach, den Einstieg zum kleinen Abzweig zu finden, der an der Eisenbahnbrücke endete. Wir hatten Tomaten auf den Augen gehabt. Wahrscheinlich eine Folge der anstrengenden Anreise.

      Auf die Brücke hinauf führte eine Treppe. Zur Erleichterung des Fahrradtransports war an einer Seite eine Metallschiene angebracht. Wir fädelten unsere Drahtesel ein und schoben sie hinauf. Oben gab es parallel zur Eisenbahnlinie einen Übergang, etwa in Gehwegbreite. Auf der anderen Seite führte ebenfalls eine Treppe mit Metallschiene wieder hinab. Als wir unten waren, schwenkte Frauke auf einen unbefestigten, schmalen Weg nach rechts.

      Die ganze Zeit über ratschten die beiden Frauen miteinander – wie erwartet. Es wurde über Auswüchse der aktuellen Mode gelästert, sich über Ausflugsziele im Havelland ausgetauscht, über Passanten hergezogen. Es dauerte nicht lange, da hatte ich abgeschaltet. Ich genoss lieber die Ausblicke aufs Wasser und das sonnige Wetter. Sollte die Damenwelt ihrem Lieblingszeitvertreib nachgehen.

      Wir fuhren durch einen schmalen Grünstreifen, der von Büschen und Bäumen markiert wurde, und gelangten nach einigen hundert Metern an einen beschaulichen Strand. In der Nähe gab es einen Steg, an dem Boote vertäut lagen. Seitlich im Wasser ein Schilffeld, dahinter die Insel mit der Altstadt von Werder. Der Kirchturm grüßte über die in der Sonne glitzernde Havel hinweg.

      »Hier ist es aber schön«, brach Lotte in spontane Verzückung aus.

      »Da steht eine Bank. Sollen wir einen Moment bleiben?«, schlug Frauke vor.

      Es war wirklich idyllisch hier. Auch, wenn wir kaum Strecke gemacht hatten, willigten Lotte und ich in den Vorschlag ein.

      Wir nahmen auf der Bank Platz und blickten aufs Wasser. Ein Graureiher schwebte durch unsere Postkartenaussicht. Eine leichte Brise kräuselte die Havel. Sieht aus wie Cellulite - dachte ich. Zum Glück zähmte ich meine Zunge. Diese Assoziation teilte ich lieber nicht mit meinen Begleiterinnen!

      Lotte nahm meinen Arm und legte ihren Kopf auf meine Schulter. Ich streichelte einmal sanft über ihre Wange. Man kennt sich ja so lange.

      In diese Stimmung platzte plötzlich Frauke hinein: »Verflixt. Ich habe meine Herztablette vergessen. Ich muss zurück.«

      Lotte wurde wieder munter. »Das wird wohl nicht so schlimm sein.«

      »Hast du eine Ahnung! Mein Herz ist ziemlich im Eimer. Ich muss meine Tabletten nehmen. Seid Ihr mir böse? Ihr kennt ja jetzt den Weg über die Eisenbahnbrücke.« Richtig hektisch wurde Frauke.

      »Wenn du meinst«, erwiderte Lotte verschnupft. Sie hatte deutlich darauf gesetzt, wesentlich ausgiebiger zum Plaudern zu kommen. Das konnte ich ihr natürlich nicht bieten.

      Im Grunde war auch mir die Beschäftigung der beiden Frauen miteinander nicht ganz unlieb gewesen.

      »Sollen wir auf dich warten?«, schlug ich vor.

      »Nein, nein. Eine Dreiviertelstunde brauche ich bestimmt. Das ist nett von euch.«

      »Sehen wir uns denn heute Abend?«, hoffte meine Angetraute.

      »Ihr wisst ja, wo wir wohnen. Fragt einfach nach. Tschüss Ihr zwei. Schönen Tag Euch!«

      Frauke stieg auf ihr Fahrrad und verschwand in die Richtung, aus der wir gekommen waren.

      »Bis heute Abend«, rief ihr Lotte nach. Ihr Tonfall verriet Enttäuschung. »Die hat es aber verdammt eilig!«

      »Wenn sie doch ihre Tabletten nehmen muss«, beschwichtigte ich und zog die Fahrradkarte aus meiner Gepäcktasche. Wir studierten sie gemeinsam und stimmten kurz miteinander ab, wo es weitergehen sollte.

      Nun hielten wir es nicht mehr länger am Strand aus. Ein paar Kilometer sollten wir durchaus drauflegen. Wir bestiegen unsere Räder und fuhren weiter nach Wildpark West hinein.

      Kurz darauf durchradelten wir eine Wohngegend, die mit ihrem wohlsituierten Gepräge so ziemlich alles ausstach, was wir jemals auf dem platten Land gesehen hatten. Von nordischer Holzbauweise, in Falunrot angestrichen mit weißen Kanten, Fenstern und Türen, bis hin zu moderner, schicker, kantiger Architektur, reichte das Spektrum. Auf der Havelseite erstreckten sich riesige Gärten mit altem Baumbestand bis ans Ufer. Keine Gegend für den Geldbeutel von Otto-Normalverbraucher.

      »Sieh dir das an«, geriet Lotte ins Schwärmen. »So müsste unsereins wohnen!«

      Ich kehrte den Praktiker hervor. »Möchtest du solche Flächen putzen? Was meinst du, wie viel Raum die bewohnen. Dreimal, viermal so viel wie wir. Und obendrein der Garten.«

      »Lass mich doch mal träumen«, konterte Lotte.

      Als wir am Ende des Ortes angelangt waren und ich gerade Gas geben wollte, bremste mich meine Allerbeste aus. »Sigi, lass uns noch eine Runde drehen.«

      »Warum?« Ich verspürte wenig Lust, den gepflegten Luxus, der uns hier entgegenschlug, weiter anzugaffen.

      »Bitte!«

      Ich gab nach. Wenn Lotte es sich wünschte …

      Wir fuhren eine Schleife, die von der Havel wegführte. Für mich setzten sich die Eindrücke nur fort, für Lotte schien sich die Welt zu weiten.

      »Schau mal dort, den Eingang.« – »Ist das ein schönes Haus.« – »Die könnten mehr daraus machen.« – »So viel Kitsch auf einem Flecken. Tss, tss …«

      Geduldig fuhr ich im Schneckentempo hinter ihr her. Aber was war das? War das Hinterrad an Lottes Drahtesel etwa platt? Merkte sie in ihrem aufgedrehten Zustand denn gar nichts davon? Frauen!

      »Halt bitte mal an, Schatz!«

      Lotte betätigte den Rücktritt. Sie blieb mit den Zehenspitzen abgestützt auf dem Sattel sitzen. Ich stellte mein Gefährt am Wegrand ab und ging zu ihr. Skeptisch befühlte ich den luftleeren Reifen.

      »Völlig herunter.«

      »Pumpst du ihn mir auf?«

      »Das wird nichts. Aufgepumpt habe ich ihn erst zu Hause. Du hast einen richtigen Platten. Steig doch mal ab.«

      Lotte knurrte. Widerwillig hievte sie ihren Allerwertesten vom Sattel. Ich bat sie, ihr Fahrrad hinten anzuheben. Mit der Handfläche strich ich über die Lauffläche. Schon blieb mein Mittelfinger an etwas Hartem, Scharfen hängen. Ich sah genauer hin: Ein Schraubenkopf ragte aus der Reifendecke.

      »Da hast du dir was Schönes reingefahren. Der Schlauch ist hinüber, den muss ich flicken.«

      »Oh Gott. Hier?«

      »Natürlich hier. Weiterfahren kannst du damit auf keinen Fall.«

      »Hast du denn Werkzeug dabei?«

      »Klaro. Ein Mann ist auf so was vorbereitet.«

      »Püüh«, kommentierte Lotte meine Allzeit-bereit-Äußerung mit einem Laut, der mir deutlich zu verstehen gab, was sie davon hielt.

      »Bist du sicher, dass du das hinkriegst? Bei deinem Talent?«

      Mein Puls kletterte spontan um mindestens dreißig Zähler. Warum nahm ich wohl Werkzeug mit, wenn ich mir nicht zutraute, es einzusetzen?

      »Keine zehn Minuten, dann geht es weiter«, großkotzte ich.

      Meine Angetraute half mir dabei, das Fahrrad umzudrehen und auf Lenker und Sattel abzustellen. Sah komplizierter aus, als gedacht. Richtig: Mein Vater hatte es mir in meiner Kindheit an einem Fahrrad ohne Gangschaltung gezeigt.

      »Ich habe


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