Lotte mischt mit. Klaus Heimann

Lotte mischt mit - Klaus Heimann


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paar Flaschen Bier und der Schnaps im Kühlschrank verstaut waren - meine wichtigsten Handgriffe beim Einräumen der Besorgungen -, rief ich unsere Tochter per Handy an. Sie meldete sich in der für sie typischen Art, indem sie ihren Vornamen als Frage aussprach: »Lucy?«

      »Hallo Töchterlein. Papa hier. Wir sind da.«

      »Tag Paps. Super. Gefällt es euch in Werder?«

      »Ja, echt nett hier. War eine gute Empfehlung von dir …« Mein Vorrat an Gesprächsstoff war damit versiegt. »Warte, ich gebe dir Mama.«

      Ich gab das Handy an Lotte weiter. Sofort füllte sich unser Ferienquartier mit munterem Mutter-Geschnatter. Blumig schilderte Lotte, was wir auf unserem Inspektionsgang schon an Weltsehenswürdigkeiten entdeckt hatten, dann fügte sie den neuesten Tratsch aus der Heimat an. So ging das immer. Während meine Gespräche mit unserer Tochter eher einsilbig verliefen, kamen die Mädels aus dem Schwatzen gar nicht wieder heraus.

      »Wann treffen wir uns?«, kam Lotte nach einer guten halben Stunde anscheinend langsam zum Ende.

      »Aha. Also nicht morgen. Übermorgen am Bahnhof in Werder? Zehn Uhr? Na gut, elf. Prima, Lucy … Wir freuen uns auch. Richte ich Papa aus. Tschüss. Tschüüüsss. Ja, tschüüüüüsssss.«

      Lotte drückte das Gespräch weg und gab mir das Handy zurück.

      »Lucy kann erst übermorgen kommen. Sie hat noch zu tun an der Uni«, informierte sie mich.

      Ich sah auf meine Armbanduhr. »Sollen wir essen gehen?«

      »Ist mir noch zu früh, so kurz nach dem Aalbrötchen. Können wir nicht schon mal ausbaldowern, wo der Bahnhof liegt?«

      »Klar.«

      Eine Karte der Gegend hatte ich bereits zu Hause besorgt. Ich ging nicht gerne unvorbereitet auf Reisen.

      Ich breitete den Faltplan aus und fuhr mit dem Finger die Straßen nach. Es schien nicht kompliziert, den Bahnhof zu finden. Er lag jedoch etwas entfernt und es empfahl sich, das Fahrrad zu nehmen.

      Beim Blick auf die Karte überlegte ich, dass wir auf unseren Touren stets die Möglichkeiten im Auge behalten sollten, die Havel und etliche Seen zu überqueren. Es war in solchem Gelände wichtig, den Überblick zu behalten, um nicht irgendwo an einem Ufer zu stranden. In Nähe des Bahnhofs schien eine Brücke auf die gegenüberliegende Havelseite zu führen. Auf unserem Weg dorthin könnten wir gleich danach suchen.

      Unsere Fahrräder hatten wir von zu Hause mitgebracht. Die Vermieterin hatte uns bei unserer Ankunft zwei Stellplätze in einem Schuppen gezeigt, die wir benutzen durften. Ich hatte unsere Drahtesel vom Autodach gehievt und dort abgestellt.

      Wir verließen das Anwesen diesmal auf der Gartenseite und holten die Räder aus dem Schuppen. Wieder ging es herunter von der Insel, ein kurzes Stück durch wuseligen Kleinstadtverkehr, dann rechts in eine ruhigere Straße, neben der eine Fahrradspur auf dem breiten Bordstein angelegt war. Wenige Minuten später erreichten wir den Bahnhof. Das war wirklich nicht schwer gewesen. Den Einstieg zur Überquerung der Havel fanden wir dagegen nicht.

      »Vielleicht fragen wir jemanden?«, schlug Lotte entnervt vor.

      Orientierung in fremden Gefilden war keine Disziplin, bei der sie langen Atem aufbrachte.

      Passanten in Angelegenheiten zu bemühen, die derart offensichtlich der Karte zu entnehmen waren, ging jedoch entschieden gegen meine Hauptkommissars-Ehre.

      »Hat ja noch Zeit«, brummelte ich und ignorierte Lottes Vorschlag.

      Hungrig kehrten wir von unserer ersten Orientierungsfahrt zurück. Die Fahrräder wanderten wieder in den Schuppen und wir machten uns kurz frisch. Dann setzten wir uns, quer über den Marktplatz, zu einem kleinen Restaurant in Marsch, das wir, noch die Reste des Aalbrötchens aus den Zahnlücken leckend, vorhin schon für den gemütlichen Ausklang des Tages ausgeguckt hatten.

      Es war rappelvoll in der Bude. Alle Tische besetzt. Bei mir setzt so etwas Flucht-Reflexe frei.

      Ganz anders Lotte. Ihr ist es nie zu eng. Entschlossen schritt sie auf eine junge Frau zu, die hier kellnerte.

      »Entschuldigen Sie. Können Sie absehen, ob hier demnächst etwas frei wird?«

      Die junge Frau rollte die Augen. »Das kann dauern. Fragen Sie doch, ob Sie sich irgendwo dazusetzen dürfen.« Damit ließ uns die Bedienung ratlos im Lokal stehen.

      Wir ließen unsere Blicke durch den gemütlichen Raum schweifen.

      »Da hinten sitzen nur zwei an einem Sechsertisch«, rief Lotte und zeigte mit dem Finger in die Richtung. Schon setzte sie sich in Bewegung. Konnte ich anders, als ihr folgen?

      Am Tisch saß ein Pärchen, etwa in unserem Alter. Die Frau trug blondes oder blond gefärbtes – welcher Mann kann so etwas schon unterscheiden? – schulterlanges Haar. Den Kopf des Mannes zierte eine ausgeprägte Glatze, umfriedet von einem millimeterkurz geschorenen, silbernen Haarkranz.

      Meine Allerbeste blieb die treibende Kraft in Sachen Tischbeschaffung.

      »Guten Abend. Verzeihen Sie, sind diese beiden Plätze noch frei?«

      Die beiden Frauen verstanden sich auf Anhieb. »Ja. Bitte, setzen Sie sich doch.«

      Wir rutschten auf die gegenüberstehenden äußeren Stühle und ließen jeweils einen Platz zu unseren Nachbarn frei. Automatisch bildeten sich eine Männer- und eine Frauenseite.

      Die Bedienung brachte die Speisekarte. Ich bestellte ein großes Bier, Lotte einen Rotwein. Dann studierten wir die aufgelisteten Gerichte.

      Das Pärchen neben uns setzte sein Gespräch fort. Es ging um Pläne für den nächsten Tag. Sie schienen ebenfalls Fahrräder mitgebracht zu haben. Dann fiel das Stichwort, das uns aufhorchen ließ.

      »Im Juni werden wir dann endlich den Ruhrtal-Radweg in Angriff nehmen. Ist ja fast eine Schande. Wir wohnen nebenan und fahren immer nur das Stück zwischen Hattingen und Mülheim.«

      Lotte, die mir ohnehin mehr auf das Gespräch nebenan als auf die Speisekarte konzentriert gewesen schien, schnappte gleich nach dem Gesprächsfetzen. Kontakt schloss meine Angetraute schnell.

      »Entschuldigen Sie. Ich habe gerade mitbekommen, dass Sie in der Nähe der Ruhr wohnen. Darf ich fragen, woher Sie kommen?«

      »Natürlich«, antwortete die Blonde. »Aus Essen.«

      »Nein. Was für ein Zufall. Wir kommen auch aus Essen. Wir wohnen in Rüttenscheid. Vorhin haben wir ein Auto mit Essener Kennzeichen gesehen. Könnte das Ihres sein?«

      »Wir fahren einen roten Golf.«

      »Den Typ weiß ich nicht mehr. Rot war der Wagen. Siebert übrigens, unser Name.«

      »Wir sind die Lindemanns.«

      Während unsere Frauen Bekanntschaft schlossen, musterten wir Männer uns stumm. Auf den ersten Blick nicht unsympathisch, der Silberbekränzte.

      »Rutschen Sie doch näher heran. Wir müssen ja nicht über die Stühle hinweg miteinander plaudern«, schlug Frau Lindemann vor.

      Lotte folgte der Einladung spontan. »Gerne.«

      Notgedrungen tat ich es ihr nach. Das geht mir manchmal zu schnell mit ihr. Ich hatte mich eigentlich auf eine Woche Familie gefreut. Ohne neue Bekanntschaften.

      Lindemanns erhoben sich. Wir reichten uns alle vier gegenseitig die Hände. Dann setzten wir uns.

      »Wo wohnen Sie? Auch in Werder?«, trieb die Blonde die begonnene Plauderei weiter.

      »Wir haben eine Ferienwohnung gemietet, direkt am Markt. Hier gleich um die Ecke. Und Sie?«

      »Wir sind im benachbarten Hotel untergebracht. Wir sind vorgestern angekommen.«

      »Wir erst heute Mittag …«

      Wieder sahen wir Männer uns an. Wir ahnten, dass sich auf der gegenüberliegenden Tischseite soeben ein echtes Frauengespräch entspann. Da würden


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