Lotte mischt mit. Klaus Heimann

Lotte mischt mit - Klaus Heimann


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ich, wie am sinnvollsten vorzugehen wäre. Das dauerte meiner Göttergattin bereits zu lange.

      »Fängst du bald mal an?«

      Noch hatte ich mich im Griff. »Bitte lass mich in Ruhe arbeiten, Schatz, ja?«

      Nach drei Fehlversuchen fand ich endlich den passenden Maulschlüssel. Ich schraubte die beiden Hutmuttern am Hinterrad los und versuchte es aus den Fallenden herauszudrücken. Ging nicht. Ich ruckte etwas heftiger. Das Fahrrad begann zu schwanken. Immer noch nicht.

      Natürlich hatte das Auskundschaften der Sachlage bereits den größten Teil meines zu knapp geschätzten Zeitfensters aufgefressen. Meine Angetraute hielt mit ihrer Ungeduld nicht länger hinter dem Berg.

      »Wie lange muss ich noch hier stehen? Das Hinterrad ist ja nicht mal ausgebaut.«

      Das war zu viel. »Jetzt halt endlich die Klappe. Wie soll man arbeiten, wenn man andauernd kritisiert wird?«

      »Ich kritisiere nicht. Ich frage nur.«

      »Natürlich kritisierst du.«

      Geübt im Umgang mit Erregungszuständen ihres Mannes, verstummte Lotte, um das Zünden weiterer Stufen auf der ehelichen Eskalationsleiter zu vermeiden.

      Es gelang mir immer noch nicht, das Hinterrad aus seinen Fallenden zu befreien. In der durch weibliche Ungeduld aufgeheizten Stimmung brachte das mein Innerstes zum Kochen. Ich fluchte ungeniert und nicht zitierfähig.

      Meine Beste hatte endgültig genug von mir.

      »Wenn du jetzt anfängst zu fluchen, Sigi, dann gehe ich. In einer halben Stunde bin ich wieder zurück. Die wird dem Profi wohl reichen, um ein kleines Löchlein in einem Fahrradschlauch zuzupflastern.« Sprach’s und verschwand.

      Lottes Eigenmächtigkeit machte mich rasend. Ich ruckte und ruckte. Für meinen ungestümen Krafteinsatz erwies sich die Lagerung des Fahrrads auf Lenker und Sattel als zu instabil. Es stürzte um und schlug mir dabei schmerzhaft gegen das Schienbein. Ich schrie auf.

      Meine Holde war noch nicht weit genug entfernt, um das nicht mitzubekommen.

      Sie entrüstete sich aus der Ferne: »Du spinnst doch. Mach mein Rad nicht kaputt, du Grobmotoriker.«

      Dann setzte sie ihre Flucht fort. Mit dem geschulten Auge des Ehemanns erkannte ich an der Art, wie sie sich bewegte, dass sie mit Wut in allen vier Backen davonstürmte.

      Das schmerzhafte Malheur dämpfte meinen Zorn auf tote Gegenstände etwas. Missmutig rieb ich mir das Schienbein und richtete den Drahtesel wieder auf. Dann sah ich mir die Baustelle genauer an. Irgendetwas klemmte. Ich verfiel erneut ins Grübeln. Da ragte ein Hebel aus der Schaltnarbe heraus, der am Rahmen befestigt war. Ich erinnerte mich. Lottes Fahrrad besaß Rücktritt. Also losgeschraubt, das Ding.

      Ich unternahm den nächsten Versuch, das Hinterrad aus seiner Halterung zu befreien. Leider dosierte ich dabei den Krafteinsatz so wie bei den vorausgegangenen, vergeblichen Versuchen. Das völlig lockere Rad sauste aus den Fallenden heraus, die Antriebskette rasselte vom Zahnkranz der Schaltung herunter. Ich spürte einen kurzen Widerstand. Knack. Das dünne Drahtseil der Schaltung hatte meinem Rucken nachgegeben. Es war kurz vor seinem Ende abgerissen. Leider hatte ich vergessen, es vor dem Ausbau des Hinterrads zu lösen.

      Ich fluchte gottlästerlich. Das würde ein Spezialist in Ordnung bringen müssen. Hier war ich mit meinem Latein definitiv am Ende.

      Unter diesen Umständen machte das Flicken des Schlauchs keinen Sinn mehr. Ich ersparte mir weitere Versuche. Unter Aufbringung letzter Geduldreserven befestigte ich das Hinterrad wieder an Ort und Stelle. Dann setzte ich mich bedröppelt neben dem Fahrrad in den Straßenstaub. Ein Häufchen Elend.

      Was für eine Blamage Lotte gegenüber!

      Meiner Gattin beliebte es, länger als die angekündigte halbe Stunde auszubleiben. Nun war es an mir, ungeduldig zu werden. Endlich erspähte ich sie, die Straße entlang auf mich zuschlendernd. Ohne jede Eile. Ich blieb aus Protest einfach sitzen.

      Als Lotte endlich bei mir angekommen war, wich die Entspannung aus ihren Zügen.

      »Wie siehst du denn aus? Sogar im Gesicht hast du dich beferkelt. Warte, ich richte dich wieder her, damit ich mich mit dir in der Öffentlichkeit zeigen kann.«

      Meine Angetraute zupfte ein Papiertaschentuch aus ihrer Windjacke hervor, bespuckte es und wischte mir damit über die Stirn. Das hatte zuletzt meine Mutter getan. Genauso kam ich mir vor: Wie ein dreckiges Kind. Eine sinnfällige Geste für meine Schmach. Mein Mut war mittlerweile so weit in sich zusammengesunken, dass ich die Prozedur demütig und widerspruchslos über mich ergehen ließ.

      Endlich schien Lotte ein Ende mit ihrer Wischerei zu finden.

      »Können wir jetzt weiterfahren?«, fragte sie, während sie meine Schläfe abtupfte.

      »Nein«, gab ich kleinlaut zu. »Du wirst schieben müssen.«

      Unter normalen Umständen hätte ich jetzt etwas zu hören gekriegt. Ehe jedoch neues Gezeter über mein blamiertes Haupt ausgegossen wurde, rettete mich ein scharfer Knall. Dann sofort noch einer. Lotte zuckte derart zusammen, dass sie mit ihrem Taschentuch abrutschte und mir damit über Nase und Kinn fuhr.

      »Was war das denn?«

      Auch ich hatte mich erschreckt, wenn auch nicht so heftig wie meine Angetraute.

      »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen: Schüsse!« Irgendwie empfand ich ein wenig Dankbarkeit für denjenigen, der geschossen hatte.

      »Schüsse?« In Lottes Augen breitete sich Panik aus. »Habe ich dir noch gar nicht erzählt. Da vorne bei den Palästen direkt am Ufer ist so eine merkwürdige Gestalt herumgeschlichen. Ganz in schwarz gekleidet. Kapuze auf – bei dem Wetter! Die hat bei einer der dicksten Villen angeklingelt.«

      »Und? Hat jemand geöffnet?«

      »Ja. Ziemlich schnell sogar.«

      »Wurde die Gestalt reingelassen?«

      »Ohne Zögern.«

      »Dann ist ja alles in Butter.«

      »Mir war das jedenfalls unheimlich. Ich habe gemacht, dass ich fortkam. Und jetzt diese Schüsse …«

      Ich erhob mich aus dem Straßenstaub. Wir waren im Urlaub. Gingen mich potenzielle Schüsse etwas an?

      Es hatte nicht nach einem Gewehr geklungen. Ein Jäger war es nicht gewesen. Meine Schnüffler-Stirn legte sich in Falten – das spürte ich deutlich. Bei mir immer ein untrügliches Zeichen dafür, dass Verbrechen in der Luft liegen. Gräueltaten, die aufgeklärt werden wollen.

      Natürlich gingen Schüsse einen Sigi Siebert etwas an. Egal wo, egal in welcher Situation. Darauf war ich einfach gepolt.

      Ich gab Lotte ein Zeichen, mir zu folgen. »Komm, Lotte. Wir sehen nach, was da los ist.«

      »Meinst du?« So zaghaft hatte ihre Stimme vorhin beim Start meines Flickversuches nicht geklungen.

      Wir packten unsere Fahrräder bei den Lenkern und schoben sie neben uns her. Die Richtung, in der das Haus liegen musste, bei dem Lotte die schwarze Gestalt gesehen hatte, stimmte nach meiner Einschätzung mit der Richtung, aus der die Knallgeräusche gekommen waren, überein.

      Als wir die Straße »Am Ufer« erreichten, sahen wir schon, wie sich ein kleiner Menschenauflauf formierte.

      Wo kamen diese Figuren so plötzlich her? Vor einer Stunde hatte der Ort noch den Eindruck gemacht, als wäre er völlig verwaist.

      »Mein Gott. Die gehen genau zu dem Haus, wo dieses schwarze Ungetüm geklingelt hat. Sigi, das wird mir immer unheimlicher.«

      »Ich bin ja bei dir«, versuchte ich meine Beste zu beruhigen. In Momenten wie diesen gelingt mir das gelegentlich sogar.

      Wir erreichten die Villa, vor der sich drei Männer und fünf Frauen versammelt


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