Abenteuer des Glaubens. Hubert Ettl

Abenteuer des Glaubens - Hubert Ettl


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       Die Auseinandersetzung suchen

      Genügt hätte mir das alles nicht – still werden, staunen, persönliche, spirituelle Erfahrungen machen. Für mich war da etwas, das mir mindestens genauso wichtig war und ist, nämlich die geistige Auseinandersetzung mit Gott und der Welt. Kann es sein, dass neben der materiellen Wirklichkeit eine geistige Wirklichkeit existiert, eine geistige Welt, die wir Gott nennen? Und von welchem jenseitigen Geist reden die Religionen? Von welcher Gottesvorstellung lesen wir in der Bibel? Wie reden die heutigen christlichen Theologen von Gott? Fragen über Fragen.

      Das Denken, das Nachdenken, das Nachfragen geschieht für mich vor allem durch Lesen. Seit zwanzig Jahren ziehe ich meine lesenden Kreise um Welt, Mensch, Gott, Christentum, Kirche. Nicht enge Kreise, sondern weite: Plötzlich lande ich in der Physik und Psychologie, in den Neurowissenschaften oder immer wieder in der Geschichte. Bei dieser lesenden Erkundung der Welt tappt man leicht in eine Falle, wenn man nur das liest, was einem die eigene Meinung bestätigen soll.

      Manchmal treffe ich auch Menschen, bei denen man die Angst spürt: Ja nichts lesen, was den Zweifel schüren könnte. Man hat Angst um seine Weltanschauung. Schade, wenn eine solche Angst die offene Auseinandersetzung verhindert, denn gerade dieser Lese-Dialog vertieft den Glauben, gibt ihm ein Fundament. Zumindest ist das meine Erfahrung. Mich treibt da immer wieder eine große Neugier, ein Feuer, eine Leidenschaft.

      Gewiss wird dies nicht bei Jeder oder Jedem der Fall sein. Manche besuchen eher Vorträge. Bei meinen Lesungen in den letzten Jahren habe ich Menschen kennengelernt, die sich seit vielen Jahren wöchentlich zu Bibel- und Gesprächskreisen treffen. Für diese Menschen ist dies eine wichtiger Dialog auf ihrem spirituellen Weg. Die Form selbst ist nicht entscheidend, jeder hat da seine Vorlieben. Aber entscheidend scheint mir, dass ein Dialog, eine Auseinandersetzung über religiöse Fragen stattfindet.

      Die Erfahrungen, die jeder macht, brauchen den Austausch. Gefühle, Empfindungen, Wahrnehmungen, Gedanken können ja nicht als solche stehenbleiben. Wir interpretieren sie und fragen: Was bedeuten sie? Welchen Sinn haben sie? Glaube ich gar, es sei eine Erfahrung des Ganzen, des Einen? Natürlich besteht die Gefahr, dass man sich etwas zusammenreimt. Bescheidenheit ist hier eine gute Orientierungshilfe, und der andere große Wegweiser wäre die Vernunft. Zwei bedeutenden deutschen Theologen war es ein großes Anliegen, Glaube und Vernunft zusammenzubringen: Hans Küng und Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., haben beide gut fünfzig Jahre die christliche Theologie weltweit geprägt. Beide sind sich in diesem Anliegen der Verbindung von Glaube und Vernunft sehr verwandt, auch wenn sie oft miteinander in Streit gerieten.

      Joseph Ratzinger schreibt 1968 in „Einführung in das Christentum“, einem Buch, in dem er seine Vorlesungen an der Universität Tübingen aus dem Sommer 1967 zusammenfasst und das ein Jahr später schon als Bestseller in die 10. Auflage geht: Der Glaube solle „keine Häufung unverstehbarer Paradoxien“ sein. Und die Rede vom Geheimnis Gottes dürfe nicht als Ausflucht genommen werden, den Glauben verstehen zu wollen. Theologie sei als eine „verstehende“, „rationale“, „vernünftig-verstehende“ „Rede von Gott eine Uraufgabe christlichen Glaubens“. Gut 30 Jahre später sagt er im Interviewband „Gott und die Welt“ mit dem Journalisten Peter Seewald kurz und prägnant: „Insofern ist ein christlicher Glaube ohne Verstand kein richtiger christlicher Glaube.“1

      Zunächst erschien mir Ratzinger bei meiner Suche und Auseinandersetzung als der erzkonservative Kirchenmann, den ich rechts liegen ließ. Erst nach seinem Aufsehen erregenden Gespräch mit dem Philosophen Jürgen Habermas im Jahr 2004 war ich neugierig geworden auf ihn und lernte nun seine offene und große Theologie kennen. Dass er als Kardinal und Papst manches sagte und tat, wollte für mich freilich nicht zu seiner sonstigen theologischen Rede passen.

      Hans Küngs große Werke „Existiert Gott?“ und „Das Christentum“ hatte ich da schon gelesen und sie begleiteten mich auf meinem Weg zurück ins Christentum. Einen Leitfaden von Küngs Lebenswerk kann man wohl in der Frage zusammenfassen: Wie lässt sich mein Glaube vor der Vernunft verantworten? Dabei ist die Vernunft selbst nichts absolut Feststehendes, nichts sonnenklar Umrissenes, sie ist selbst immer wieder infrage gestellt. Ein vor der Vernunft verantwortbarer Glaube muss das, was er behauptet, immer wieder Argumenten und Erfahrungen aussetzen. Einem Dialog aussetzen, bei dem mit Worten gestritten und versucht wird, Worte und Begriffe zu klären. Der Dialog setzt sich der Kritik aus, er ist vernünftige Rede und Gegenrede. Und diesem Dialog, dieser Auseinandersetzung kann nicht, darf nicht durch dogmatisches, besserwisserisches Dazwischengehen und Entscheiden ein Ende gesetzt werden, schon gar nicht durch hierarchisch verstandene, autoritäre Machtausübung. Wahrheitssuche – und spirituelle Suche ist Wahrheitssuche – kann nicht dogmatisch von oben herab entschieden werden.

      Wer religiös sucht, wen die ersten und letzten Fragen interessieren, der wird immer wieder hineinlesen, hineinsteigen in die großen Geschichten der Menschheit, die von Gott, dem Ursprung der Welt und des Menschen erzählen, von den Jenseits- und Gotteserfahrungen in den verschiedenen Epochen und Kulturen. Der Mensch, der sich gerade als Geschichtenerzähler von den Tieren unterscheidet, hat in den letzten drei Jahrtausenden einen reichen Erzählschatz hinterlassen. Die große Erzähltradition ist aber immer auch eine Interpretationsgeschichte gewesen, eine Auseinandersetzung, wie diese Geschichten zu verstehen sind.

       Das Sinn-Tier als Ebenbild

      „Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Bild, uns ähnlich! Sie sollen walten über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über die ganze Erde und über alle Kriechtiere, die auf der Erde kriechen. Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn.“1 Welch ein Satz! Ein Satz, der Ungeheuerliches ausspricht. Eines seiner Geschöpfe ist ihm, dem großen Gott, dem Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit, dem absolut Vollkommenen, dem Heiligen ähnlich. Der Mensch, dieses besondere Tier, sei ein Bild von ihm. Kann man sich eine größere Aussage über uns Menschen vorstellen? Nein, im Grunde nicht.

      Menschen schreiben sie nieder vor gut zweieinhalbtausend Jahren, im ersten Buch der hebräischen Bibel, der Genesis. Die meisten Völker und Kulturen haben Mythenerzählungen über den Anfang der Welt, über den Anfang des Lebens auf der Erde, über die Anfänge der Menschheit. Selbstverständlich wissen wir heute, dass diese Erzählungen nicht wörtlich zu nehmen sind. Und selbstverständlich wissen wir, dass Gott Adam, den ersten Menschen, nicht aus Lehm oder einer Ackerkrume zusammengeknetet hat. Gottes Schöpfertätigkeit war und ist keine handwerkliche Bastelei.

      Die große Erkenntnis Charles Darwins, dass die Lebewesen voneinander abstammen, schließt den Menschen in diese Reihe als Tier mit ein. Es war lange und z.T. auch heute noch eine atheistische Kampfansage: Der Mensch stammt vom Affen ab! Nun gut, von den heutigen Affenarten, den Gorillas, Orang-Utans, Schimpansen nicht, aber der Mensch und diese Menschenaffen haben gemeinsame Vorfahren. Diese wissenschaftliche Erkenntnis nimmt dem Satz vom menschlich-göttlichen Ebenbild nichts weg. Sie führt ihn nicht ad absurdum, macht ihn nicht zum Unsinn. Wunderbar erscheint es mir im Gegenteil: Da liegt in der Einheit der Natur etwas eingebettet, eine Möglichkeit der Entwicklung, die ein Tier entstehen lässt, das Gott ähnlich sein soll.

      Wie kommen Menschen auf diese Idee vor gut zweitausend, vielleicht auch dreitausend Jahren, wenn man die Vorformen des Mythos, die Erzählungen, die vorausgingen, mit einbezieht? Die Menschen werden sich bewusst, dass und wie sie sich von den Tieren unterscheiden. Eine sehr, sehr lange Entwicklung haben die Menschen nach dem Tier-Mensch-Übergangsfeld schon hinter sich, vielleicht zwei, drei Millionen Jahre.

      Am Ende der Altsteinzeit vor 30 000 bis 20 000 Jahren bis zum Ende der Jungsteinzeit erfinden sie nicht nur eine Reihe von Werkzeugen und Geräten wie Messer, Klinge, Pfeil und Bogen, den Einbaum. Die Höhlenmalereien und Frauenfiguren wie die „Venus vom Hohen Fels“, gefunden in der Schwäbischen Alb, oder die „Venus von Willendorf“ in Österreich künden von der Religiosität der damaligen Menschen. In der Jungsteinzeit, beginnend 9 000 v. Chr., werden unsere Vorfahren sesshaft, leben von Ackerbau und Viehzucht, sind handwerklich


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