Abenteuer des Glaubens. Hubert Ettl

Abenteuer des Glaubens - Hubert Ettl


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Gottheiten verehrt werden. Am Ende der Kupfer- und Bronzezeit vor etwa fünftausend Jahren bilden sich die frühen Hochkulturen, wie wir sie kennen in Griechenland, Kleinasien, Mesopotamien, Palästina und Ägypten. Die gesellschaftliche Differenzierung ist weit fortgeschritten im Vergleich zu den Jägern und Sammlern der Anfänge. Die Sprachen blühen auf, es werden große Geschichten erzählt und nun schriftlich festgehalten. Soweit in ein paar Strichen die Entwicklung skizziert bis zu der Zeit, als man sich die Geschichte erzählt, Gott habe den Menschen als sein Ebenbild erschaffen.

      Jetzt, in diesen Hochkulturen, nimmt sich der Mensch als Erfinder und Gestalter wahr, als kreativen Schöpfer, herausgetreten aus der Natur. Er sieht sich nicht mehr allein von der Natur gezwungen zu seinem Tun, sein Dasein und Handeln ist offener, freier. Er ist sich seiner Gedanken bewusst, die zum Willen werden und in Handeln münden. Er ist sich seiner Existenz bewusst, und dies alles in Gemeinschaft, in Absprache und Austausch untereinander. Dieses Denken, Wollen und Handeln, diese Kommunikation mit anderen, dieses Erzählen von Geschichten, die in gemeinsamen Kulten und Riten ihren Ausdruck finden, lässt dies alles ihn auf die Idee kommen, er sei ein Ebenbild Gottes?

      Aber da ist noch etwas: Der Einzelne ist nicht nur Mitglied einer Gemeinschaft, sondern er wird sich in dieser Gemeinschaft als ein Besonderer gewahr, der einen Namen hat und mit seinem Namen gerufen wird. Er wird sich dessen bewusst, gerade im Zusammenleben mit Anderen. Wir wissen heute aus der Völkerkunde, der vergleichenden Psychologie und Soziologie, dass dieses Ich-Bewusstsein unterschiedlich stark in den verschiedenen Gesellschaften und Kulturen ausgeprägt ist. Unterschiedlich stark, aber der Einzelne erkennt sich als ein Ich, ein Ich gegenüber dem Du und dem Wir. Es ist das, was die Wissenschaften vom Menschen als Identität bezeichnen. Der Mensch wird sich seiner selbst bewusst, seines Person-Seins.

      So wird die Welt des besonderen Tieres Mensch eine ganz eigene Welt, eine Welt, die sich von denen der anderen Tiere fundamental unterscheidet. Die Welt des Menschen ist eine Sinn-Welt. Schöpferisch schafft er seine Welt durch Arbeit, ausgehend von seinem Denken. Er gestaltet seine Umwelt. Aber nicht nur zielgerichtet durch Arbeit und Technik, sondern auch spielerisch und künstlerisch – Musik, Tanz, Kult, Theater, große Erzählungen, Bauwerke, Statuen und Malereien –, nicht einfach nur Nützliches, nein, Schönes will er schaffen. Absicht und Bedeutung, die weit über den konkreten Gegenstand hinausgehen, legt dieses Sinn-Tier in sein Schaffen. Sein ganzes Weltbild fließt ein: wie es sich die Natur vorstellt und was es hinter der sichtbaren Welt vermutet – Naturgottheiten, Götter oder den großen, einzigen Gott. Wie der Mensch sich sieht in diesem Kosmos der sichtbaren und unsichtbaren Welt, mit seiner Gemeinschaft in diesem Ganzen, wie immer er sich das vorzustellen vermag in seiner Zeit und Kultur.

      Das Weltbild dieses Homo Sapiens, der von Affenartigen abstammt, ist aber zu allen Zeiten nicht nur eine Zustandsbeschreibung. Auch in der heutigen verwissenschaftlichten Welt nicht. Verwoben ist der Blick auf die Welt und die Mitmenschen immer mit einem Geflecht von Regeln, Geboten, von Werten und Normen, an die sich der Einzelne in der Gemeinschaft halten soll. Halten will. Es entsteht etwas in ihm, das wir Gewissen nennen, das ihm sagt, was gut und böse ist.

      Welchen Raum hat der Einzelne in dieser gemeinsamen Lebenswelt? Welche Freiheit, welche Achtung? Welche Chancen stehen ihm offen? Zum Leben gehört auch das Hoffen. Wollen und hoffen, dass das Leben besser wird. Hoffen, dass Krankheit, Unglück, Leid überwunden und geheilt werden. Zur Sinnwelt dieses besonderen Tieres gehört die Sehnsucht, das Träumen. Verbunden mit der Sehnsucht, dem Träumen und Hoffen ist das Suchen nach dem Sinn dieser Welt und seines Lebens, eine Suche nach dem, was hinter der sichtbaren Welt sein könnte, was kommen könnte nach dem Leben hier. Der Homo sapiens war immer ein Sinn-Sucher. Und damit auch ein Gott-Sucher, ein Sucher nach dem, dessen Ebenbild er nach unserer großen Geschichte der Genesis sein soll.

      Das Großartige dieser Idee, dieses Satzes, dass Gott den Menschen nach seinem Bilde schuf, vervollständigt sich, wenn einem klar wird, dass Gott diese Ebenbildlichkeit seit den ersten Anfängen dem Menschen ganz allgemein zuspricht. Nicht nur den Königen und Reichen, nicht nur den Priestern und Frommen. Nein, jedem. Es hat gut zweitausend Jahre gedauert, bis dieser religiöse Glaube zum Kernstück der politischen Verfassungen unserer Neuzeit wurde. Zweifellos ist die jüdische und christliche Rede vom Ebenbild eine der Grundlagen für die Rede von den Menschenrechten, deren Kern die Würde jedes Menschen ist. Jürgen Habermas, einer der großen Philosophen unserer Zeit, einer der Köpfe der gesellschaftskritischen Frankfurter Schule, ein säkularer Denker, der von sich sagt, dass er nicht religiös sei, er spricht bei der „Übersetzung der Gottesebenbildlichkeit des Menschen in die gleiche und unbedingt zu achtende Würde aller Menschen“ von einer „rettende(n) Übersetzung“ aus dem jüdischen und christlichen Glauben.

      Viele unserer Zeitgenossen, die noch immer auf das Absterben der Religionen in den modernen Gesellschaften warten und dies lieber heute als morgen sähen, möchten diese Wurzeln gern ausblenden, die Wurzeln der Menschenrechte abschneiden. Geschichtsvergessen ist dies. Sie treibt nicht die Sorge um wie den Philosophen und Wissenschaftler Habermas: Was wird sein, wenn dieses Erbe nicht mehr verstanden wird? Wenn die Bilder und Geschichten nicht mehr helfen, den Werten unserer Gesellschaft ein Fundament zu geben?

      Der wunderbaren Geschichte vom Ebenbild wird heute oft eine resignative Frage entgegen gehalten: Was muss das denn für ein Gott sein, wenn wir Menschen sein Ebenbild sind? Wir Menschen, die dem anderen nachstellen, ihn unterdrücken, ihn ausbeuten, ihn töten? Wir, die aus Gier und Hybris schreiende Ungerechtigkeiten schaffen, ermöglichen und zulassen? Wir, die unsere natürlichen Lebensgrundlagen mehr und mehr vernichten und unsere Mitgeschöpfe ausrotten? Es ist ein verzweifelter, oft zynischer Rückschluss auf den, dessen Ebenbild wir sein sollen. Nein, wenn der Mensch das Böse und Unzureichende tut, wenn er Wunden schlägt, wirft das kein schlechtes Licht auf Gott. Er hat sein Ebenbild als ein freies Wesen geschaffen, das neben Gutem auch Schlechtes tun kann. Der Mensch kann nur in Freiheit schöpferisch und kreativ tätig sein. Nur in Freiheit kann er lieben, den Sinn des Lebens und der Welt, sich selbst und Gott suchen. Das Böse ist das Risiko der Freiheit, das Risiko des freien Ebenbildes. Ein Risiko, das Gott mit seinem freien Sinn-Tier eingegangen ist und eingeht.

      Aber warum ist dieses besondere Tier Mensch zu dies allem fähig? Welche biologische Ausstattung, in der Evolution entstanden, ließ unsere Vorfahren vor knapp dreitausend Jahren vom Ebenbild Gottes reden? Heute sind die Erbanlagen, die Gene in den für ein Lebewesen typischen Chromosomen, den Zellkernschleifen, bei Pflanzen, Tieren und dem Menschen z.T. gut erforscht. Das menschliche Genom ist weitgehend entschlüsselt. Der Mensch hat mit den heute lebenden Orang-Utans gut 96 Prozent des Genmaterials gemeinsam, mit den Schimpansen sogar 99,4 Prozent. Aber warum hat die menschliche Geschichte einen so anderen Verlauf genommen als die der Schimpansen? Die genetischen Vergleiche bringen in der Frage wenig.

      Wenn man das Gehirn des Menschen mit dem der Tiere vergleicht, kommt man dem biologischen Unterschied schon näher: Menschen haben ein rund dreifach größeres Hirnvolumen als die nahe verwandten Menschenaffen. Zudem ist das Gehirn des Menschen durch angeborene Reiz-Reaktionsschemata weit weniger instinktbestimmt. Das macht den Menschen offener, sein Gehirn, sein Verhalten ist mehr formbar. Was ihm an angeborener Festgelegtheit abgeht, muss in einem langen Lernprozess ausgeglichen werden. Der „Nesthocker“, so der Zoologe Adolf Portmann, hat ein sehr langes Lernen vor sich, das ihn erst zu einer Person werden lässt. Er wächst hinein in die von Menschen gestaltete Welt, in seine Lebenswelt, in eine Sinnwelt, die sich ihm nach und nach erschließt.

      Ein zweites wichtiges biologisches Merkmal des Homo sapiens sei hier angesprochen, das beiträgt, ihn zu dem besonderen Tier zu machen. In einer langen evolutionären Entwicklungsgeschichte setzen sich diese Affen- und zugleich Menschenartigen durch, die aufrecht gehen können. Die besondere Beschaffenheit der Wirbelsäule und der Beine ermöglicht den aufrechten Gang. Der Daumen wird zudem länger und kräftiger, so dass die Vordergliedmaßen und Hände zu einem starken und zugleich sehr feingliedrigen Werkzeug werden. Die Hände werden zum ausgezeichneten Arbeitswerkzeug und durch dieses Begreifen der Dinge und ihre Wahrnehmung durch Tastsinn und Auge zum außerordentlichen Wahrnehmungsorgan. Das deutsche Wort „begreifen“ drückt dies bestens aus: Vom Greifen und Begreifen mit der Hand ausgehend wird es ein im Denken und in der Sprache Begriffenes. Der aufrechte Gang und die Beschaffenheit der Hände ermöglichen eine ungeahnte schöpferische Tätigkeit. Die Evolution


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