Projekt Unicorn. Gene Kim

Projekt Unicorn - Gene Kim


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wurden die Daten mehrerer Tausend Zeiterfassungskarten aufgrund eines technischen Fehlers korrumpiert, wovon hauptsächlich Mitarbeiter und Auftragnehmer in unseren Produktionsstätten und Einzelhandelsfilialen betroffen waren.

      Mein Ziel ist es, sicherzustellen, dass jeder so schnell wie möglich bezahlt wird. Jeder, dem zu wenig ausbezahlt wurde, sollte in den nächsten 24 Stunden einen Scheck erhalten.

      Als CEO ist es meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass wir unsere Verpflichtungen Ihnen gegenüber erfüllen, unseren Mitarbeitern, die tagtäglich dafür sorgen, dass unser Unternehmen reibungslos funktioniert. Ohne Sie wären wir nicht in der Lage, unsere Kunden zu bedienen, die sich darauf verlassen, dass wir ihre Autos in Schuss halten, auf die sie in ihrem Alltag angewiesen sind.

      Ich entschuldige mich bei Ihnen und allen mittelbar betroffenen Personen für die Probleme und Unannehmlichkeiten, die Ihnen dieser Fehler bei der Lohn- und Gehaltsabrechnung bereitet. Ich verpflichte mich Ihnen gegenüber, dass wir jegliche notwendige Hilfe leisten werden, auch bei etwaiger Kommunikation mit Inkassounternehmen, Banken usw.

      Am Ende dieser E-Mail finden Sie eine FAQ mit Antworten auf häufig gestellte Fragen, zusammengestellt von den Abteilungen HR und Business Operations. Falls Ihnen nicht schnell genug geholfen wird, schicken Sie mir bitte eine E-Mail, oder rufen Sie mich jederzeit unter meiner Büronummer an.

      In der Zwischenzeit ist es unsere oberste Priorität, die Gründe für dieses Abrechnungsproblem herauszufinden. Wir werden alles tun, um sicherzustellen, dass dies kein weiteres Mal geschieht.

      Steve Masters

      CEO, Parts Unlimited

      Von: Chris Allers (VP Dev, Parts Unlimited)

      An: Alle IT-Mitarbeiter

      Cc: Bill Palmer (VP IT Ops), Steve Masters (CEO), Dick Landry (CFO, Parts Unlimited)

      Datum: 3. September, 12:30

      Betreff: Abhilfemaßnahmen bez. des Gehaltszahlungsproblems

      An alle!

      Aufgrund der Schwere des Problems haben wir eine gründliche Ursachenanalyse durchgeführt. Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass es auf eine Kombination aus menschlichem Versagen und technischen Störungen zurückzuführen ist. Wir haben strikte Maßnahmen ergriffen, um sicherzustellen, dass sich dies nicht wiederholen wird. Die verantwortliche Person wurde auf eine Position versetzt, auf der sie die Produktivumgebung nicht mehr negativ beeinflussen kann.

      Falls Sie Fragen haben, schicken Sie mir bitte eine E-Mail.

      – Chris

       Elkhart Grove Herald Times

      Parts Unlimited vermasseln Gehaltszahlung, Gewerkschaftsleitung bezeichnet den Vorfall als »unzumutbar«

      Aus einem internen Memo der in Elkhart Grove beheimateten Firma geht hervor, dass es Probleme mit dem korrekten Erstellen der Gehaltsabrechnungen für manche ihrer auf Stundenbasis bezahlten Arbeiter gab, während einige andere Personen gar keine Zahlung erhielten. Parts Unlimited bestreitet, dass dies mit Liquiditätsproblemen zu tun habe, vielmehr handele es sich um einen einmaligen Fehler beim Gehaltsabrechnungslauf.

      Die früher äußerst erfolgreiche Firma mit aktuell rund vier Milliarden Dollar Umsatz musste in den letzten Quartalen mit sinkenden Einnahmen und steigenden Verlusten kämpfen. Diese Finanzprobleme, für die manche Beobachter die oberste Führungsebene verantwortlich machen, haben unter den Arbeitern im Ort bereits zu großen Ängsten um ihre Arbeitsplätze geführt und Sorgen geschürt, ihre Familien nicht mehr ernähren zu können.

      Laut Memo kann es unabhängig von der Ursache für den Fehler Tage oder Wochen dauern, bis die Mitarbeiter ihre korrekte Auszahlung erhalten.

      »Dies ist nur der jüngste in einer langen Reihe von Managementfehlern der letzten Jahre«, so Kelly Lawrence, Chief Industry Analyst bei Nestor Meyers.

      Der CFO von Parts Unlimited, Dick Landry, reagierte nicht auf Nachfragen der Herald Times zu den beschriebenen Problemen sowie zu Bilanzierungsfehlern und Zweifeln an den Führungsqualitäten der Unternehmensleitung.

      In einer Erklärung, die Parts Unlimited veröffentlichte, entschuldigte sich Landry für die »Panne« und gelobte, dass so etwas nicht wieder vorkommen werde. Die Herald Times wird über die weitere Entwicklung berichten.

TEIL EINS

      KAPITEL 1

      Mittwoch, 3. September

      »Du machst was?«, platzt es aus Maxine heraus, während sie ihn ungläubig anstaunt: Chris, Vice President of Research and Development bei Parts Unlimited.

      Chris, hinter seinem Schreibtisch, lächelt schwach. Jetzt merkt er, wie absurd er sich anhört, denkt Maxine.

      »Maxine, es tut mir wirklich leid. Ich weiß, es ist schrecklich, das direkt nach einem Urlaub zu erfahren, aber der Fehler beim Gehaltsabrechnungslauf hat einen echten Tornado verursacht. CEO und CFO wollten Köpfe rollen sehen. Wir haben uns tagelang damit herumgequält, aber ich glaube, dass wir jetzt eine ziemlich gute Lösung gefunden haben … und vor allem wird dabei niemand gefeuert.«

      Maxine schlägt mit der ausgedruckten E-Mail auf seinen Schreibtisch. »Du schreibst hier, dass der Ausfall durch menschliches Versagen und technische Störungen verursacht wurde. Und jetzt behauptest du, ich sei das ›menschliche Versagen‹? Nach all der Zeit, in der wir gemeinsam nach einer Lösung wegen des möglichen Compliance-Verstoßes gesucht haben, schiebst du jetzt alle Schuld auf mich? Was für ein unglaublicher Schwachsinn ist das denn?« Sie starrt ihn wütend an.

      »Ich weiß, ich weiß … Es ist nicht richtig«, sagt Chris und windet sich unter Maxines intensivem Blick. »Jeder hier schätzt deine unglaublichen Fähigkeiten und Talente und deine fantastischen Beiträge für das Unternehmen in den letzten acht Jahren – niemand glaubt wirklich, dass du schuld bist. Aber das Abrechnungsproblem stand auf allen Titelseiten! Dick musste ein Statement abgeben, um zu verhindern, dass die Gewerkschaften eine Beschwerde einreichen! Wenn man das alles berücksichtigt, haben wir, wie ich finde, die beste Lösung in einer ziemlich schlimmen Situation gefunden.«

      »Du schiebst die Schuld also einfach auf eine Person, die gerade in Urlaub ist und sich nicht wehren kann?«, entgegnet Maxine angewidert. »Das ist wirklich bewundernswert, Chris. In welchem Mitarbeiterführungsseminar hast du das denn gelernt?«

      »Komm schon, Max, du weißt, ich bin dein größter Fan und größter Verteidiger. Tatsächlich solltest du das als dickes Kompliment nehmen – du hast mit die beste Reputation in der ganzen IT-Abteilung«, verteidigt sich Chris.

      Jemandem für den Ausfall der Gehaltszahlungen die Schuld zu geben, ist eine seltsame Art und Weise, seine Wertschätzung zu zeigen, denkt sie.

      Er fährt fort: »Jeder weiß, dass das nicht wirklich deine Schuld war. Betrachte es einfach als Erholungsaufenthalt – du kannst dir selbst aussuchen, woran du arbeiten willst, und du wirst keine besonderen Verantwortlichkeiten haben, solange du dir keine suchst.«

      Maxine will gerade antworten, als ihr bewusst wird, was sie da gerade gehört hat. »Warte mal, Chris, was genau soll ich als Erholungsaufenthalt betrachten?«

      »Äh …« Chris stottert, sackt unter ihrem Blick etwas in sich zusammen. Maxine lässt ihn zappeln. Als Frau in einem nach wie vor weitgehend männlich dominierten Beruf weiß sie, dass ihre Direktheit Chris unangenehm ist, aber auch, dass sie mit nichts hinterm Berg halten wird.

      »… ich habe Steve und Dick versprochen, dir eine Position zu geben, in der du keine Änderungen an der Produktivumgebung mehr vornehmen kannst«, rechtfertigt sich Chris und rutscht unruhig hin und her. »Also, äh, ab sofort wechselst du vom ERP-System unserer Fertigungsstandorte zur Dokumentation des Phoenix-Projekts, um dort auszuhelfen


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