Ideas, Concerns and Expectations (ICE) in der Arzt-Patienten-Kommunikation. Sascha Bechmann
haben patientenseitige Vorstellungen, Ängste oder Erwartungen auf den Behandlungsprozess? Solche Fragen sind wenig bis gar nicht systematisch erforscht. Dabei sind Antworten darauf dringend notwendig. Denn: Wenn Ärzte nicht wissen, was sie hören sollen, dann ist es auch nicht sinnvoll ihnen zu vorzuschreiben, dass sie zuhören müssen.
Diesem Thema widmet sich dieses Buch auf der Folie unterschiedlicher Überlegungen und methodischer Zugriffe, die den Patienten und dessen subjektive Theorien in den Blick nehmen. Neben der Vorstellung und Besprechung des in Deutschland noch weitgehend unbekannten ICE-Modells auf der Grundlage allgemeiner und spezieller Überlegungen zum ärztlichen Gespräch haben auch weitere Gedanken und Analysen zur patientenseitigen Beteiligung im Kommunikationsprozess Eingang gefunden. Ich selbst verstehe die damit vorliegenden Untersuchungen als einen kaleidoskopischen Blick auf eine Dimension ärztlicher Gespräche ohne jeden Anspruch an Vollständigkeit oder an methodische Stringenz, wie sie für linguistische Studien ansonsten geboten ist. Durch die Fokussierung auf einen Gegenstandsbereich, der in vielfältiger Weise benachbarte und (auf den ersten Blick weiter entfernte) Disziplinen berührt, tritt die eigene Disziplin (im doppelten Wortsinn) hinter das allgemeine Erkenntnisinteresse zurück. Mein Ziel ist es, dass Leserinnen und Leser möglichst vieler Fachrichtungen dieses Buch mit Gewinn lesen können. Dazu war es nötig, an Stellen zu simplifizieren und zu kürzen, an denen unter methodischen und fachwissenschaftlichen Gesichtspunkten in einer linguistischen Arbeit nicht vereinfacht oder verkürzt werden darf. Dass ich es dennoch getan habe, öffnet den Gegenstand für einen größeren Interessentenkreis. Gerade Themen, die von praktischem Nutzen und hohem Wert weit außerhalb der eigenen wissenschaftlichen Disziplin sein können, dürfen m.E. nicht durch die fachwissenschaftliche Brille in einer Weise verzerrt werden, dass Erkenntnisse für Fachfremde an Kontur und damit an Zweckdienlichkeit verlieren.
Entstanden ist diese Überblicksarbeit im Kontext mehrerer Seminare zur Medizinischen Kommunikation an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf in den Jahren 2015 bis 2019. Auch Ergebnisse studentischer Arbeiten sind in dieses Manuskript eingeflossen. Teile der hier vorliegenden kondensierten Zusammenstellung gesundheits-, kommunikationswissenschaftlicher und linguistischer Betrachtungen hat der Verfasser im Jahr 2018 an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg als Postgraduierten-Masterthesis im Studiengang Gesundheitsmanagement eingereicht.
Dieses Buch richtet sich aufgrund seiner Vielschichtigkeit an Studierende und Lehrende aller Fachbereiche, die mit dem Themenfeld Kommunikation im medizinischen Kontext befasst sind sowie an Ärztinnen und Ärzte, die hierüber ein tieferes Verständnis für patientenseitige Vorstellungen, Ängste und Erwartungen gewinnen möchten. Die Leserinnen und Leser möchte ich darum bitten, durchaus kritisch mit den hier skizzierten Überlegungen ins Gericht zu gehen und den Diskurs auf diese Weise zu befeuern. Im Idealfall regt dieses Buch zu weiterer Forschung an, die sich von der bisherigen Fokussierung auf die Arztperspektive löst. Nur auf diese Weise kann es gelingen, das Themenfeld Arzt-und-Patient-Kommunikation auch künftig auf ein breites wissenschaftliches Fundament zu stellen.
Der Beitrag, den ich mit diesem Buch zur besseren Sichtbarkeit der Patientenperspektive leisten möchte, mag gültig sein. Die Beurteilung seiner Gültigkeit in der medizinischen Praxis steht mir als Fachfremdem nicht zu. Jedenfalls aber ist er nicht endgültig. Das Themengebiet Arzt-Patient-Kommunikation ist noch nicht hinreichend kartographiert. Ich hoffe aber, dass dieser Beitrag besonders dort Beachtung findet, wo er unmittelbar eine Wirkung entfalten kann: bei – im wörtlichen Sinne – gesprächsbereiten Medizinerinnen und Medizinern ebenso wie bei Kolleginnen und Kollegen aus der Zunft der Linguisten, die ihren Blick für Interdisziplinäres weiten mögen. In beide Richtungen wende ich mich vor allem an die Jungen: Den eigenen, ganz persönlichen Horizont genauso zu öffnen wie den fachwissenschaftlichen Rahmen, gehört zu den Pflichten all derer, die direkt oder indirekt an der Versorgung von Menschen teilhaben. Wenn es die Linguistik im Schulterschluss mit der Medizin schaffen kann, die menschlichen Bedürfnisse den medizinischen Möglichkeiten gewissermaßen auf Augenhöhe gegenüberzustellen, gewinnen die Fachwissenschaften weiter an Bedeutung – als unverzichtbare Steuerungsinstanzen innerhalb einer auf Autonomie und Diskurs basierenden Gesellschaft.
Selbstverständlich sind neben der Autorin oder dem Autor immer auch zahlreiche andere Menschen am Werden und Gelingen eines Buches beteiligt. Auch dieses Buch wäre Idee geblieben, wenn nicht andere seinen Wert und Nutzen erkannt und mich nach Kräften unterstützt hätte. Ihnen möchte ich an dieser Stelle meinen Dank aussprechen.
Als Linguist mit starker Hinwendung zu anwendungsbezogenen, interdisziplinären Fragestellungen und Forschungsinteressen bin ich dankbar dafür, dass ich an der Heinrich-Heine-Universität den nötigen Raum und den organisatorischen Rahmen finde, Projekte wie dieses Buch umsetzten zu können. Ich danke Herrn Univ.-Prof. i.R. Dr. Dietrich Busse und seinem Nachfolger Herrn Univ.-Prof. Dr. Alexander Ziem (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf) für die Freiheit, das Forschungsfeld Medizinische Kommunikation am Lehrstuhl für Germanistische Sprachwissenschaft in Düsseldorf selbstständig bestellen zu können. Dass die Düsseldorfer Germanistische Sprachwissenschaft mittlerweile das Thema Medizinische Kommunikation als Forschungsschwerpunkt etabliert und über die Stadtgrenzen hinaus bekannt gemacht hat, ist insbesondere ihrer Offenheit und ihrem Interesse für dieses spannende und zukunftsfähige Forschungsgebiet zu verdanken.
Herrn Univ.-Prof. Dr. Oliver Schöffski (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg) danke ich für die Anregung zu diesem Thema im Rahmen meines eigenen Postgraduierten-Masterstudiums. Frau Dr. Anke Peters (Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn) gilt mein Dank für das gewissenhafte Lektorat und meiner (leider ehemaligen) Mitarbeiterin Frau Julia Riedel danke ich für sorgfältige Recherchen, die ich selbst zeitlich nicht hätte leisten können. Den Herausgebern der Reihe Kommunizieren im Beruf. Fachwissenschaftliche und fachdidaktische Perspektiven, Frau Prof. Dr. Kirsten Schindler, Herrn Prof. Dr. Christian Efing und Herrn Prof. Dr. Thorsten Roelcke, danke ich für die Aufnahme dieses Buches in ihre Schriftenreihe. Zugleich gilt mein Dank Herrn Bub vom Narr-Verlag für die professionelle Unterstützung – nicht nur bei diesem Projekt, sondern auch in der Vergangenheit. Dem Narr-Verlag bin ich als Autor eng verbunden.
Fachliche, ideelle und organisatorische Unterstützung allein reicht noch nicht aus, um aus einer Idee ein fertiges Buch werden zu lassen. Ohne die äußerst großzügige finanzielle Unterstützung durch die Anton-Betz-Stiftung der Rheinischen Post hätte dieses Buch nicht entstehen können. Daher möchte ich mich insbesondere bei Frau Dr. Esther Betz, der Ehrensenatorin der Heinrich-Heine-Universität, bedanken, die als Fürsprecherin sprachwissenschaftlicher Projekte im Speziellen und geisteswissenschaftlicher Forschung im Allgemeinen bereits eines meiner früheren Buchprojekte zur Medizinischen Kommunikation interessiert begleitet und unterstützt hat.
Danken möchte ich nicht zuletzt auch den Studierenden in meinen Bachelor- und Masterforschungsseminaren, deren Fragen, Diskussionen und frische Gedanken den Prozess des Schreibens äußerst positiv beeinflusst haben. Besonders freue ich mich darauf, auf der Grundlage dieses Buches auch in Zukunft intensiv mit Euch und Ihnen diskutieren zu können.
Düsseldorf, im Frühjahr 2020 Sascha Bechmann
1 Einleitung – das Jahrhundert des Patienten
Jetzt brauchen wir eine dritte Revolution des Gesundheitswesens. […] Sie sollte das 21. Jahrhundert in ein Jahrhundert des Patienten verwandeln […]. Staatsbürger haben das Recht, die grundlegenden Tatsachen zu kennen, und […] Entscheidungen über ihre Gesundheit auf der Grundlage der besten verfügbaren Evidenz zu treffen. […] Das Jahrhundert des Patienten wird mehr Möglichkeiten umfassen, den Patienten aus einem Problem in eine Problemlösung zu verwandeln.1
Wenn Gigerenzer und Gray das 21. Jahrhundert wie selbstverständlich zum „Jahrhundert des Patienten“ erklären, stellen sich zwei Fragen. Erstens: Warum rückt der Patient neuerdings ins Zentrum der Betrachtung und verdrängt oder ergänzt zumindest die bislang geltende Vorstellung von der dominierenden Rolle des Arztes in nahezu allen, also auch in kommunikativen Aspekten? Und zweitens: Mit welchen Argumenten wird eine solche Verschiebung von historisch gewachsenen und sozial gelernten Rollen begründet? Mit anderen Worten: Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse liegen der Aufwertung der Patientenrolle