Ideas, Concerns and Expectations (ICE) in der Arzt-Patienten-Kommunikation. Sascha Bechmann

Ideas, Concerns and Expectations (ICE) in der Arzt-Patienten-Kommunikation - Sascha Bechmann


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liegen zahlreiche Untersuchungen vor, die insbesondere auf den hohen Stellenwert der Berücksichtigung von Emotionen hinweisen und die belegen, dass Emotionen einen wichtigen Aspekt medizinischer Kommunikation insgesamt bilden.15 Diese Erkenntnisse scheinen sich bei den Ärzten selbst noch nicht ausreichend herumgesprochen zu haben. Zugleich weist Lindemann nämlich noch im Jahr 2015 darauf hin, dass Emotionen im Gespräch häufig nur als Randbemerkungen thematisiert, häufig nur implizit angedeutet und bisweilen sogar explizit als nicht relevant bezeichnet werden:16 „Emotionen zeichnen sich bei genauem Hinsehen vor allem durch ihren nur angedeuteten Charakter, ihre Verneinung oder ihre offensichtliche Problematik für den Gesprächsverlauf aus“17. Hier kommt es künftig (stärker als bisher) bei der Entwicklung von Kommunikationscurricula für die Lehre darauf an, diese emotive Dimension in Modelle ärztlicher Gesprächsführung zu integrieren und fest zu verankern.18

      Modelle wie das ICE-Modell, das als patientenorientiertes Modell in der Arzt-Patient-Kommunikation vor allem die Erlebensdimension in das traditionell eher sachorientierte Problemlösungsgespräch integrieren will, helfen dabei, der somatischen Fragmentierung der Patienten entgegenzuwirken.

      Dass hierbei besonders die Dimension der Ängste und Befürchtungen (concerns) stärker in den Blick genommen werden muss, liegt in der (untrennbaren) Einheit aus somatischen Phänomenen und psychischen Prozessen begründet, die eine Integration beider Dimensionen in das Gespräch fordert.

      Zugleich ist es hilfreich, Gefühle zu prozessieren, bevor sie aufgetreten sind, diese also im Gesprächsverlauf zu antizipieren, wodurch sich Ängste kommunikativ beeinflussen bzw. regulieren lassen: „Eine […] Form des Umgangs mit Erleben und Emotionen besteht in der Prozessierung von Gefühlen, bevor sie aufgetreten sind: der Erlebnisprävention durch den Arzt“19. Diese Form von Gefühlsarbeit basiert auf der Kenntnis der Komponente concerns des ICE-Modells, was diesem Element eine zentrale Rolle im Interaktionsprozess zuweist.

      Verglichen mit den beiden anderen Elementen ideas und expectations werden concerns seltener im Gespräch aktualisiert (sowohl von Patienten als auch von Ärzten), was in der traditionellen Sachorientierung dieser Gesprächsform sowie der Rollenasymmetrie zwischen Ärzten und Patienten begründet sein dürfte. Denn: Auch Patienten besitzen eine sehr genaue (gelernte) Vorstellung davon, welche Inhalte im Arzt-Patient-Gespräch üblich und relevant sind und vermeiden häufig die aktive Bezugnahme auf ihre Erlebnissituation. Lalouschek bezeichnet diesen Umstand als ,doppelte Fragmentierung‘20, weil Patienten zum einen die aus ihrer Sicht medizinisch relevanten Informationen aus ihrem komplexen Lebenszusammenhang herauslösen müssen, um diese Informationen sprachlich einzubringen, und weil sie zum anderen die Erlebnissituation, die sie für irrelevant halten, ausblenden müssen. Diese traditionelle Rollenvorstellung, die viele Patienten haben, führt dann zu einem Fragmentierungsproblem (somatische Fragmentierung), wenn Ärzte als die Gesprächsverantwortlichen nicht genau dies zu vermeiden wissen. Die Exploration der emotiven Komponente des ICE-Modells ist im Sinne der ganzheitlichen Betrachtung des Patienten als Menschen zwingend erforderlich.

      1.2.3 Expectations

      Für das patientenzentrierte Modell des CDM (dt. PEF) spielen auch Erwartungen (expectations) eine wichtige Rolle, weil Arzt und Patient auf der Folie gemeinsamen Wissens mögliche Behandlungsoptionen besprechen und gemeinsam Ziele festlegen sollen. Die Kenntnis der Vorstellungen des Patienten sind für die Planung des weiteren Vorgehens (i.d.R. zum Abschluss der Gesprächssituation) entscheidend. Wenn Patienten möglichst umfassend in den Behandlungsprozess involviert werden sollen, müssen Ärzte auch in Erfahrung bringen, welche Erwartungen (Präferenzen) patientenseitig vorhanden sind.

      Konkret werden Patientenerwartungen im ICE-Modell aufgefasst als „the expressed or reported expectations about treatment, a diagnosis, or a certificate“1.

      Matthys et al. beziehen mit dieser Definition den Aspekt der Erwartung nicht nur auf das Behandlungsergebnis (treatment), sondern auch auf die Diagnose und die institutionellen Rahmenbedingungen. Hier stellt sich jedoch die Frage, ob die so weit gefasste Dimension expectations trennscharf von den beiden anderen Dimensionen unterschieden werden kann. Vorstellungen möglicher Diagnosen (ideas) sind m.E. per se geknüpft an die Erwartung der Diagnoseerhebung (expectations) als medizinische Leistung sowie an Befürchtungen (concerns), was das Ergebnis einer Diagnose betrifft (positiver vs. negativer Befund):

      Was Patienten über Diagnosen und Behandlungen wissen (ideas; z.B. Identität, Machbarkeit und (Behandlungs-)Verfahren), ist untrennbar verwoben mit ihren Erwartungen (expectations) zu Diagnosen und Behandlungen und wirkt sich auf der emotiven Ebene unmittelbar auf ihre Ängste (concerns) aus. Dieses Wissen ist z. T. erfahrungsbasiert.

      Das ICE-Modell, das diese drei Dimensionen ins Zentrum patientenorientierter Gesprächsführung stellt (indem nach diesen Dimensionen zu fragen ist)2, ist also nur holistisch zu verstehen. Damit stellt sich das Modell zunächst als ein kognitiver und emotiver Bezugsrahmen für das Arzt-Patient-Gespräch dar, dem allerdings in Deutschland – auch in der Forschung und der konkreten Umsetzung in der Lehre – bislang der Bezug zu interaktionalen Techniken und die Phasenorientierung (wann frage ich was und wie?) fehlt.

      In Kapitel 4 soll dieses Desiderat in der Betrachtung der Calgary Cambridge Guides ein Stück weit aufgelöst werden.3 In Kapitel 3 wird zuvor ein systematischer Überblick über die Entwicklung des ICE-Modells und über Evidenzen zu dessen Wirksamkeit in der Arzt-Patient-Kommunikation gegeben, der den internationalen Forschungsstand kondensiert abbildet.4 Außerdem zeigen kognitionslinguistische Überlegungen, dass es sich beim ICE-Modell um das Abbild komplexer kognitiver Vorgänge handelt, die für die Organisation von Gesprächen maßgeblich sind.

      Im nächsten Kapitel soll zunächst das große Ganze, also der kommunikative Rahmen für die Entfaltung des Modells, in den Blick genommen werden. Der Blick wird dabei vom Allgemeinen (Kommunikation) zum Speziellen (Arzt-Patient-Gespräche) geführt. Es wird sich zeigen, dass Arzt-Patient-Gespräche in besonderer Weise geordnet sind und mentalen Skripten folgen, die bislang die soeben skizzierten Dimensionen ideas, concerns und expectations noch kaum involvieren.

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