Schauplatzwunden. Ludwig Laher

Schauplatzwunden - Ludwig Laher


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einer Arbeit verweigern, obwohl sie körperlich dazu geeignet sind. Sie müssen aber alle das 18. Lebensjahr erreicht haben. Nur Fälle krimineller Natur können hieramts nicht behandelt werden. Ich bitte aber zur Kenntnis zu nehmen, daß im Erziehungslager schwere körperliche Arbeit geleistet werden muß. Die bekannten Speckjäger, also ausgesprochene gewohnheitsmäßige Bettler, sind unerwünscht, weil diese zu einer Arbeit nicht taugen.«

      Gauleiter August Eigruber hat es sich in den Kopf gesetzt, dem in raschem Aufbau begriffenen, quasi exterritorialen KZ-Imperium Heinrich Himmlers eine regionale Infrastruktur zur Seite zu stellen, die in bescheidenerem Rahmen, aber ähnlich brutal, für Angst und Schrecken unter der Bevölkerung sorgen soll und lokale NS-Funktionäre in die Lage versetzt, unliebsame Zeitgenossen bequem loszuwerden. Nicht die elitäre SS, sondern die etwas ins Abseits geratene, bodenständigere SA hat in Weyer-Sankt Pantaleon das unumschränkte Sagen.

      Bald schon werden Dutzende KZ-Außenlager von Mauthausen überall im Land wie Pilze aus dem Boden schießen, momentan ist davon aber erst ein einziges, Gusen, in Betrieb. Weyer-Sankt Pantaleon gehört also zu den frühesten Terrorstätten im Heimatgau des Führers.

      Derweil zieht die Deutsche Reichsbahn im Fall Alois Auleitner die erwarteten dienstrechtlichen Konsequenzen. Auch sein UK-Status wird widerrufen, er ist also nicht länger unabkömmlich. Das heißt im Klartext: Bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit wird er zur Strafe für sein Verhalten in den Krieg geschickt werden.

      Bürgermeister Rudolf Pospischek aber schwebt anderes vor. Dieses disziplinlose Früchtchen, womöglich gar ein gemeiner bolschewistischer Saboteur wie viele unter den Eisenbahnern, will er auf keinen Fall so billig davonkommen lassen. Schriftlich drückt das Stadtoberhaupt gegenüber dem Vorstand des Reichsbahnhofes Ried seine feste Überzeugung aus, der Arbeitsplatzflüchtling Alois Auleitner sei nicht würdig, den Ehrenrock eines deutschen Soldaten zu tragen. Er halte es, lässt er verlauten, unter diesen Umständen für dringend geboten, Auleitner umgehend in das Arbeitserziehungslager Weyer-Sankt Pantaleon einzuweisen. Postwendend setzt Pospischek die dafür erforderlichen Schritte. Erwartungsgemäß hat er Erfolg.

      Sicherlich macht sich Alois Auleitner bei seiner Festnahme nicht im entferntesten einen Begriff davon, was ihn jetzt als drakonische Vergeltung für sein Vergehen erwartet, nämlich ausbeuterische Zwangsarbeit im Freien von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, zu jeder Jahreszeit, bei jedem Wetter, sechs Tage die Woche. Miserabel ausgerüstet, mit gewöhnlichen Holzpantoffeln und viel zu leichter Bekleidung selbst bei Eis und Schnee, sind die Internierten angehalten, die brachliegenden Flächen des Waidmooses und des Ibmer Moores zu entsumpfen, an deren Stelle zweihundertfünfzig neue Bauernhöfe entstehen sollen. Das schnell wachsende Herrenvolk muss satt werden.

      Zunächst geht es darum, die Moosach zu regulieren. Sie bildet hier eine natürliche Grenze zwischen Salzburg und Oberdonau und entwässert die ausgedehnte Hochmoorlandschaft. Statt der vielen Mäander ist ein schnurgerader Flusslauf vorgesehen, bis zu sieben Meter unter der Geländekante und ausgekleidet mit Mauthausener Granit. Ursprünglich hat schon der verblichene Ständestaat dieses Projekt in Angriff genommen, allerdings etwas bescheidener dimensioniert. Was damals als Arbeitsplatzbeschaffungsmaßnahme gedacht war, ist jetzt im Krieg nur noch mit Zwangsarbeitern und einigen wenigen Wasserwirtschaftsfachkräften durchführbar.

      Erbarmungslose körperliche Züchtigung gehört ebenso zum inoffiziellen Repertoire der Erziehungsmaßnahmen wie mangelhafte Ernährung. Zeitweise ist jede Form von Unterhaltung zwischen den Lagerinsassen ausnahmslos untersagt, selbst in der kargen Freizeit. Nur gegenüber dem Aufsichtspersonal darf man dann den Mund aufmachen. Wer allerdings glaubt, es müsste den Machthabern daran gelegen sein, möglichst wenig Aufhebens um solche Orte sadistischer Entwürdigung harmloser Mitbürger zu machen, verkennt einen wesentlichen Teil ihres Sinns und Zwecks.

      Denn die bald drei Dutzend Lager allein in Oberdonau sind nicht zuletzt als äußerst wirksame Drohgebärde gegenüber breiten Bevölkerungsschichten zu verstehen: Jedem von euch kann es jederzeit genauso ergehen, heißt die Botschaft. Inmitten der in Reih und Glied marschierenden Häftlingskolonne wird Alois Auleitner mit geschultertem Spaten frühmorgens etliche Kilometer zur Zwangsarbeitsstätte geführt werden, auch durch das einige hundert Einwohner zählende Bauerndorf Sankt Pantaleon selbst. Auf dem Hin- wie auf dem abendlichen Rückweg müssen die Ausgepumpten, womöglich gar nach einer der beim Wachpersonal beliebten Scheinertränkungen im Fluss, flotte Nazilieder schmettern. Wer beim besten Willen nicht mehr weiter kann, auf den hetzt man einen der Schäferhunde, oder er wird schon einmal mitten auf der Straße totgeprügelt, bis ihm das Blut aus dem After quillt. Wehe, ein Passant riskierte es, sich einzumischen.

      Keiner von Auleitners Mitgefangenen hat etwas verbrochen, die Einweisung Krimineller ist ja ausdrücklich verboten. Er wird manche Leidensgefährten gewaltsam sterben sehen müssen. Bei jedem Aufstehen hat er einzukalkulieren, dass er die kommende Nachtruhe selbst nicht mehr erleben wird. Wofür um alles in der Welt? Zweifellos hat er einen Fehler begangen, eine Rechtsvorschrift gebrochen, wissentlich, unwissentlich. Dafür ist in einem Rechtsstaat eine Sanktion zu erwarten, und wenn sie zu hart ausfällt, lässt sich dagegen berufen.

      Rechtsstaat, das war einmal. Gleich nach seiner Einlieferung wird der Neuankömmling dem Lagerkommandanten SA-Obertruppführer August Steininger vorgeführt. Der herrscht ihn an, gefälligst strammzustehen. Nach dem ersten gezielten Faustschlag mitten in sein Gesicht dämmert es Alois wohl schnell, dass hier absolute Gesetzlosigkeit herrscht. Es steht ganz im Belieben der Rohlinge in brauner Uniform, wer wann wieder entlassen wird, wer wie lange überleben darf und wer gar nicht.

      Alois Auleitner kommt augenscheinlich nicht für eine vorzeitige Entlassung in Frage. Die Monate vergehen, die Kräfte schwinden. Seine Theresia ist jetzt unendlich viel weiter weg, als sie das im lothringischen Hundlingen je hätte sein können. Hält der Gedanke an die Liebste den Lois aufrecht, oder hat er sich innerlich längst aufgegeben?

      Dann und wann gelingt es dem Lagerarzt, selbst NSDAP-Mitglied und einflussreicher Gemeinderat im Ort, schwerst Erkrankte oder lebensgefährlich Misshandelte mit seinem Privatauto in eines der umliegenden Krankenhäuser bringen zu dürfen. Die Folterknechte fühlen sich absolut sicher, kein Arzt wird trotz des eindeutigen Verletzungsbildes mancher Patienten den Mut aufbringen, etwas gegen die Verursacher zu unternehmen.

      In den Spitälern behandelt man die fortgeschrittenen Lungenentzündungen, die massiven Erfrierungen, die klaffenden Platzwunden. Man flickt die fürchterlich Zugerichteten entweder notdürftig wieder zusammen und schickt sie zurück zu ihren Peinigern, oder sie werden als hoffnungslose Fälle still und heimlich auf Friedhöfen in der Stadt Salzburg oder in Laufen an der Salzach gleich drüben im Altreich an der ehemaligen Grenze unter die Erde gebracht.

      Am Abend des Heiligen Abends 1940 sind alle Häftlinge im Speisesaal versammelt. Ein Christbaum wird aufgestellt, Kerzen werden daran befestigt, eine Weihnachtsbescherung ist angekündigt. Die fällt allerdings anders aus als erwartet: Das pädagogische Personal hat Order vom urlaubenden Lagerkommandanten, neun ausgewählte Objekte dafür aufzurufen. Sie müssen, einer nach dem anderen, das Gesäß entblößen, werden bäuchlings auf die Sitzbänke geschnallt. Mithäftlinge müssen sie fixieren und ihnen mit Mützen den Mund zuhalten.

      Es folgt eine wahre Prügelorgie der zu diesem Zeitpunkt bereits merklich angetrunkenen Wachmannschaft. Ein wenig handfesten Spaß wird man doch noch haben dürfen, wenn man während der höchsten Festtage im Jahr zu arbeiten gezwungen ist. Auf jedes der Opfer, darunter ein erst Siebzehnjähriger, dreschen SA-Truppführer Josef Mayrhofer, SA-Sturmführer Gottfried Hamberger und SA-Oberscharführer Alois Rothenbuchner exakt fünfundzwanzigmal wie verrückt mit dem Gummiknüppel ein. Alois Auleitner ist nicht unter ihnen. Aber er muss eine schreckliche Stunde lang zuschauen.

      Von Woche zu Woche erlauben sich die Aufseher mehr, niemand hindert sie offenbar daran, ihre Gewaltphantasien nach Herzenslust auszuleben, im wahrsten Wortsinn ohne Rücksicht auf Verluste. Allein im Monat Dezember bringen sie auf diese Weise drei Zöglinge um. Die Opferzahl hätte aber leicht noch größer sein können.

      Einer der ältesten Internierten, längst fix und fertig, bat vor kurzem untertänig darum, sich erhängen zu dürfen. Diese Vergünstigung wollten die Pädagogen dem faltigen Mann mit schlohweißem


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