13 Jahre. Friedrich Resch

13 Jahre - Friedrich Resch


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bestehend aus dem ehemaligen deutschen Konsulatsgebäude und zwei weiteren Villen, darunter die bereits erwähnte Rieger-Villa, welche nunmehr der Staatssicherheit als örtliches Hauptquartier diente. Das gesamte Areal war gleich nach der Inbesitznahme durch die neuen Herren mit einer etwa drei Meter hohen Mauer umgeben worden. Der Wagen hielt vor dem großen Eisentor, welches keinen Einblick in den Hof gewährte. Auf das Hupen unseres Fahrers begann sich das Tor elektrisch gesteuert zu öffnen, während einer meiner Begleiter mir den Kopf hinunterdrückte, damit ich vom Hof nichts erkennen konnte. Trotzdem merkte ich, dass wir in Richtung des ehemaligen Konsulatsgebäudes steuerten, wo der Wagen in einem Raum hielt. Der Kerl, der mich unten hielt, drückte mir eine „Blinde Brille“ – sie hatte statt der Gläser Blechscheiben eingepasst – auf die Augen, bevor ich mich aufrichten durfte. Ich musste aussteigen, und jemand führte mich an der Hand. Wir erreichten eine Stelle, wo mir mein Begleiter sagte: „Pass auf, Treppen“, und ich merkte, dass wir hinunter in einen Keller stiegen. Er führte mich bis zu einer Tür, die er öffnete und mich hineinschob. Dann nahm er mir die Brille ab und er sagte: „Geh aufs WC, dort kannst du auch trinken.“ Er zeigte dabei auf den Wasserhahn nebenan. Ich hatte tatsächlich als Folge des vielen Radfahrens einen gewaltigen Durst. Nachdem ich meine leiblichen Bedürfnisse befriedigt hatte, setzte er mir erneut die Blechbrille auf und führte mich auf einer Treppe bis ins erste Obergeschoss. Dort öffnete er eine Tür und schob mich hinein. Als er mir die Brille abnahm, sagte er: „Genosse Kommandant, hier ist der Chef.“

      Ich befand mich in einem größeren Raum, vermutlich dem ehemaligen Empfangsraum des Konsulates. In der Mitte stand ein massiver Schreibtisch, an dem ein etwa 40 Jahre alter massiger Mann saß. Hinter ihm befanden sich im Raum noch weitere acht bis zehn Männer, einige in Zivil, andere in Uniform. Wegen der speziellen Beleuchtung – ich wurde von zwei Tischlampen geblendet – konnte ich das „Empfangskomitee“ nur schlecht sehen, alle Personen saßen für mich im Halbdunkel. Vermutlich war es der „Boss“, der meinte: „Schaut ihn an, wie ein Panzer.“ Er meinte damit wohl mein Aussehen, denn ich war damals ein durchtrainierter Zehnkämpfer. Als ich auf seine Frage antwortete, dass ich ein Leichtathlet sei, meinte er: „Schade, ich dachte, du wärst Boxer und wir könnten ein Match gegeneinander austragen.“ Ich zog es vor, auf diese höhnische Bemerkung nicht zu antworten.

      Es folgten Fragen über persönliche Daten, beginnend mit Namen, Alter, Schulbildung, dabei wurde vom „Boss“ besonders thematisiert, dass ich sieben Jahre lang Schüler der Banatia, einer deutschen Schule, war, und er klagte, welch schlimme Elemente aus dieser Schule kämen. Dann wurde ich über meine Eltern befragt und ich beteuerte, dass sie von meinen politischen Tätigkeiten keine Ahnung hatten. Ferner interessierten ihn unser Vermögensverhältnisse und mögliche Beziehungen zum Ausland. Ich erteilte ihm die nötige Auskunft, verschwieg jedoch meinen Onkel Fritz, Bruder meines Vaters, der schon Mitte der Zwanzigerjahre nach Argentinien ausgewandert war. Er stand in regelmäßigem Briefverkehr mit meiner Großmutter, und ich hoffte, dass zumindest diese Beziehung von der Securitate nicht erkannt werden würde, um meinem Vater überflüssige Befragungen zu ersparen. Es folgten weitere unzählige Fragen über die Sportschule, die dortigen Lehrer und die Schüler. Ob ich eine Freundin in der Schule oder sonst wo hätte, wollte man ebenfalls wissen. Die Fragen prasselten ununterbrochen auf mich ein, und ich bemühte mich, ruhig zu scheinen und nur überlegte Antworten zu geben. Wenn ich auf eine Frage allerdings nicht schnell antwortete, wurde ich auf ordinärste Weise aus dem reichen Wortschatz der rumänischen Sprache beschimpft. Es hagelte Drohungen und man stellte mir in Aussicht, erschlagen, erschossen oder gehängt zu werden. Mit zunehmender Dauer schalteten sich weitere der anwesenden Personen in die Befragung ein, die ebenso wenig an Kraftausdrücken sparten. Als ich bei einer Antwort vermeintlich zu lange zögerte, sprang ein junger Kerl, auch zivil gekleidet, hinter mich und begann, mich mit einer großen Pistole an Nacken und Kopf zu stoßen und zu schlagen. Unter ordinärsten Beschimpfungen drohte er, mir „das Hirn aus dem Kopf zu blasen“.

      Seine Schläge und Stöße gegen den Kopf waren eigentlich nicht schlimm, denn er achtete offenbar darauf, mich nicht ernstlich zu verletzen, und schlug nur mit der Seite der Waffe zu, die Nackenstöße hingegen waren ziemlich heftig. Zur Abwechslung spannte er ab und zu die Waffe, als ob er sie laden wollte, drückte sie mir in den Nacken oder an die Schläfe und zog sie ab. Mir war klar, dass man mit dieser Behandlung bezweckte, mich zu verwirren und zu ungewollten Aussagen zu bringen, und genau das trachtete ich unbedingt zu vermeiden, wenngleich auch die Stöße und das metallische Geräusch mir zugegebenermaßen erheblich zusetzten. Die Folge war, dass ich meine Antworten noch weiter verzögerte, was dem „Boss“ nicht gefiel und ihn endlich veranlasste, den „Pistolero“ zurückzupfeifen. Aber die Fragen prasselten weiter auf mich ein: Wer meine Freunde in und außerhalb der Schule seien? Wer zur Organisation gehöre? Anfangs wollte ich von einer Organisation noch nichts wissen, wurde jedoch bald eines Besseren belehrt. Während immer neue Fragen gestellt oder bereits gestellte Fragen wiederholt wurden, kamen regelmäßig irgendwelche Kerle in den Raum und legten dem „Boss“ Zettel vor.

      Irgendwann sagte er: „Es ist klar, du bist der Chef. Wer gehört noch zur Organisation und von wem bekamst du die Befehle?“ Was Freunde betraf, trachtete ich, solche zu nennen, die mir im Sport nahestanden, mit denen ich aber keine politischen Beziehungen hatte, und bemühte mich insbesondere, die Beziehungen zu Deutschen herunter zu spielen. Der Versuch, irgendwie als Einzelgänger zu erscheinen, gelang mir freilich nur bedingt, denn meine Vernehmer hatten Listen, auf denen anscheinend sehr viele Personen vermerkt waren. Mir fiel auf, dass viele dieser Personen nur mit dem Vornamen erfasst waren. Unter den vollständig bezeichneten Personen waren alle Lehrkräfte der Sportschule, wie etwa Professor Cornel Iovănescu, Dr. Catina, der Schularzt, oder die Professoren Eilhardt, Bejan und Lache. Von Letzterem wusste ich sehr wohl, dass er politisch „belastet“ war, weswegen er den Sportklub des Innenministeriums „Dinamo“ hatte verlassen müssen, unter anderem weil er mit einer deutschen Frau, noch dazu der Nichte des inhaftierten katholischen Bischofs Augustin Pacha, verheiratet war. Als man mich über all diese Lehrkräfte befragte, wunderte es mich sehr, dass die Professoren Parsch und Höckl, ebenfalls Deutsche, nicht erwähnt wurden. Speziell bei Höckl meinte ich zu wissen, dass er als politisch belastet galt. Jedenfalls war ich über das Ausmaß der Untersuchungen in unserem Fall überrascht. Meiner Schätzung nach waren mehrere Stunden vergangen, und noch immer führte der „Boss“ das Verhör. Wie ich später von ihm persönlich erfuhr, war er der berüchtigte Securitate-Offizier Aurel Moiş.

      Anhand der Namenslisten kamen dann meine Schulkollegen und -kolleginnen an die Reihe. Dann kam die Frage aller Fragen: „Gibst du zu, dass du der Chef einer geheimen staatsfeindlichen Organisation bist?“ Ich versuchte zu verharmlosen, er aber schnitt mir das Wort ab und brüllte mich an: „Du bist der Führer („Führer“ sprach er deutsch aus) von Verbrechern, Feinden des sozialistischen Rumänien. Du hast deinen Leuten befohlen, auf unsere Organe zu schießen. Einer unserer Offiziere ist von dem Banditen Jasberenyi beschossen und schwer verwundet worden. Das war auf deinen Befehl, und wenn unser Mann stirbt, so wirst auch du zum Tode verurteilt und hingerichtet werden.“ Ich muss gestehen, dass ich für den Moment perplex war und nichts zu erwidern wusste. Moiş setzte fort: „Gibst du zu, dass du Jasberenyi den Schießbefehl gegeben hast?“ Ich verneinte, dass ich jemandem einen ausdrücklichen Schießbefehl erteilt hätte. Darauf sagte er nichts, fragte aber weiter: „Wer hat dir befohlen, eine Organisation aufzubauen und Aktionen durchzuführen?“ Ich bestritt, jemals von irgendjemandem Befehle erhalten zu haben, was er mir vorläufig nicht recht zu glauben schien.

      Fragen und Drohungen kamen am laufenden Band, darunter auch Fragen nach mir unbekannten Personen oder solchen, die ich nicht kennen wollte. „Bist du dir dessen bewusst, ein schweres Verbrechen begangen zu haben? Bist du dir bewusst, nur dann eine Überlebenschance zu haben, wenn du jetzt kooperierst und alle nennst, die in deiner Bande mitgemacht haben? Beginnen wir mit Jasberenyi. Gestehe, dass du ihn zum Flugblätterverteilen mit einer Pistole bewaffnet losgeschickt hast. Jetzt ist er jedenfalls schwer verwundet, und ob er am Leben bleibt, ist unklar. Wenn ja, dann wird er für immer ein Krüppel bleiben.“ Ich gab zu, Andreas Flugblätter und eine Pistole ausgehändigt zu haben, bestritt aber, ihm einen Befehl zum Schießen gegeben zu haben.

      Nun wusste ich zumindest, dass es offenbar eine Schießerei gegeben hatte, bei welcher Andreas und ein Securitate-Offizier


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