13 Jahre. Friedrich Resch

13 Jahre - Friedrich Resch


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gefundene Pistole mir gehörte, obwohl ich fälschlicherweise dachte, der illegale Waffenbesitz würde als besonders schwerwiegendes Verbrechen gewertet werden. Wie sich jedoch später anhand unseres umfangreichen „Sündenregisters“ herausstellte, wurden wegen des Waffenbesitzes die kleinsten Strafen verhängt. Um eine Zeit ging Moiş hinaus und an seiner Stelle führte ein anderer zivil gekleideter Offizier meine Vernehmung fort. Da ich sehr müde war, fiel es mir immer schwerer, prompt und glaubwürdig auf seine Fragen zu antworten. Wen wundert es: Die Nacht nach unserer Aktion hatte ich auch aus Sorge um Andreas kaum geschlafen, und die folgende Nacht draußen an der Temesch mit unzureichender Kleidung und einer sehr dünnen Decke war auch nicht besser. Dazu kamen die etwa 100 Kilometer, die wir in diesen zwei Tagen auf Fahrrädern zurückgelegt hatten. Nunmehr in der dritten Nacht ohne richtigen Schlaf, aber stattdessen mit dem pausenlosen Verhör, war ich nahe daran, vom Stuhl zu fallen.

      Man gab mir zu trinken und spritzte mich mit Wasser ab. Dann kam Moiş zurück und brüllte, ich solle gestehen, dass alle Deutschen aus unserer und der dritten Klasse Mitglieder meiner „Bande“ seien. Ich zögerte noch, um Zeit zu gewinnen, während er weiterbrüllte: „Gib zu, dass außer Jasberenyi auch Brössner, Mildt, Prack, Hochstrasser und Bayer dabei waren.“ Die Namen Szilagyi, Stein, Zirkl und Winkler fielen noch nicht, aber auch das sollte sich bald ändern. Aufgrund eines der vielen Zettel, die man Moiş nach und nach vorlegte, schrie er mich aufs Neue an: „Warum gibst du nicht zu, dass auch Stein und Zirkl dabei waren?“ Eben dieses hatte ich kurz vorher noch verneint, aber meine Vernehmer waren nicht so leicht hinters Licht zu führen und befragten mich besonders intensiv über weitere Klassenkollegen deutscher Nationalität, wie etwa Eugen Warga, Feri Krassl oder Ladislaus Willems. Bezüglich der Letzteren schien es mir kurzfristig gelungen zu sein, die Vernehmer von deren Unschuld überzeugt zu haben, doch ich sollte mich irren: Ein Leutnant betrat den Raum und flüsterte Moiş etwas ins Ohr, worauf dieser sofort mit ihm den Raum verließ. Ein anderer Vernehmer begann, mir belanglose Fragen zu stellen, möglicherweise mit der Absicht, mich zu beschäftigen und mir das Nachdenken zu erschweren.

      Moiş kam bald wieder und überschüttete mich schon beim Betreten des Raumes mit den übelsten Schimpfwörtern. Seine Sätze strotzten von Genitalien, Müttern und was es sonst noch im reichen Fundus des gemeinsten rumänischen Wortschatzes gibt. „Verlogenes Schwein“ war noch das Harmloseste, was ich zu hören bekam. „Jetzt wissen wir genau, dass auch Jakob Stein und Egon Zirkl zu deiner Bande gehören. Du verdienst nicht die Kugel, die du bekommen wirst. Ich werde verlangen, dass du gehängt wirst.“ Damals wusste ich noch nicht, wer von uns schon verhaftet war. Erst viel später erfuhr ich, dass der erste, der nach Andreas festgenommen wurde, Dietmar Brössner war, und dass bei dieser Verhaftung wie auch bei der Festnahme von Andreas Viktor Alexandrescu, genannt „Purschi“, dabei war. Während die Fragen ununterbrochen auf mich hereinprasselten, griff Moiş zu den mir abgenommenen Sachen, die unweit von ihm auf dem Tisch lagen. Ich hatte nahezu 500 Lei in meiner Brieftasche, ebenso meinen Sportausweis und die Anglererlaubnis. Meinen Personalausweis hatte man mir bei der Verhaftung abgenommen. Außerdem waren da noch ein Taschenmesser und mein Taschenspiegel. Er nahm den Spiegel in die Hand, hob ihn hoch und verkündete: „Hier befindet sich das größte Geheimnis dieses Banditen. Hier drinnen stecken die Geheimdokumente des Verbrechers.“ Es wurde ganz still, alle – auch ich – schauten voller Spannung auf seine erhobene Hand. Sichtlich ungeduldig wandte er sich an seine nächsten Nachbarn. „Gebt mir ein Messer!“ Dienstbeflissen sprang ein junger Offizier zu ihm und reichte ihm mein geöffnetes Taschenmesser. Moiş griff zu und machte sich daran, die Rückseite des Spiegels, eine weiche, mit Tuch überzogene Füllung, aufzuschneiden, da seine blühende Kriminalisten-Fantasie ihn verborgene Geheimdokumente hinter dem Spiegel vermuten ließ.

      Mit Übereifer stach er in den Überzug, das Messer glitt ab und er schnitt sich tief hinein, quer über die ganze Handfläche. Während er das Messer fallen ließ und über Gott und die Welt zu fluchen begann, sprangen seine Mitarbeiter entsetzt herbei, jemand schrie nach einem Sanitäter, ein anderer nach einem Arzt. Gestützt von seinen Helfern verließ Moiş das Zimmer und kehrte erst nach einer Viertelstunde zurück, sichtlich bemüht, einen gefassten und heroischen Eindruck zu machen. In der Zwischenzeit hatten andere Neugierige den Spiegel untersucht, unter dem Tuchüberzug aber lediglich einige Lagen Krepppapier gefunden, sonst nichts. Zumindest gab Moiş es jetzt auf und sagte: „Jetzt ist Schluss, bringt ihn in eine Zelle, und morgen sprechen wir weiter.“ Dieses „morgen“ war freilich etwas unklar, denn es war ja schon längst der nächste Tag, der 14. September, angebrochen. Zum Abschied verpasste er mir noch einen mächtigen Fußtritt in meinen linken Oberschenkel, den ich noch lange spüren sollte.

      Es war bestimmt schon 3 oder 4 Uhr morgens, als ich mit der Blechbrille auf den Augen in den Keller des gleichen Hauses geführt wurde. Nach dem man mir die Brille abgenommen hatte, fand ich mich in einer Zelle von etwa vier Meter Länge und zwei Meter Breite wieder. Ein kleines stark vergittertes Fenster mit Milchglas spendete zwar Licht, aber keine Luft. In der Zelle standen zwei Betten, jedes mit Strohsack, Decke und Kissen ausgestattet – sonst nichts. Ich legte mich sofort nieder, denn ich fühlte mich wie gerädert und war unendlich müde, fand vorerst jedoch noch keinen Schlaf. Ich war zu aufgewühlt, tausend Gedanken gingen mir durch den Kopf. Die Frage war: Wie konnte es sein, dass die Securitate schon so viel über unsere Organisation wusste? Gab es Verrat? Es war nicht auszuschließen.

       Egon und Jakob

      In Bezug auf Egon und auch Jakob etwa habe ich mich gründlich geirrt, denn beide standen bereits auf der Liste der Geheimpolizei, als ich noch hoffte, sie aufgrund ihrer schon länger währenden Abwesenheit von Temeschburg heraushalten zu können. Sie waren nämlich zum Antritt ihrer Tätigkeit als Turnlehrer schon nach Cugir beziehungsweise nach Carei – beides Orte in Siebenbürgen – abgereist. Dort wurden sie jedoch nicht gleich verhaftet, sondern standen zehn bis zwölf Tage unter Beobachtung, vermutlich weil man sehen wollte, ob sie an ihren neuen Standorten ihre geheimen politischen Aktivitäten fortsetzen. Im Nachhinein erinnerte sich Jakob, wie man ihn etwa eine Woche vor seiner Verhaftung in die Kanzlei der Schule rief, wo er von zwei jungen Männern erwartet wurde, die seine Meinung über die Erziehung „im sozialistischen Sinne“ an der Schule hören wollten. Er erklärte damals, dass er erst seit zu kurzer Zeit an dieser Schule wäre, um über eine so wichtige Angelegenheit eine kompetente Meinung äußern zu können. Das ganze Auftreten der beiden „Inspektoren“ ebenso wie ihre jugendliche Erscheinung machte ihn stutzig, ohne dass er sich jedoch einen Reim auf ihre Absichten hätte machen können. Auch bei einem Schülerball, veranstaltet einige Tage nach dem seltsamen Besuch, fielen ihm mehrere Typen auf, über die er später erfuhr, dass sie sich nach den neuen Lehrkräften der Schule erkundigt hätten.

      Weder Jakob noch Egon wussten zu diesem Zeitpunkt etwas von unserer Verhaftung, und erst nachdem am 24. September unsere ehemalige Schulkollegin Martha Bozoki ebenfalls in Carei ankam, erfuhr Jakob von unserer Festnahme und auch, dass Andreas schwer verwundet in einem Krankenhaus lag. In Temeschburg war das Gerücht in Umlauf, dass es bei unserer Verhaftung einen Kampf mit Toten und Verletzten gegeben habe. Martha berichtete auch von zahlreichen Verhaftungen und Vernehmungen von Schülern und Professoren, die es in diesem Zusammenhang gegeben hatte. Als Jakob dies hörte, war ihm sofort klar, dass auch ihm größte Gefahr drohte, und er packte noch am gleichen Abend seinen Rucksack mit dem Notwendigsten, um am kommenden Tag Carei in Richtung der ungarischen Grenze zu verlassen und die Flucht in den Westen zu versuchen. Er kam aber nicht mehr dazu, denn noch in der gleichen Nacht wurde er verhaftet. Es konnte nie geklärt werden, ob die Verhaftung kurz nach der Ankunft Marthas reiner Zufall war oder ob sie missbraucht wurde, um Jakobs Reaktion auf die überbrachten Nachrichten zu prüfen. Zur selben Zeit wurde auch Egon Zirkl in Cugir festgesetzt, was wir ebenfalls erst erfuhren, als wir alle zusammen in der Haftanstalt in Temeschburg waren.

      In meiner Zelle bei der Securitate hatte mich irgendwann meine unsägliche Müdigkeit doch übermannt und in einen unruhigen Schlaf sinken lassen, aus dem ich erst erwachte, als der Riegel der Tür geräuschvoll zurückgeschlagen wurde und ein bulliger Feldwebel erschien. Er reichte mir ein Kännchen Muckefuck und befahl mir, mein Bett zu machen, also die Decke über das Bett zu breiten. Nach zehn Minuten kam er wieder, verpasste mir die Blechbrille und führte


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