13 Jahre. Friedrich Resch

13 Jahre - Friedrich Resch


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dass der Herr Ministerpräsident mich zu diesem Foto aufgefordert hatte, was ich nicht zurückweisen konnte, und dass ich nie mit einer Waffe in der Schule gewesen sei. Außerdem wusste bei uns in der Schule niemand von dem anstehenden hohen Besuch, sonst hätte die Schulleitung uns bestimmt alle schon vorher zusammengerufen. Damit schien die Sache für Neda erledigt zu sein.

      In den folgenden Tagen wurde ich hauptsächlich von Neda und gelegentlich von Deitel befragt. Ab und zu gesellte sich ein weiterer geschniegelter Offizier hinzu, der schließlich meine Befragung für eine Zeit allein führte. Da ich seinen Namen nicht kannte, war er für mich der Dandy-Goldzahn. Seinen richtigen Namen habe ich erst viel später erfahren, und zwar von Jakob. Es handelte sich um einen berüchtigten deutschen Securitate-Offizier, der später bis in den Generalsrang aufstieg. Er hieß Martin Schnellbach, hatte mehrere Goldzähne, einen dicken Siegelring am Finger und roch immer nach Parfüm und feinen Zigaretten. Während der Verhöre hatte er die Gewohnheit, der Schublade seines Schreibtisches eine über und über verzierte großkalibrige Pistole zu entnehmen und mit ihr herumzuspielen oder sie vor sich auf den Tisch zu legen. Vermutlich war die Waffe nie geladen und die ganze Spielerei reines Imponiergehabe, von dem ich mich demonstrativ unbeeindruckt zeigte, was ihn augenscheinlich ärgerte. Was mich allerdings im Sinne des Wortes „kaltließ“, war seine Gewohnheit, das Zimmerfenster weit zu öffnen und auch lange offen zu halten. Dies hatte zwar den Vorteil, dass der ätzende Rauch der vielen feinen Zigaretten abzog, dafür fror ich aber wie ein Dackel am Nordpol, denn ich hatte noch immer keine weiteren Kleidungsstücke als meine kurze Hose, ein dünnes Hemd und eine dünne Windjacke, in denen ich verhaftet worden war. Wärmere Kleider, die ich bei der Flucht mitgenommen hatte, waren in unserem Versteck an der Temesch geblieben. Aus „Goldzahns“ Zimmer sah ich durch das Fenster direkt in den Park hinaus. Die Mauer, die man um einen großen Teil des Gebäudekomplexes errichtet hatte, war zum Park hin so hoch, dass man nur die Baumkronen der mächtigen Eichen, die dort standen, sehen konnte, obwohl wir uns im ersten Stock der Rieger-Villa befanden. Jedenfalls war dieser Ausblick für mich der wichtigste Fixpunkt, an dem ich mich orientierte und dank dem ich trotz Blechbrille und der verschiedenen Tunnel meistens wusste, wo ich mich gerade befand.

      Mittlerweile war ich aus der großen Zelle, die sich im Keller des Konsulatsgebäudes befand und in der ich anfangs verwahrt worden war, in eine wesentlich kleinere im Keller der Rieger-Villa verlegt worden. Diese Verlegung aus der bequemen Zelle, in welcher man zwischen den Befragungen hin- und herspazieren und nachdenken konnte, was sich im Hinblick auf die intensiven Verhöre als sinnvoll erwies, war auch deshalb bedauerlich, weil ich nun nicht mehr Harrys Zellennachbar war und damit um die Möglichkeit gebracht wurde, mit ihm Absprachen zu treffen. Anfangs war es nämlich tatsächlich so, dass wir uns problemlos durch zwei geschlossene Türen hindurch verständigen konnten, weil der Raum, in den unsere beiden Zellentüren mündeten, durch eine weitere Tür vom restlichen Keller getrennt war. Diese Tür wurde, aus welchen Gründen auch immer, dauernd geschlossen gehalten, und so konnten wir es wagen, laut miteinander zu sprechen. Das Risiko dabei war natürlich, dass man uns belauschen und unsere größten Geheimnisse erfahren hätte können. Den Umzug hatte wahrscheinlich Neda befohlen, der eines Tages wissen wollte, ob ich schon mit Harry gesprochen hätte, schließlich seien wir doch Nachbarn. Ich verneinte und behauptete, von Harrys Nachbarschaft nichts gewusst zu haben, was er mir zu glauben schien. Später habe ich von Harry erfahren, dass ihm die gleichen Fragen gestellt worden waren und dass auch er verneint hatte.

      Meine neue Zelle war ein elendes Loch. Ich musste direkt von der Tür ins Bett, welches quer zur Tür stand, steigen. Der Raum war so klein, dass ich außerhalb des Bettes höchstens noch einen Fuß auf den Boden stellen konnte. Durch ein sehr kleines Fenster, welches nach oben hin schachtartig verlängert war, kam zwar Luft in mein Verlies, aber kein Licht. So brannte Tag und Nacht eine kleine Lampe in einem winzigen Fenster, das sich über der Tür zum Korridor befand, welches noch zusätzlich mit einem Drahtnetz gesichert war, um zu vermeiden, dass vielleicht ein verzweifelter Untersuchungshäftling mithilfe des elektrischen Stromes sich durch Selbsttötung den Organen der Securitate entzog. So „saß“ ich nun also buchstäblich in meiner winzigen, sehr feuchten Zelle und fror trotz der Decke auf dem Rücken.

      Bedingt durch die geschilderte Kälte und wegen des wässrigen Essens, das man mir reichte, begannen sich die ersten körperlichen Beschwerden bemerkbar zu machen. Jedenfalls verspürte ich häufiger das Bedürfnis des Wasserlassens, als dies gemäß der Vorschriften für die Gefangenen vorgesehen war, nämlich zweimal täglich. Um nun häufiger austreten zu können, musste der Häftling an seine Zellentür klopfen und den Diensthabenden bitten, diese Extratour zu gestatten. Manche Unteroffiziere waren einsichtig genug und erlaubten den Austritt, wenn auch oft mit Verzögerung, andere aber machten sich einen Spaß daraus, die Bittenden auf später zu vertrösten oder mit Schimpftiraden zum Schweigen zu bringen. Oft konnte man daher Häftlinge bitten und betteln hören, und es war schlimm anzuhören, wie sie beschimpft und zum Teil geschlagen wurden. Auch ich kam immer häufiger in die Lage, um zusätzliche Austritte bitten zu müssen, und geriet dabei häufig an einen bulligen brutalen Schlägertyp im Range eines Feldwebels, welcher trachtete, mir das Leben so schwer wie nur möglich zu machen. Die ganze Quälerei hatte natürlich System, denn man zielte darauf ab, den Verhafteten mit allen Mitteln zu zermürben. Tagsüber durfte sich zum Beispiel niemand auf das Bett legen, geschweige denn schlafen. Für solche „Vergehen“ wurde man von den Wärtern beschimpft oder sogar geschlagen. Viele wurden auch bei Nacht zu Vernehmungen gebracht, natürlich ohne am nächsten Tag den verlorenen Schlaf nachholen zu dürfen.

      Eines Morgens, als ich zum heiß ersehnten WC geführt wurde, entdeckte ich im Mülleimer unter dem Waschbecken eine leere Bierflasche. Sie stank nach Öl, das man vermutlich zum Feuermachen verwendet hatte. Ich nahm die Flasche zu mir, und es gelang mir, sie vom Diensthabenden unbemerkt in meine Zelle zu schaffen. Dort verbarg ich sie in meinem Strohsack und bediente mich ihrer immer, wenn der Druck gar zu groß ward. Beim Toilettengang leerte ich die Flasche dann heimlich. Trotzdem wurde mein Problem von Tag zu Tag schlimmer und mein Harndrang gefördert durch die Kälte eines Tages so unerträglich, dass ich mich auch durch den Zuruf des „Bulligen“, ich solle Geduld haben („Ai răbdare“), nicht vertrösten ließ und mit der Faust gegen die Zellentür zu trommeln begann. Die Folge war, dass er plötzlich die Tür aufriss und mit Fäusten und Fußtritten auf mich losging, während ich an ihm vorbei und zum WC drängte. Als er mich auch noch packte und mit dem Kopf an die Wand stieß, begann mein Urin unkontrolliert zu laufen, was ihn nur veranlasste, noch wilder zu toben und mich weiter zu schlagen. Dann musste ich mit einem Waschlappen den langen Korridor von meiner Zelle bis zum WC aufwischen, wozu es noch reichlich Fußtritte und ordinäre Beschimpfungen gab, die erst endeten, als ein zweiter Unteroffizier erschien, der sich nach dem Grund des Krachs erkundigte. Als ich mit dem Aufwaschen fertig war, fragte ich den neuen Unteroffizier, ob ich meine durchnässte Hose waschen dürfe, was er erlaubte und gleichzeitig fragte, ob ich denn eine Hose zum Wechseln hätte, was ich verneinte. Diese Auskunft schien ihn nachdenklich gemacht zu haben. Wieder in der Zelle wickelte ich mich in meine Decke und legte meine nasse Hose darüber, in der Hoffnung, dass sie bald trocknen würde. Aber in meiner feuchten Zelle ging das nicht so schnell, und so musste ich am kommenden Vormittag mit einer nassen Hose zum Verhör gehen. Außerdem hatte ich inzwischen festgestellt, dass aus meinem Ohr infolge der erhaltenen Schläge ziemlich viel Blut geflossen war.

      Als ich im Büro von „Goldzahn“ auftauchte, bemerkte dieser meinen Zustand sofort, und ich musste ihm den Vorfall schildern. Am Nachmittag – ich war längst wieder in meiner Zelle – kam der diensthabende Unteroffizier zusammen mit einem zivil gekleideten Herrn mit Brille an meine Tür. Dieser stellte mir einige Fragen im Zusammenhang mit meinen körperlichen Beschwerden, aus denen ich erkannte, dass es sich bei ihm um einen Arzt handelte. Wie ich später erfuhr, hieß der Mann Dr. Paul Singer und war Arzt bei der Securitate. Ich erzählte ihm von den schmerzenden Nieren, dem Brennen in der Blase und dem unwiderstehlichen Harndrang, worauf er nur meinte: „In dieser Kleidung kannst du nicht gesund werden. Ich werde veranlassen, dass du Kleider bekommst. Vorläufig nimm diese Tabletten jetzt sofort ein.“ Er schüttete aus seiner Arzttasche etwa ein Dutzend Tabletten in meine Hand und forderte mich auf, diese sofort runterzuschlucken. Ich zögerte noch, denn ich konnte nicht glauben, dass ich einen solchen Haufen Tabletten auf einmal und noch dazu ohne Wasser schlucken sollte. Er ließ mich aber durch


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