13 Jahre. Friedrich Resch
die Zelle.
Etwa um 10 Uhr kam der Feldwebel wieder und führte mich durch den Vorraum in einen zweiten, von wo es dann vier bis fünf Treppen hinunterging. Es folgte ein ziemlich enger Tunnel, der weniger als einen Meter breit, aber mindestens 15 Meter lang war, und am Ende waren wieder vier bis fünf Treppen, die nach oben führten. Dieser war einer jener drei Tunnel, die schon 1948 gebaut wurden, das heißt im ersten Jahr der Inbesitznahme der drei Villen, die gemeinsam den Gebäudekomplex der Securitate bildeten sollten. Als Schüler der gegenüberliegenden Schule hatte Herbert Winkler schon im Sommer 1948 aus seinem Klassenzimmer im zweiten Obergeschoss die Bauarbeiten im Hof der Geheimpolizei, die ansonsten wegen des schon hochgezogenen gemauerten Zaunes von der Straße nicht sichtbar waren, genau verfolgen können, ohne zu ahnen, dass nur drei Jahre später auch er durch diese unterirdischen Gänge geführt werden sollte. Ich vermutete, dass sich meine Zelle im Keller des gewesenen deutschen Konsulats befand und dass ich jetzt im Keller der Villa Rieger angelangt war. In dem mir seit dem Herbst 1945 bekannten Treppenhaus erkannte ich die abgenutzten Stufen trotz der Blechbrille.
Im ersten Stock wurde eine Tür geöffnet, und mein Begleiter, der bullige Feldwebel, schob mich in einen Raum. Als man mir die Brille abnahm, stand ich in einem länglichen Zimmer, dessen verhangene Fenster in Richtung Konsulatsgebäude zeigten. Hier wartete ein Offizier in Uniform, ein Oberleutnant. Zu meiner Überraschung stellte er sich als Ernst Deitel vor und sagte: „Ich bin der Chef-Vernehmer und werde euren Fall untersuchen.“ Ich bekam einen Bogen Papier, Feder und Tinte. Dann begann er zu fragen, und ich musste antworten und die Antwort sogleich niederschreiben. Bei der Formulierung meiner Antworten ergaben sich oft Probleme, denn er beanstandete deren Form und ich merkte, dass er versuchte, meine Formulierungen zu unseren Ungunsten zu ändern. Das wollte ich nicht akzeptieren, was zu Streit und seinerseits zu Drohungen führte, ohne dass er sich jedoch solch ordinärer Schimpfworte bediente wie vor ihm Moiş. Um eine Zeit kam ein weiterer Offizier herein, den ich noch nicht kannte, setzte sich auf einen Stuhl und hörte vorerst zu. Als ihn Deitel anredete, erfuhr ich, dass er Neda hieß. Erst sehr viel später, 1975, erfuhr ich seinen Vornamen, Octavian, und dass er aus der Gegend von Oraviţa im Banat stammte.
Zusätzlich zu den schon in der Nacht beim Verhör genannten Kameraden kamen noch Edi und Herbert dazu. Ich weiß nicht mehr, wie die Rede auf die beiden kam, jedenfalls wusste die Securitate bereits, dass sie zur Organisation gehörten, und ich gab zu, dass Edi mit Harry gemeinsam Flugblätter verteilt, und auch, dass ich Herbert kleinere Aufträge erteilt hatte. Ich war entschlossen, so weit als möglich keine weiteren Personen – Mitglieder wie auch Mitwisser – preiszugeben. Insbesondere dachte ich dabei an Leute wie Edda Konrad, Eugen Warga, Walter Heinrich, Albert Milles und weitere Freunde und Bekannte, die, wenn schon nicht Mitglieder, doch Förderer unserer Organisation waren. Ebenso Hans Portscheller, ein Freund und Landsmann Jakobs und, ohne es zu wissen, Aufnahmekandidat der Organisation. Durch seine Teilnahme an der Aktion gegen den russischen Militärklub am Begaufer hatte er seine „Eintrittsprüfung“ bestanden, war jedoch schon vor unserer Verhaftung in den Bărăgan verschleppt worden.
Personen, mit denen ich im Interesse der Organisation allein Kontakt hatte, bereiteten mir weniger Sorgen. So zum Beispiel der Schwager von Franzi Bayer, der mein wichtigster theoretischer Ausbilder in Sachen Taktik war, dann Ernst Höhr oder Andreas Berta. Von Letzterem wusste nur Harry, daher machte ich mir seinetwegen keine großen Sorgen. Jahre später nach meiner Heimkehr aus der Haft bedankte er sich ausdrücklich dafür, dass ich seinerzeit „dichtgehalten“ hatte, und half mir auch materiell. Schade, dass er den Sturz des Ceauşescu-Regimes nicht mehr erleben durfte.
Nach Edda Konrad wurde ich zu meiner Beruhigung nicht einmal gefragt, machte mir jedoch noch längere Zeit Sorgen, dass seine Mitgliedschaft nachträglich auffliegen könnte. Nach der Haftentlassung erfuhren wir jedoch, dass Edda inzwischen ein Studium beendet und eine erfolgreiche politische Karriere unter den Kommunisten eingeschlagen hatte, die ihm letztendlich das Amt eines Vizebürgermeisters von Temeschburg bescherte.
An diesem ersten Tag dauerte meine Vernehmung bis gegen Mittag, wonach ich in meine Zelle geführt wurde und zu essen bekam. Im Allgemeinen war das Essen bei der Securitate in Temeschburg nicht gerade schlecht, aber für meinen Hunger doch zu wenig. Nach der Mittagspause wurde ich erneut in das gleiche Zimmer zu Deitel geführt. Ich musste immer wieder Fragen beantworten. Dabei wurden mir die gleichen Fragen in verschiedener Folge gestellt. Als noch unerfahrener Untersuchungshäftling reagierte ich auf wiederholte Fragen mit der Bemerkung: „Das habe ich doch schon gesagt.“ Worauf Deitel nur antwortete: „Dann sag es noch einmal.“ Allmählich gelang es mir, mich zu beherrschen, und ich trachtete, meine Antworten kurz und einfach zu formulieren, um sie mir zu merken, wissend, dass man mir die gleichen Fragen über kurz oder lang wieder stellen würde. Ich erkannte, dass, wenn es mir nicht gelang, auf die gleiche Frage die gleiche Antwort zu geben, der Vernehmer sofort hellhörig wurde, denn er hatte ja meine früheren Antworten schwarz auf weiß vor sich. So konnte eine ungenaue Antwort beim Vernehmer neue Vermutungen wecken, und es folgten unweigerlich neue bohrende Fragen. Dazu versuchten alle Vernehmer, die mich im Laufe der folgenden Wochen und Monaten immer wieder verhörten, durch Querfragen zu verwirren, um mich zu ungewollten Geständnissen zu verleiten. Nach längeren Verhören hieß es dann plötzlich: „So, jetzt ist Schluss mit dem Verhör, jetzt sprechen wir von Mensch zu Mensch.“ Und Deitel war reich an Vorschlägen. Da kam allerlei ins Gespräch, Sport natürlich, meine Erfolge bei Wettkämpfen, wobei er nicht an Vorwürfen sparte, etwa dass ich meine Zukunft durch die begangenen „Dummheiten“ verdorben hätte, statt mich auf das Lernen und den Sport zu konzentrieren. Einmal ging es um Literatur und er fragte mich, was ich so gelesen hätte. Dazu bemerkte er, dass wir daheim viele Bücher hätten, und wollte wissen, wer die angeschafft habe und ob ich sie alle gelesen hätte. Ich sagte ihm, dass unsere Büchersammlung zum Teil noch von meinem Großvater stammte, dass aber mein Vater und auch ich schon vieles gekauft hätten. Ich vermutete hinter der ganzen Fragerei den Versuch, meine Kenntnisse und Fähigkeiten genauer einzuschätzen, um meine „Gefährlichkeit“ ermitteln zu können. Ich wurde deshalb mit zunehmender Dauer der Gespräche vorsichtiger und hielt mich mit persönlichen Meinungen zurück.
Wissen wollte Deitel auch, warum ich mich früher so viel in der Umgebung der Securitate herumgetrieben hätte, was ich erst verneinte, bis er klarstellte, es gehe um meine regelmäßigen Besuche im gegenüberliegenden Haus in der Beethoven-Straße 5. Ich gab zu, dass ich dort oft bei Familie Winkler war, und stellte beruhigt fest, dass er sich mit dieser Auskunft zufriedengab. Ich fürchtete nämlich, dass es nun mit Fragen in Bezug auf die Familie des Obersten a. D. Galgotzi losgehen würde, die ebenfalls im selben Haus wohnte, die ich gut kannte und die ich einmal in einer dramatischen Lage unter großem eigenen Risiko unterstützt hatte. Aber Gott sei Dank fragte er mich nicht nach dieser Familie. Als ich am Spätnachmittag endlich in meine Zelle entlassen wurde, war ich ziemlich fertig. Die viele Stunden dauernden Verhöre, bei denen ich sehr angespannt war, immer darauf konzentriert, Fehler unbedingt zu vermeiden, die möglicherweise zu weiteren Verhaftungen führen und auch meine eigene Lage verschlimmern könnten, nahmen mich erheblich mit. Deitel verzichtete zwar auf Drohungen der Art, wie sie bei Moiş schon in den ersten Vernehmungen üblich waren („Dein Schießbefehl gegen unsere Leute und deine Schuld an der schweren Verletzung eines unserer Offiziere machen dich reif für eine Kugel, oder noch besser für den Strick.“), aber sein Stellvertreter Leutnant Neda, der nach und nach meine Vernehmung übernahm, drohte dafür umso mehr. Er sagte, er würde meine Hinrichtung zwar nicht befürworten, könne sie aber auch nicht ausschließen.
Eines Tages, bald nach dem Morgenprogramm mit Wecken, Toilettengang und Muckefuck, wurde ich wieder hinauf zum Verhör geführt, wo diesmal Leutnant Neda auf mich wartete. Er breitete eine große Zahl Fotos auf dem Tisch aus. Es waren zum Teil Fotos, die mir gehört hatten und offensichtlich bei der Hausdurchsuchung beschlagnahmt worden waren, aber auch andere bei verschiedentlichen Anlässen gemachte Bilder, oft im Zusammenhang mit Sport. Neda erkundigte sich ausführlich nach jeder der abgebildeten Personen. Zum Beispiel befragte er mich intensiv nach meinen gewesenen Klassenkollegen Willems und Krassl, die als Deutsche natürlich automatisch im Verdacht standen, zur Organisation zu gehören und es gelang mir nur schwer, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Dann legte er einige neue Bilder auf den Tisch und bemerkte mit vor Empörung bebender Stimme, welch ein dreister Bandit ich doch sei, weil