Drachengabe - Halbdunkel. Torsten W. Burisch

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kann man nur so nachtragend sein“, dachte Dantra verärgert, wechselte aber sofort wieder zum ursprünglichen Thema. „Du verlangst also von mir, dass ich da reingehe und mit meinen magischen Kräften gegen diese Kreaturen kämpfe?“

      „Ganz genau.“

      „Und warum?“

      „Weil wir deine Konzentration in außergewöhnlichen Situationen verbessern müssen.“

      „Verbessern schon, aber müssen wir dafür gleich mit so einem schwarzen Loch anfangen?“

      „Hast du Angst?“

      Dantra zögerte. Natürlich hatte er Angst. Noch nie zuvor hatte er etwas Unheimlicheres gesehen. Und er wusste um seine Schwächen, wenn er in Panik geriet. Die Begegnung mit Grey hatte es ihm erst wieder vor Augen geführt. Aber all diese Bedenken wurden klein gestampft von dem, was er am meisten an sich hasste: seinen Stolz. „Ich habe keine Angst. Wenn du da drin warst, dann geh ich auch rein.“

      „Schön, schön.“ Er sah in E’Cellbras zufriedenem Gesicht, dass sie ihn genau dazu bringen wollte. Denn sein Hochmut machte nun weitere Überredungsversuche ihrerseits überflüssig. „Doch du musst einige Regeln beachten, sie können dir dein Leben retten.“ Ihre Stimme war nun wieder äußerst ernst. „Geh nicht weiter hinein als dreißig Schritte. Auch wenn bis dahin noch nichts passiert ist, musst du auf jeden Fall umdrehen. Und bleib immer auf dem Trampelpfad. Nur wenn du glaubst, dass du den Rückweg aus irgendeinem Grund nicht schaffst, dann dreh dich in Richtung Dron und mache drei Schritte nach vorn. Der Pfad, der in das schwarze Loch führt, läuft nämlich parallel zur Waldgrenze. Und daher ist das auch immer der kürzeste Weg zurück ins Licht.“ Nun wurde Dantra erst die Merkwürdigkeit bewusst. Obwohl sie am Dron-Ende waren und es ein Leichtes gewesen wäre, am schwarzen Wald vorbeizugehen, führte der Pfad, auf dem sie standen, direkt hinein. „Das macht doch gar keinen Sinn. Warum führt der Weg nicht daran vorbei, wenn doch kein vernünftiger Mensch das Dunkel betritt? Und selbst wenn es Geschöpfe gibt, die sich in dieser finsteren Umgebung heimisch fühlen, weshalb gehen sie dann hier am Rand hinein und nicht irgendwo in der Mitte?“

      „Ich weiß es nicht“, antwortete E’Cellbra und zuckte dabei leicht mit den Schultern, „solange ich hierherkomme, ist der Weg schon da, und das, obwohl ich noch nie gesehen habe, dass ihn irgendjemand benutzt hat. Wie dem auch sei. Es ist Zeit, den vielen Worten Taten folgen zu lassen. Also, konzentriere dich, geh zügig rein und wieder raus. Und mach zur Abwechslung einmal das, was ich dir gesagt habe, verstanden?“

      „Ja“, gab er mürrisch zurück. Wenn sie so mit ihm redete, erinnerte ihn das immer an Schwester Arundels herablassende Art.

      Er streckte vorsichtig seinen Arm in den Schatten der schwarzen Bäume. Es fühlte sich kalt und feucht an. Als wenn man nach einer verregneten Nacht aus seinem kamingeheizten Haus ins Freie tritt. Als er den ersten Schritt tat und sein Gesicht vom Dunkel überzogen wurde, hatte er den Eindruck, er würde wie von unsichtbarer Hand hineingezogen. Ruckartig wich er zurück. Er drehte sich zu E’Cellbra um, doch die sah ihn nur an, als würde sie sich gleich mit höhnischer Stimme nach seinem Befinden erkundigen. Er wandte sich wieder der Finsternis zu. Mit geschlossenen Augen trat er nach vorn. Er empfand ein Unbehagen, so als würde die Umgebung ihn erdrücken. Als würde sie alles, was er an guten Tugenden und Charaktereigenschaften besaß, in das Gegenteil verkehren. Der kaum spürbare Wind in Dantra selbst, der von seinem Hass genährt wurde, gewann an Kraft und drohte, ein Sturm zu werden.

      „Dumme Empfindungen, die ich mir nur einbilde“, flüsterte er vor sich hin und versuchte, sich wieder auf seine Aufgabe und auf die Umgebung zu konzentrieren. Die Sicht würde ihm keine Möglichkeit geben, lange über eine angemessene Reaktion im Falle eines Angriffes nachzudenken. Er konnte kaum zwei Schritte weit sehen. Selbst in Richtung Dron, wo das rettende Sonnenlicht nicht mehr als drei Schritte entfernt lag, hatte er keineswegs eine bessere Sicht. Es war, als würde er durch einen schwarzen Schleier ins Nichts schauen.

      Er besann sich auf E’Cellbras Worte und dieses Mal fiel es ihm auch überhaupt nicht schwer, ihnen Folge zu leisten. „Je eher ich hier wieder raus bin, desto besser“, dachte er und setzte seinen Weg zügig fort. Es roch, als würde man sich einen alten, muffigen Waschlappen unter die Nase halten, der lange Zeit in einem feuchten Raum gelegen hatte und daher nie richtig trocknen konnte. Aber auch das versuchte Dantra zu ignorieren. Er zählte stattdessen seine Schritte und spähte, so gut es ihm möglich war, in seine Marschrichtung.

      „Dreißig“, sagte er und drehte sich um. Nichts. Obwohl er spürte, dass er beobachtet wurde, war absolut nichts zu sehen. „Wenn ich nicht angegriffen werde, stellt mich E’Cellbra wieder als Versager dar“, dachte er, „und das, obwohl ich dieses Mal wirklich nichts gemacht habe, was ich nicht machen sollte.“ Aber vielleicht lag darin das Problem. „Vielleicht hat mich nur noch niemand entdeckt. Vielleicht muss ich laut vor mich hin reden oder heftig mit den Füßen aufstampfen.“ Das beklemmende Gefühl in seiner Magengegend nahm stetig zu, und so beschloss er, lieber den Hohn der Hexe zu ertragen. Denn das war immer noch besser, als noch länger in dieser anscheinend ewig dauernden Nacht zu verharren. Und ein Angriff würde unweigerlich das Wiedersehen mit grünen Bäumen und dem blauen Himmel, so wie er sie kannte und liebte, unnötig weiter hinauszögern.

      Er begann erneut mit dem Zählen und verhielt sich auch sonst genauso wie auf dem Hinweg. „Vierundzwanzig, fünfundzwanzig, sechs...“ Er stockte und richtete seinen Blick auf einen, wie er glaubte erkennen zu können, Vogel, der am Boden direkt vor ihm saß. Er war nicht größer als eine Drossel und wie seine Umgebung von den Krallen bis zur Schnabelspitze tiefschwarz. Für einen kurzen Moment beobachteten sie sich gegenseitig. Dann, als Dantra den nächsten Schritt tun wollte, öffnete er seinen Schnabel und man konnte deutlich kleine scharfe und schneeweiße Zähne erkennen, die Dantra an ein Ölbild aus seinem Lebensformenunterricht der Klosterschule erinnerten. Dieses hatte einen Delfin gezeigt, der ebenfalls sein spitz nach vorn zulaufendes Maul aufgerissen hatte und damit den Blick auf seine Zähne freigab. Jedoch war ein Delfin, nachdem was er gelernt hatte, ein friedliebendes Tier. Bei dem Wegelagerer vor ihm war sich Dantra nicht so sicher.

      Ob es seinem Gegenüber gefiel oder nicht, aber es war Zeit, den dunklen Wald zu verlassen. Und so setzte Dantra seinen Weg fort. Doch noch vor dem nächsten Schritt erhob sich der Vogel, bis er mit ihm auf Augenhöhe war. Gleichzeitig mit Dantras Verwunderung über die fledermausähnlichen Flügel des Vogels schoss dieser direkt auf ihn zu. Mehr aus Reflex und nicht als Resultat eines wohldurchdachten Abwehrverhaltens vereitelte Dantra den Angriff, indem er die kleine Kreatur gezielt mit seiner magischen Kraft nach hinten schleuderte. Da dort das Ende des schwarzen Baumwaldes lag, war sich Dantra ziemlich sicher, dass er ihn aus dem finsteren Wald hinauskatapultiert haben musste. Suchend sah er in das bereits erkennbare, aber noch undeutlich und irgendwie dunstig wirkende Sonnenlicht. Es war nichts von dem seltsamen Vogel zu sehen.

      „Gut, also nichts wie raus hier“, befahl er sich selbst. Den Blick gen Boden und das linke Bein bereits zum nächsten Schritt angezogen, musste er erkennen, dass sich nun an der Stelle, an der gerade noch sein Angreifer gesessen hatte, fünf von dessen Artgenossen unbemerkt niedergelassen hatten. Als wären sie von unsichtbaren Schnüren gleichzeitig hochgezogen worden, starteten sie nun ihrerseits einen Angriff auf Dantra. Er parierte blitzschnell und ließ ihnen nicht den Hauch einer Chance. Mit sich selbst zufrieden und mit vor Stolz geschwellter Brust setzte er für das letzte Stück zum Laufschritt an. Dabei vermied er es bewusst, vor sich auf den Boden zu schauen. Wenn dort wieder einige dieser Viecher säßen, würde er sie einfach überrennen. Es war höchste Zeit, hier herauszukommen. Und so war er froh, seinem Ziel bereits nahe genug zu sein, um die schemenhaften Umrisse der Hexe erkennen zu können. Doch urplötzlich wurde ihm diese Sicht wieder genommen. Eine schwarze Wolke raste mit unglaublicher Geschwindigkeit aus einer Kurve heraus direkt auf ihn zu.

      Es handelte sich um einen ganzen Schwarm dieser Kreaturen. Dantra hielt sie mit aller Konzentration und Kraft, die er aufbringen konnte, von sich fern. Sie prallten eine Armlänge vor ihm gegen ein unsichtbares Hindernis und taumelten unkontrolliert nach hinten weg, als würden sie gegen eine massive Steinwand fliegen. Für einen Moment sah es aus, als wäre Dantra unbesiegbar. Er legte seinen


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