Drachengabe - Halbdunkel. Torsten W. Burisch
stechender Schmerz jedoch zog ihn zurück in die Realität. Noch bevor die Überlegung über dessen Herkunft abgeschlossen war, hagelte es bereits weitere schmerzhafte Attacken aus dem Hinterhalt. Er drehte sich und versuchte nun, die von beiden Seiten unaufhörlich Angriffe fliegenden Kreaturen abzuwehren. Diese Taktik war allerdings nur von kurzem Erfolg gekrönt. Denn seine schutzlose Rückenflanke wurde erneut Opfer eines gezielten Vogelschwarmangriffs. Die magische Kraft gleichzeitig auf drei verschiedene Richtungen aufzuteilen, überstieg sein Können. Die damit aufkommende Hilf- und Ratlosigkeit ließen ihn ein etwaiges Abwehrverhalten abbrechen und die Flucht in die nun vor ihm liegende Dron-Richtung antreten. Er spürte, wie ihm seine Verfolger im wahrsten Sinne des Wortes im Nacken saßen. Er versuchte, die Äste und Zweige vor sich im Laufen mit den Händen und Armen zur Seite zu drücken. Dabei schnitten diese ihm tiefe Wunden ins Fleisch, da sie scharf wie frisch gewetzte Fleischermesser waren. Sie rissen ihm seine Kleider am ganzen Körper in Fetzen und tränkten sie mit seinem Blut. Neben dem übermächtigen Grau um ihn herum sah das Rot seines Blutes nicht weniger fehl am Platz aus als das Rot auf dem Waldboden, dessen Existenz in seinem Bewusstsein in diesem Moment der schmerzhaften Flucht nur verwischte Spuren hinterließ. Er hatte seine bereits gemachten Schritte nicht gezählt, doch eines war klar, es waren mehr als drei gewesen. Das wiederum bedeutete, dass er das rettende Ende schon längst erreicht haben musste. Stattdessen wurde das Unterholz immer dichter, die Schmerzen unerträglicher und die Hoffnung auf die erlösenden Sonnenstrahlen geringer.
Ein Baumstumpf, den er übersah, ließ seine Flucht endgültig scheitern. Er spürte, dass zwei seiner Zehen dabei brachen, dann schlug er auf dem steinharten Boden auf. Dantra kam es vor, als würden Hunderte von den kleinen Monstern auf ihm landen. Sie zerbissen ihm seinen Körper, als hätte man ihnen ein Stück rohes Fleisch vorgeworfen. Nach ihnen zu schlagen, sich gegen sie zur Wehr zu setzen, stellte sich schnell als sinnlos heraus. So blieb er also zusammengerollt und seinen Kopf unter den verschränkten Armen schützend wehrlos liegen. Er wünschte sich, seine Angreifer hätten längere Zähne, es würde sein Leid wesentlich verkürzen. Er spürte, wie sie sich bereits an manchen Stellen bis zu den Sehnen durchgebissen hatten und nun an diesen zerrten. Er hätte nie geglaubt, dass ein Mensch solch eine Qual ertragen konnte, ohne ohnmächtig zu werden. Aber hier drin, im Dunkel, im Schwarzen, schien alles möglich. Zumindest all jenes, was einem unmenschliche Schmerzen bereiten konnte.
Als sich einige von den Untieren an den Stellen seines Kopfes zu schaffen machten, die noch freilagen, zog er ihn noch weiter ein, sodass seine Hände sich im Nacken trafen. Dabei stellte er entsetzt fest, dass an seiner linken Hand der kleine und der Ringfinger fehlten und er stattdessen in zwei offene Wunden drückte, in denen er die harten Stumpen seiner Fingerknochen spürte. Er musste sie sich beim Sturz abgetrennt haben. Bei diesem hatte er ebenfalls eine tiefe Fleischwunde von der rechten Stirnseite bis zu seinem linken Ohr erlitten, durch die auch sein Auge in Mitleidenschaft gezogen worden war. Es war ihm nicht möglich zu deuten, ob es nur voll Blut gelaufen oder gar herausgerissen war.
Endlich, es kam ihm vor wie eine Ewigkeit, fingen seine Sinne an zu schwinden. Der Schmerz, der seinen gesamten Körper befallen hatte, forderte seinen Tribut. Dass er sich über seinen bevorstehenden Tod einmal so freuen würde, hätte er niemals für möglich gehalten. Doch genau so war es. Sein letzter klarer Gedanke galt Tami. Dann drehten sich die Bilder, die er vor seinem inneren Auge sah, als wären sie in einen Strudel geraten. Sie vermischten sich mit der Dunkelheit, mit dem Schwarz, das von außen in ihn hineinzuströmen schien. Es war, als würde er ins Bodenlose fallen. Ins unendliche Nichts.
Jemand packte ihn am Arm. Er wurde ruckartig ein Stück hochgezogen. Er musste sich zwingen, sein gesundes Auge noch einmal zu öffnen. Nur verschwommen sah er E’Cellbras Gesicht, das direkt vor seinem war. Sie schrie ihn an, doch er verstand nichts. Er sagte ihr, dass es zu spät sei und sie die Erlösung von seinen Schmerzen nicht länger hinauszögern solle. Sie hatte ihn anscheinend nicht gehört. Oder hatte er gar keinen Ton herausbekommen? Jedenfalls zog sie ihn auf die Beine und legte eine seiner Hände auf den Knauf ihres Gehstocks. Dann warf sie ihren Umhang über ihn und hakte ihn unter. Er humpelte, so gut er konnte, neben ihr her, wobei ihm rätselhaft war, woher er die Kraft dafür nahm. Nach nur einigen Schritten bemerkte er, dass Sonnenstrahlen durch den fein gewebten Stoff drangen. Die Hexe blieb stehen und Dantra sank auf den warmen, mit weichem Gras überzogenen Waldboden nieder. Nachdem seine Lungen sich mit dem Duft von Efeu und Flieder gefüllt hatten, hob er seinen Kopf und sah zu E’Cellbra auf. Jedoch blendete ihn dabei die nun bereits tiefer stehende Sonne, sodass er beide Augen wieder zukneifen musste. Beide Augen?
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